Die Unstimmigkeiten haben „eine lange Geschichte“, sagt Oskar Herics, österreichisches Mitglied im EU-Rechnungshof. Bereits 2001 hatte die Behörde Mängel in diesem Bereich festgestellt. 2014 musste Österreich deswegen vier Millionen Euro an finanziellen Berichtigungen – „eine Art Strafzahlung“, wie es Herics ausdrückt – ins EU-Budget einzahlen.
Nach einer weiteren Prüfung des EU-Rechnungshofes befasste sich die EU-Kommission zwei Jahre später erneut mit der Materie – und brachte abermals Schwächen im Kontroll- und Verwaltungssystem ans Licht. Unter anderem geht es um den Umgang mit Luft- und Satellitenaufnahmen, aus denen die Größe der einzelnen Almflächen errechnet werden kann – was direkten Einfluss auf die Höhe der Förderungen aus Brüssel hat.
„Hoher einstelliger Millionenbetrag“
Im März 2016 leitete die EU-Kommission in der Angelegenheit ein weiteres Verfahren gegen Österreich ein. Passiert ist seither nichts. Herics: „Mittlerweile sind 30 Monate ins Land gezogen. Wir haben noch immer kein Ergebnis.“ Aus „inoffiziellen Kreisen“ wisse man aber, dass sich Österreich mit der EU-Kommission auf die Zahlung eines „hohen, einstelligen Millionenbetrags“ geeinigt habe, sagt er. Es sei jedenfalls „eigenartig, dass Österreich als entwickeltes EU-Land, das Spitzenreiter in vielen Bereichen ist“, nicht in der Lage sei, dieses System geradezubiegen.

Das Landwirtschaftsministerium wies die Aussagen Herics’ am Donnerstag zurück. „Österreich ist nach wie vor der Auffassung, die EU-Verordnung richtig umgesetzt zu haben“, teilte das Landwirtschaftsministerium der APA mit. Es gehe um acht Mio. Euro. Zutreffend ist laut dem Ministerium von Elisabeth Köstinger (ÖVP), dass es nach wie vor unterschiedliche Auffassungen zwischen Kommission und Österreich in der Frage der Methode und Genauigkeit der Almfutterflächenfeststellung gibt. „Diese Auslegungsfragen werden derzeit auf technischer Ebene behandelt.“
Klarzustellen ist dem Köstinger-Büro zufolge aber, dass es beim zitierten Prüfbericht primär um die Zuweisung von Zahlungsansprüchen bei Hutweiden geht – und nicht nur um die Feststellung der Almfutterflächen. Zu 80 Prozent gehe es im Bericht um Hutweideflächen, zu 20 Prozent um Almfutterflächen, hieß es auf APA-Nachfrage. Auf beiden Flächen grasen Tiere, der Unterschied liegt in der Seehöhe und im Bewirtschaftungszeitraum.
„Kontrollsysteme sind deutlich besser geworden“
In seinem Jahresbericht stellt der EU-Rechnungshof der Kommission und den Mitgliedsstaaten insgesamt ein gutes Zeugnis aus, was den Umgang mit EU-Mitteln betrifft. Erst zum zweiten Mal in den vergangenen zwei Jahrzehnten gab die in Luxemburg ansässige Behörde heuer kein negatives Statement ab.
„Es gibt eine deutliche Verstetigung der Art und Weise, wie in der Europäischen Union mit dem Geld umgegangen wird“, sagt EU-Rechnungshof-Präsident Klaus-Heiner Lehne. Das gelte sowohl für die Kommission als auch für die Mitgliedsstaaten, die rund 80 Prozent des europäischen Haushaltes mitverwalten und ausgeben. Die „Kontrollsysteme in den Ländern sind deutlich besser geworden“, sagt Lehne. Die Zeiten wie in den 90ern, als Skandale auf der Tagesordnung standen, seien vorbei.
Licht und Schatten
Perfekt sei die Lage aber trotzdem nicht, so Lehne: „Gut die Hälfte des Haushaltes ist fehlerfrei, die andere Hälfte hat aber nach wie vor ganz erhebliche Probleme.“ Teilweise hapert es ihm zufolge daran, dass die Erkenntnisse seiner Behörde nicht umgesetzt würden, teilweise auch bei der Anwendung der Kontrollen.
Probleme gibt es laut Lehne vor allem bei den Struktur- und Regionalfonds, die allerdings auch die kompliziertesten Regeln hätten. Im Bereich der Landwirtschaftssubventionen habe sich die Lage dagegen deutlich zum Positiven gewendet.
Bei der Zahl der mutmaßlichen Betrugsfälle lag man 2017 im langjährigen Durchschnitt. In 13 Fällen habe die Prüfung einen Anfangsverdacht auf Betrug ergeben, sagt Lehne. Sie seien der Betrugsbekämpfungsstelle der Kommission (OLAF) weitergeleitet worden.
Milliarden bleiben liegen
In einem anderen Punkt sind die Mitgliedsstaaten zum Unmut der Prüfbehörde säumig. Sie lassen Geld liegen, das ihnen eigentlich zustünde – viel Geld sogar: Aus dem seit 2014 und noch bis 2020 laufenden mehrjährigen EU-Finanzrahmen hätten die Länder bis Ende des Vorjahres erst 16 Prozent der Mittel abgeschöpft. Fast 270 Milliarden Euro an verfügbaren Fördermitteln wurden laut dem EU-Rechnungshof in den vergangenen vier Jahren nicht abgerufen.
Das Problem dabei: Die Mittel sind gebunden und können nicht anderweitig verwendet werden. Herics ortet noch ein weiteres Risiko: Gegen Ende der Finanzierungsperiode würden zwanghaft Projekte aus dem Boden gestampft, um die verfügbaren Mittel doch noch abzurufen – was sich auf die Qualität niederschlage.
Fehlende Flexibilität
Insgesamt beklagt der Rechnungshof mangelnde Flexibilität beim EU-Budget. Bei über 80 Prozent der Mittel sei der Verwendungszweck von vornherein festgelegt, sagt Lehne. Im Fall einer unvorhergesehen Krise bereitet das Schwierigkeiten, wie sich in der Finanz-, aber auch der Flüchtlingskrise gezeigt hat.

Selbst bei flankierenden Maßnahmen wie dem Vertrag mit der Türkei seien die zweimal drei Milliarden Euro nicht aus dem EU-Haushalt finanzierbar gewesen, sagt Lehne. Als Folge dieser fehlenden Flexibilität seien in den vergangenen Jahren eine Reihe von „Schatten- und Satellitenbudgets“ entstanden, die um den regulären Haushalt herumkreisten. Kritik übt er generell an der zu komplizierten europäischen Gesetzgebung. Außerdem sollte man Methoden finden, Zahlungen zu vereinfachen, so der Prüfer.
Brenner Basistunnel im Fokus
„Dranbleiben“ will der EU-Rechnungshof unterdessen am Brenner-Basistunnel in Tirol. Seit Oktober prüft die Behörde europäische „Megainvestments“ im Verkehr, darunter auch die Verbindung zwischen dem deutschen München und dem italienischen Verona, wo der insgesamt mehr als 60 Kilometer lange Tunnel für Zeitersparnis sorgen soll und dafür, dass Güter statt mit dem Lkw künftig verstärkt mit der Bahn transportiert werden.

Während der Tunnel 2027 in Betrieb genommen werden soll, stockt der Ausbau der dazugehörigen Zugsstrecke in Deutschland und Italien. So könnte die Verbindung München – Verona erst 2040 oder noch später voll verfügbar sein. Auf die Frage, ob der Tunnel Milliarden zu verschlingen droht, ohne etwas zu bringen, antwortet Herics: „Derzeit schaut es so aus.“