Aufnahme aus der Vienna Contemporary
ORF.at/Gerald Heidegger
Kunstmarkt

Wiener Schmäh statt Berliner Schnauze

Der Kunstmarkt ist im Umbruch. Und verlangt nach neuen Vermittlungsformen. Das merkt man auch rund um die Vienna Contemporary. Doch die jetzt angelaufene Kunstmesse profitiert auch vom Katzenjammer, der aktuell bei den Nachbarn in Berlin herrscht. Und den Wien mit Verve nutzt.

Alte Gepflogenheiten über Bord: So hört man es, verkürzt, zurzeit an verschiedenen Stellen in der heimischen Kunstmarktszene. Manche lassen sich auch zitieren, etwa Markus Peichl, der mit seinen Standbeinen in Berlin und nun auch wieder in Wien einen guten Überblick darüber hat, was im Moment in der Szene läuft und wo man sich neu positionieren, ja neu erfinden muss. „Die Dominanz der Auktionshäuser, der Onlinehandel, die Inflation der Kunstmessen, der Rückgang der Verkäufe – solche Faktoren erfordern von allen, sich Gedanken über ihren Aggregatzustand zu machen“, so Peichl im aktuellen „Presse“-Schaufenster.

Ganz ohne „Alte Meister“ geht es nicht

Doch was ist der Aggregatzustand in Wien? Ist Wien das bessere Pflaster für Kunstverkäuferinnen und -verkäufer, weil sich in Deutschland die Mehrwertsteuer für Kunstwerke geändert hat? Und warum soll das lange Zeit doch eher zurückhaltend-konservative Wien plötzlich hipper sein als Berlin?

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Aufnahme aus der Vienna Contemporary
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Peter Kogler zwischen den Aktenschränken auf der Parallel in der Lassallestraße
Aufnahme aus der Vienna Contemporary
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Bekannte Meister, neues Setting – und am Ende fehlt auch im Offspace nicht der beinahe obligatorische Nitsch
26.09.18 Vienna Contemporary
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Arbeiten aus der Sammlung Deutsche Telekom auf der Vienna Contemporary
26.09.18 Vienna Contemporary
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Auflockerung zwischen den Messekojen: Eine Großplastik mit Löchern kann da helfen
26.09.18 Vienna Contemporary
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Let’s get lost, dachten sich die Besuchermassen am Eröffnungsabend in Anbetracht des breiten Messeangebots
Vienna Contemporary
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Wie viel Bekanntes darf, wie viel muss es sein auf der Vienna Contemporary?
Exponate auf der Kunstmesse Vienna Contemporary
Vienna Contemporary
Die Ruhe vor dem Eröffnungsansturm

Immerhin, ganz ohne die „Alten Meister“ nach 1945 kommt man in Wien bei keiner Kunstmesse aus. Nitsch, Anzinger, Brandl, Kogler und Co. trifft man immerhin auch als Höhenkamm-Auswahl auf der gleichzeitig laufenden Off-Venue-Schau Parallel in den ehemaligen Bank-Austria-Büros in der Lassallestraße. Der Witz dabei: Die Klassiker werden zwischen riesige Aktenregale gedrängt und dürfen sich in einem Setting zwischen Maus- und Steingrau behaupten. Richtig spannend wird es auch im Off-Venue-Bereich, wenn man in Wien die Ober- oder Hinterräume erklimmt.

Warum Wien anders tickt als Berlin

Dass die Hipness eines Ortes noch keinen guten Kunstmarkt macht, erklärt einer, der es wissen muss: Für Arne Ehmann von der Galerie Ropac punkte Wien im Match mit Berlin mit einem speziellen Mix, wie er gegenüber ORF.at erläutert: „Wien hat einfach die eindeutig bessere Verzahnung zwischen Institutionen, Sammlern, Künstlern und einem interessierten Publikum. Es gibt eine gesunde Kunstszene.“ In Berlin, so Ehmann, gebe es Tausende Künstlerinnen und Künstler, ein halbes Dutzend guter Galerien – „aber leider keine Institutionen, die regelmäßig wichtige Ausstellungen zeigen“. Die Berliner Szene mag zwar eher subkulturell und damit scheinbar schicker strukturiert sein – in Wien sei aber die allgemeine Selbstdefinition über die Kunst stärker.

Die Liebe der Wienerinnen und Wiener zu ihren Kunstschaffenden, die Ehmann konstatiert, lockt mittlerweile so manche deutsche Galerie hierher. Und während die einen in Wien zumachen, sperren andere auf und beleben die Szene mit frischen Projekten. Oliver Croy und die Dänin Henrikke Nielsen etwa haben ihre Räume in Berlin aufgegeben und sind nach Wien gezogen. Aus Düsseldorf kamen Ute Eggeling und Michael Beck, um hier zu bleiben. Und „Franz Josefs Kai 3“ von Magdalena Zeller und Cornelis von Almsick zählt in der vom Büro propeller z umgebauten Location als Startrampe für junge Kunst abseits etablierter Namensformate.

Der Spagat zwischen etabliert und neu

„Den Aufstieg des zeitgenössisches Wiens spürt man auch in der vierten Ausgabe der Vienna Contemporary“, sagt Christina Steinbrecher-Pfandt als künstlerische Leiterin der Messe und verweist auf den Mix neuer Namen und etablierter Galerien. Im Projekt „ZONE 1“ präsentiert man auch eine eigens kuratierte Werkschau von Künstlern und Künstlerinnen unter 40, die entweder aus Österreich kommen oder hier ausgebildet wurden. Sie sollen Seismograf nicht zuletzt auch für den gesellschaftlichen Umbruch sein, in dem man im Moment stecke, hoffen die Kuratoren des Projekts.

Kunst als Seismograf

Seismograf, das wollen auch einige Künstlerinnen und Künstler aus der Slowakei sein, die sich für das Projekt des „Unsichtbaren Museums“, einer Initiative der Galerie transit.sk und der Erste Stiftung, mit der Frage der Repräsentation der Roma in der slowakischen Geschichte und Gesellschaft auseinandersetzen. Künstler wie der Erich-Wonder-Schüler Robert Gabris pochen dabei auf eine positive Sichtbarmachung, zu der erst jetzt eine junge Roma-Generation in der Lage sei. Man müsse, fernab aller Klischees, sichtbar sein und selbstbewusst seinen Platz in der Geschichte beanspruchen, so Gabris. Die Kunst hält er dabei für das überzeugendste und auch positivste Narrativ für dieses Projekt.

Wie sehr die vielen Themenschienen der Kunstmesse am Ende ineinandergreifen, bleibt abzuwarten. Bei der Eröffnung durfte man sich über einen dichten Parcours freuen, auf dem freilich das Geschmäcklerische vom Substanzielleren durchaus von den Besuchern herausgefiltert werden musste.

Ausstellungshinweis

Vienna Contemporary, Parallel, Wien, bis 30. September; „curated by“ bis 13. Oktober

Dichter Wiener Kunstherbst

Für den Wiener Kunstherbst ist in Summe die Dichte der Veranstaltungen entscheidend. Bis 13. Oktober läuft noch das Galerienfestival curated by, das heuer im zehnten Jahr seines Bestehens unter dem Motto „viennaline“ die Stadt selbst in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit stellt. 21 Galerien, 25 Kuratoren und Kuratorinnen und 180 Künstlerinnen und Künstler prägen das Programm, das heuer mit über 30 Veranstaltungen, Lectures und Talks aufwartet.

Bis Sonntag hat man jedenfalls die Chance, sich in Wien auf einen mehr als dichten Kunstparcours in den Bezirken eins, zwei und drei einzulassen. Deutlich wird bei aller Unterschiedlichkeit der präsentierten Arbeiten, dass Wien die Lektion verstanden hat, dem Publikum neue Kunsterlebnisse zu ermöglichen.