Polizisten in einer U-Bahn-Station
ORF.at/Christian Öser
Experte zu E-Mail

Innenministerium will „Vorurteile schüren“

Seit Montagabend sorgt eine E-Mail aus dem FPÖ-geführten Innenministerium für Aufregung. Neben Informationseinschränkungen für kritische Medien sollen dieser zufolge auch die Staatsbürgerschaft von Verdächtigen in Presseaussendungen der Polizei explizit genannt und Sexualdelikte verstärkt kommuniziert werden. Experten und Expertinnen sehen darin ein „gefährliches Vorhaben“, da es Ängste und Vorurteile schüre.

Zwar gab es Dienstagabend via Presseaussendung eine Reaktion von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) auf die E-Mail – die Formulierungen darin würden bei ihm auf keine Zustimmung stoßen –, jedoch schwieg der Innenminister zur verstärkten Kommunikation der Täterherkunft sowie von Sexualdelikten.

Der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl etwa sieht bei Letzterem einen Versuch, Berichterstattung „strategisch zu steuern, um Vorurteile und falsche Einstellungen zu verstärken“. Es gehe um „die Vorherrschaft im öffentlichen Diskurs“, sagte er auf APA-Anfrage. „Eine verantwortungsvolle Informationspolitik ist wichtig, um eine realistische Einschätzung möglich zu machen“, so Kreissl. Die Aufgabe müsse sein, eine aufgeklärte Haltung der Bevölkerung zu fördern. „Kickl dreht das praktisch um“, sagte der Geschäftsführer des Vienna Centre for Societal Security.

Soziologe: „Es geht um die Tat, nicht den Täter“

Die Informationspolitik der Polizei ist laut Kreissl Grundlage für die öffentliche Wahrnehmung des Ausmaßes bestimmter Formen von Kriminalität. 90 Prozent des Wissens der Bevölkerung darüber stamme „aus den Medien“, die sich in ihrer Berichterstattung aber auf dramatische Ereignisse konzentrieren. Das führe dazu, dass Gefahren überschätzt würden. Medien auf der einen Seite würden relativ selten vorkommende Fälle „hypen“. Der dadurch entstehende Eindruck, solche aufsehenerregenden, aber vergleichsweise raren Vorfälle passierten am laufenden Band, werde auf der anderen Seite noch „verstärkt durch diese ministerielle Strategie“.

Die Nennung der Nationalität eines Verdächtigen hält Kreissl nur dann für gerechtfertigt, wenn sie für die polizeilichen Ermittlungen, vor allem die Fahndung, von Bedeutung ist: „Es geht um die Tat, nicht den Täter.“ Die in der E-Mail angesprochene verstärkte Öffentlichmachung von Sexualstraftaten im öffentlichen Raum solle solche Delikte „als ethnisches Problem darstellen. Es findet sich aber quer durch alle Schichten, Klassen und Nationalitäten.“

„Proaktive“ Aussendung

Wörtlich heißt es in der von der Wochenzeitung „Falter“ veröffentlichten Aussendung des Innenministerium-Ressortsprechers Christoph Pölzl an die Pressestellen der Landespolizeidirektionen: „Hinkünftig darf ich darum ersuchen, die Staatsbürgerschaft einer mutmaßlichen Täterin bzw. eines mutmaßlichen Täters in euren Aussendungen zu benennen. Zudem gegebenenfalls bei einer/einem Fremden deren/dessen Aufenthaltsstatus, bzw. ob es sich um eine Asylwerberin bzw. einen Asylwerber handelt.“ Das geschehe vor dem Hintergrund „einer größtmöglichen Transparenz sowie einem vorhandenen berechtigten Interesse seitens der Bevölkerung bzw. der Medien“.

Weiters heißt es zu den Sexualdelikten: „Sexualdelikte sind aus Opferschutzgründen ein heikles Thema, dennoch darf ich euch bitten, vor allem Taten, die in der Öffentlichkeit begangen werden, besondere Modi Operandi (z.B. antanzen) aufweisen, mit erheblicher Gewalteinwirkung oder Nötigung erfolgen, oder wenn zwischen Täterin und Opfer keine Verbindung besteht, auch proaktiv auszusenden.“

Polizei: In 80 Prozent Täter-Opfer-Beziehung

Für die Pressestelle der Polizei Wien stellen die Empfehlungen aus dem Innenministerium bezüglich des Umgangs mit Journalisten und bestimmten Informationen „keine Änderung im täglichen Gebrauch unserer Medienarbeit dar“. Bei der für die Öffentlichkeit bestimmten Kommunikation zu Sexualstraftaten gelte nach wie vor der Grundsatz, den Opfer- und Datenschutz in den Vordergrund zu stellen.

„Bei Fällen im öffentlichen Raum halten wir schon bisher nicht hinter dem Berg, sofern nicht kriminaltaktische Gründe, etwa eine laufende Observation, dagegen sprechen“, erläuterte Reinthaler. „Beim Großteil der Sexualstraftaten, in etwa 80 Prozent der Fälle, besteht aber eine Täter-Opfer-Beziehung. Bei solchen Taten im familiären Bereich könnte die Identität des Opfers leicht nachvollzogen werden, deswegen wird hier zumeist von einer Veröffentlichung abgesehen" – mehr dazu in wien.ORF.at

Frauenhäuser sehen „Gefahr der Verzerrung“

Dass der weitaus größere Anteil an Übergriffen gegen Frauen innerhalb einer Partnerschaft drohe, bestätigt auch Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser. Sie sieht in der Forcierung der Kommunikation bei Straftaten im öffentlichen Raum eine „große Gefahr der Verzerrung“.

„Gewalt gegen Frauen gehört natürlich kommuniziert“, sagte Rösslhumer. Aber nur über Übergriffe im öffentlichen Raum zu berichten, sei „sehr gefährlich“. „Die Frauen fürchten sich, vor die Türe zu gehen, weil draußen offenbar die Gefahr droht“, meinte die Geschäftsführerin.

Wenn es zu einer Berichterstattung über innerfamiliäre Gewalt komme, wird die Tat Rösslhumer zufolge oft als „Streit“ heruntergespielt. Hier brauche es eine Sensibilisierung und mehr Öffentlichkeitsarbeit – auch um die gesellschaftlichen Strukturen hinter den Übergriffen aufzudecken. Rösslhumer kritisierte zudem, dass die Nennung der Herkunft der Täter zusätzlich Ängste gegen Fremde schüre. „Man sieht, wo die Reise hingeht“, so die Expertin.

Auch Presserat kritisiert Herkunftsnennung

Auch der Österreichische Presserat sieht die verstärkte Nennung der Herkunftsländer von Verdächtigen in Polizeiaussendungen kritisch. Zwar obliege es weiter den Redaktionen, ob sie Nationalitäten nennen, „es ist aber schon eine Signalwirkung“, sagte Geschäftsführer Alexander Warzilek. Journalisten und Journalistinnen sollten genau darüber reflektieren, ob die Herkunft tatsächlich relevant ist oder nur „Vorurteile schürt“.

In Österreich stellt die Nennung der Herkunft eines Straftäters aber keinen Ethikverstoß dar. „Es gibt deshalb keine Verurteilungen“, sagte Warzilek. Allerdings empfiehlt das Selbstkontrollorgan der heimischen Printmedien einen sorgsamen Umgang. Dafür wurde eine „Checkliste“ („Verantwortungsvoller Journalismus in der Flüchtlingsberichterstattung“) zusammengestellt, die Medien als Anleitung bei der Berichterstattung dienen soll.

Anzeigenstatistik wirft Fragen auf

Laut der aktuellen Anzeigenstatistik – Kriminalstatistik genannt – des Innenministeriums von Anfang August setzt sich nach einem für 2017 registrierten Zehnjahrestief der Rückgang der Kriminalität in Österreich fort. In den ersten sechs Monaten 2018 hat die Polizei nach vorläufigen Zahlen 228.887 Anzeigen bearbeitet, um rund zehn Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Die Zahl der Anzeigen wegen Vergewaltigung ist hingegen gestiegen – von 261 auf 374, wobei unter den Opfern besonders die Zahl der Frauen aus Afghanistan steigt. Nicht beantworten lässt sich aus Sicht der Polizei zunächst die Frage, ob mehr solche Taten verübt werden oder Frauen eher bereit sind, Anzeige zu erstatten.

Kreissl neigt dazu, den steigenden Anteil von Frauen mit Migrationshintergrund, die eine Vergewaltigung zur Anzeige bringen, „als ein positives Zeichen der Integration zu interpretieren, da dies auf ein zunehmendes Vertrauen in die Funktionsweise des hiesigen Rechtssystems hinweist“.