„Metoo“-Proteste
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Ein Jahr „MeToo“

Dauerkampf gegen sexuelle Gewalt

Ein Jahr ist es her, seit der Hashtag „MeToo“ eine weltweit bedeutende Bewegung ausgelöst hat. Millionen von Frauen erhoben seither ihre Stimmen gegen sexuelle Gewalt, Machtmissbrauch und Geschlechterdiskriminierung – auch in Österreich. Geschichten wurden öffentlich, erste Konsequenzen wurden gezogen. Dabei scheint die „MeToo“-Geschichte lange noch nicht zu Ende erzählt.

„MeToo“ fand in der US-Filmbranche seinen Ursprung. Die Schauspielerin Alyssa Milano rief im November 2017 dazu auf, Geschichten unter diesem Hashtag zu verbreiten. Die Idee allerdings geht auf die afroamerikanische Aktivistin Tarana Burke zurück. Bereits vor zehn Jahren gab sie mit einer gleichnamigen Kampagne vielen Frauen eine Plattform, ihre belastenden Geschichten über sexuellen Missbrauch zu teilen – damals noch ohne Aufmerksamkeit in Sozialen Netzwerken.

Milano hatte den Fall Harvey Weinstein zum Anlass für die Bewegung genommen. Der Hollywood-Mogul Weinstein soll Dutzende Frauen aus der Filmindustrie jahrzehntelang sexuell belästigt, erpresst und vergewaltigt haben – darunter Schauspielerinnen wie Angelina Jolie, Rose McGowan und Asia Argento. Dass alleine die Causa rund um Weinstein weite Kreise zieht, zeigen die jüngsten Missbrauchsvorwürfe gegen Schauspielerin Argento selbst. Sie soll Sex mit dem damals minderjährigen Jungschauspieler Jimmy Bennett gehabt haben.

Journalist Farrow brachte Stein ins Rollen

Weinstein reagierte sehr bald – schon im Oktober letzten Jahres – auf die Vorwürfe gegen ihn. In einer ersten Erklärung in der „New York Times“ („NYT“) erläuterte der heute 66-Jährige, er sei in den 60er und 70er Jahren aufgewachsen, in denen die Verhaltensregeln und das Arbeitsumfeld anders gewesen seien. „Das war die Kultur damals“, verteidigte sich der Filmemacher.

Harvey Weinstein
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Weinstein wurde wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung verhaftet und mit einer Fußfessel auf freien Fuß gesetzt

Weinstein entschuldigte sich und kündigte eine Auszeit an, um seine „Dämonen“ in den Griff zu bekommen. Seine Firma, die Weinstein-Company, warf ihn dennoch hinaus, die Oscar-Academy schloss ihn aus ihrem Kreise aus. Weinsteins Ehefrau, die Designerin Georgina Chapman, verließ ihn. Am 25. Mai 2018 wurde Weinstein von der New Yorker Polizei wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung verhaftet, nachdem er sich selbst gestellt hatte. Er wurde anschließend gegen Kautionsauflagen vom zuständigen Gericht mit einer elektronischen Fußfessel auf freien Fuß gesetzt.

Den Sturz des Hollywood-Moguls leitete US-Journalist Ronan Farrow ein, Sohn der Schauspielerin Mia Farrow und – im rechtlichen Sinne – des Regisseurs Woody Allen. Allen wird seit Jahren Missbrauch vorgeworfen, unter anderem von seiner eigenen Adoptivtochter, Dylan Farrow. Monatelang recherchierte Ronan Farrow zur Causa Weinstein, publizierte seine Recherchen schließlich im „New Yorker“ und in der „NYT“. Für seine Artikelserie wurde er mit dem renommierten Pulitzerpreis ausgezeichnet.

Weitere Konsequenzen in Hollywood

Bereits befeuert durch sexistische Kommentare des US-Präsidenten Donald Trump kurz vor dessen Amtseinführung im Jänner 2017 (Stichwort: „Grab them by the pussy“), sollte es im November nicht lange dauern, bis in den USA, aber auch in vielen anderen Ländern, die Menschen einmal mehr für Frauenrechte auf die Straße gingen. Immer mehr Geschichten der „Survivors“ („Überlebenden“) wurden bekannt. Die Frauen der „MeToo“-Bewegung wurden vom „Time Magazine“ schließlich zu den „Personen des Jahres 2017“ gekürt.

Asia Argento und Rose McGowan
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Argento (l.) und McGowan sind zwei von über 100 Frauen, die Anschuldigungen gegen Weinstein erheben

Auch weitere Hollywood-Größen mussten in Folge Konsequenzen für ihre – zum Teil mutmaßlichen – Taten tragen, etwa Schauspieler Kevin Spacey, der sich wegen zahlreicher Vorwürfe sexueller Übergriffe verantworten muss. Der Streamingdienst Netflix schloss den Schauspieler aus der Politdramaserie „House of Cards“ aus. Regisseur Ridley Scott schnitt Spacey aus seinem schon fertigen Spielfilm „Alles Geld der Welt“ komplett heraus.

Der 81-jährige US-Entertainer Bill Cosby wurde unterdessen wegen schwerer sexueller Nötigung in drei Fällen zu mindestens drei Jahren Haft verurteilt. Mit der Verurteilung ist Cosby der erste Prominente, der seit der „MeToo“-Welle wegen eines Sexualverbrechens ins Gefängnis geht.

Vorwürfe gegen Trumps Richterkandidaten

Die Aufmerksamkeit verlagerte sich 2018 erneut in Richtung US-Politik. Trump ist darin indirekt verwickelt, denn in den jüngsten Vorwürfen geht es um den von ihm ernannten Obersten Richterkandidaten Brett Kavanaugh. Die Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford wirft dem Richterkandidaten einen sexuellen Übergriff vor, der sich auf einer Teenagerparty 1982 zugetragen haben soll. Kavanaugh soll dabei versucht haben, Ford zu vergewaltigen.

„Metoo“-Proteste
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„Schauspielerinnen gegen Vergewaltigungskultur“ steht auf dem Schild einer Demonstrantin in L. A. (November 2017)

Kavanaugh weist die Vorwürfe, die Ford auch in einer emotionalen Aussage vor Gericht erläuterte, entschieden zurück. Allerdings haben zwei weitere Frauen ähnliche Anschuldigungen gegen den Juristen erhoben. Trump hingegen verteidigt Kavanaugh vehement und machte sich zuletzt sogar über Ford lustig.

Zahl der Beschwerden in Österreich angestiegen

Von den USA ausgehend erreichte die Bewegung auch Europa. In Schweden etwa wird 2018 kein Literaturnobelpreis vergeben, da die Schwedische Akademie gleich in mehrere Skandale – von sexueller Belästigung bis Korruption – verwickelt ist. Mehrere Jurymitglieder traten deshalb zurück.

Hilfe im Krisenfall

Opfer sexueller Belästigung und Gewalt können telefonisch und im Internet Hilfe finden. Unter 0800 222 555 ist die Frauenhelpline gegen Gewalt erreichbar, die Männerberatung unter 01 603 28 28. Auf den jeweiligen Websites gibt es zudem viele Infos und Links. Im beruflichen Umfeld berät und unterstützt die Gleichbehandlungsanwaltschaft.

Auch in Österreich wurden unzählige Fälle der Diskriminierung und sexuellen Gewalt bekannt, das zeigen unter anderem die Zahlen österreichischer Beratungsstellen für Gleichberechtigung und sexuelle Belästigung. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft berichtete diese Woche von einer stark gestiegenen Zahl von Beschwerden, die laut Gleichbehandlungsanwältin Sabine Wagner-Steinrigl auch anhalten würde.

Demnach wurden im ersten Halbjahr 2017 104 Fälle sexueller Belästigung in der Arbeitswelt gemeldet. Im ersten Halbjahr 2018 waren es bisher 172. Zudem würden Informationsveranstaltungen der Gleichbehandlungsanwaltschaft eine deutlich stärkere Nachfrage verzeichnen, sagte Wagner-Steinrigl zur APA.

„MeToo“ in Österreich

Eine der ersten, die im Rahmen von „MeToo“ in der breiten österreichischen Öffentlichkeit über sexuelle Machtausübung im Berufsleben sprach, war die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg. Im Österreichischen Skisport habe es „Trainer, Betreuer, Kollegen und Serviceleute“ gegeben, die zu Tätern wurden. Sie selbst sei als 16-Jährige von einem Teamkollegen vergewaltigt worden. Sowohl Betroffenheit als auch der Aufschrei waren groß, bezogen sich die Vorwürfe im weiteren Sinne doch auch gegen Skilegende Toni Sailer.

Werdeniggs Öffentlichmachen folgten Vorwürfe in der österreichischen Politlandschaft – allen voran die Belästigungsanschuldigungen zweier Frauen gegen Parlamentarier und Ex-Grünen Peter Pilz. Langfristige Konsequenzen hatte es für Pilz keine gegeben. Am Ende kehrte der Gründer der Liste Pilz wieder in den Nationalrat zurück, alle Verfahren gegen ihn wurden im Mai eingestellt – einmal wegen fehlender Ermächtigung zur Strafverfolgung, im anderen Fall wegen Verjährung. Auch in der ÖVP gab es erst kürzlich einen Eklat, als der ehemalige ÖVP-Abgeordnete Efgani Dönmez die deutsche SPD-Politikerin Sawsan Chebli sexistisch beleidigte. Er wurde aus dem Parlamentsklub geworfen.

Auch in der österreichischen Kunst- und Kulturszene wurden mehrere mutmaßliche Belästigungsvorfälle öffentlich gemacht, obwohl der Gleichberechtigungsanwaltschaft in dieser Branche vor „MeToo“ kaum Beschwerden gemeldet wurden, so Wagner-Steinrigl von der Anwaltschaft. Prominentes Beispiel sind die Vorwürfe „anhaltenden Machtmissbrauchs und sexueller Übergriffe“ gegen Gustav Kuhn, den künstlerischen Leiter der Festspiele Erl, die mit einem offenen Brief von Künstlerinnen und Künstlern ans Tageslicht gebracht wurden. Kuhn wurde als Dirigent beurlaubt, er weist die Vorwürfe aber von sich.

„Noch sehr viel zu tun“

Immer mehr Vorfälle von sexueller Gewalt werden auf der ganzen Welt öffentlich. Expertinnen und Experten sehen hier einen großen Fortschritt innerhalb der Gesellschaft. „Wir haben im vergangenen Jahr auf jeden Fall Veränderungen bemerkt“, so etwa Gleichbehandlungsanwältin Wagner-Steinrigl – und auch international ist die Hoffnung groß, dass noch mehr aufbrechen wird.

Kirsten Schaffer, Geschäftsführerin der Organisation Women In Film, sagte gegenüber AP, sie glaube an ein Ende der Belästigungen durch Gleichberechtigung. „Je mehr Frauen eine Führungsposition innehaben, desto weniger häufig kommt es zu Belästigungen. Also haben wir an dieser Front noch sehr viel zu tun“, so Schaffer. „Wir haben Tausende Jahre in einer sexistischen und rassistischen Gesellschaft gelebt. Das werden wir nicht in nur einem Jahr rückgängig machen können.“