Bundesgesetzblätter der Republik Österreich
ORF.at/Günther Rosenberger
„Etwas läuft falsch“

Sorge um Qualität der Gesetzgebung

Zu kurze oder gar keine Begutachtungen, verspätete Kundmachungen, zahlreiche aufgehobene Gesetze: Österreichs Rechtsanwaltskammertag sieht die Qualität der Legislative schwinden. „Besorgniserregend“ sei es auch, „wenn Kritik in einer Demokratie nicht offen geäußert werden kann“, hieß es am Anwaltstag am Freitag.

Die Kritik der österreichischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte geriet unverblümt: „Leider fiel auch dieses Jahr die Bilanz in Zusammenhang mit der Qualität der Gesetzgebung schlecht aus. Dabei wurden im neuen Regierungsprogramm einige Verbesserungen angekündigt, so beispielsweise die Abschaffung von ‚Gold-Plating‘. Bei Betrachtung der Legislative in ihrer Praxis der letzten Monate zeigen sich allerdings einige Widersprüche zu den angekündigten Intentionen.“

Die vom Kanzleramt vorgegebene Frist von sechs Wochen sei in 77 Prozent der Begutachtungsverfahren nicht eingehalten worden, sagte der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), Rupert Wolff. Teils seien Regierungsvorlagen sogar schon während einer noch laufenden Begutachtung im Ministerrat beschlossen worden. Wolff: „Wenn Gesetze ohne Begutachtung durchgeboxt werden, läuft etwas falsch. Speed kills.“ Das zeige sich auch daran, dass der Verfassungsgerichtshof zwischen 2014 und 2016 187 Gesetze und 94 Verordnungen aufheben musste.

Rechtsanwaltskammer fordert mehr Mittel

Die Rechtsanwaltskammer fordert von der Regierung genug Ressourcen für den Justizbereich – und die Verteidigung des Rechtsstaates.

Wolff fühlt sich an Bismarck erinnert

Kritik übte der ÖRAK auch daran, dass zuletzt kritische Stellungnahmen anderer Ministerien nicht veröffentlicht wurden, etwa bei der Begutachtung des Standortentwicklungsgesetzes. „Ich halte es für besorgniserregend, wenn Kritik in einer Demokratie nicht offen geäußert werden kann“, sagte Wolff. Die Politik dürfe sich nicht vor den Bürgerinnen und Bürgern fürchten. Wolff: „Otto von Bismarck sagte einst: ‚Je weniger die Leute davon wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie.‘ Ich glaube nicht, dass sich die Politik in einem demokratischen Rechtsstaat – fast zwei Jahrhunderte später – noch immer an dieser Vorstellung orientieren sollte.“

Dass die Kundmachung von Gesetzen bisweilen erst nach deren Inkrafttreten erfolgt – etwa beim Erwachsenenschutzgesetz –, ist ein weiterer Kritikpunkt der Rechtsanwälte. Wolff: „Wie sollen sich die Bürger an Gesetze halten, wenn diese zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens noch nicht einmal kundgemacht wurden?“

Das „zweite Bundesrechtsbereinigungsgesetz“, mit dem alle Gesetze und Verordnungen gestrichen werden, die vor dem Jahr 2000 kundgemacht und von den Ministerien als nicht mehr notwendig erachtet wurden, sorgt bei der Standesvertretung gleichfalls für Skepsis. „Der Gesetzgeber hat damit dieses Problem auf den Rechtsanwender überwälzt, aber nicht gelöst. (…) Mehr Klarheit hätte es gebracht, die Systematik umzudrehen und die obsoleten Vorschriften ausdrücklich aufzuheben.“

Aushöhlung der Bürgerrechte

An die Regierung gerichtet heißt es im Tätigkeitsbericht 2018 außerdem: „Der ÖRAK wird weiterhin Gesetzesvorhaben, welche massive Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger vorsehen, genau beobachten und sich in seinen Stellungnahmen, im alljährlichen Wahrnehmungsbericht sowie im Rahmen der Medienberichterstattung dazu äußern.“ Am Anwaltstag selbst hielt Wolff fest, dass Maßnahmen wie Sicherheitspaket und Vorratsdatenspeicherung „Terroristen nicht von ihren Gräueltaten abhalten“, sondern „ausschließlich die Bürgerrechte aushöhlen und damit den Bürger im sensiblen Verhältnis zu seinem Staat schlechter stellen“.

Vizekanzler Heinz-Christian Strache
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Vizekanzler Strache bat um Verständnis für „uns Volksvertreter“

Der bei der Eröffnung anwesende Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) sagte, er teile über weite Strecken, was die Anwaltschaft politisch vertritt – er könne „nur entgegenhalten, dass die Politik immer dem Interessenausgleich dienen muss“. Die Regierung wisse, dass der Grat zwischen effizienter Strafverfolgung und dem Schutz der Bürgerrechte schmal sei. „Ich bitte Sie, auch uns Volksvertreter zu verstehen“ und gemeinsam mit allen Bürgern „diesen schmalen Grat als Ortskundige zu gehen.“

„Mittel des Rechts immer noch erste Wahl“

Pathetisch formulierte auch ÖVP-Justizminister Josef Moser: Die Justiz sei Garant für Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der Grundrechte, auch in der fortschreitenden Globalisierung. Trotz der vielen Krisen und Herausforderungen der Gegenwart seien „die Mittel des Rechts immer noch die erste Wahl und müssen es nach unserem Verständnis auch bleiben“.