Migranten beim Verlassen eines Schiffes in Motril, Spanien
Reuters/Juan Medina
Asyl und Migration

Kickls Vision und ihre Grenzen

Viel war am Donnerstag in Wien von Visionen die Rede, als Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) mit seiner dänischen Kollegin Inger Stöjberg gemeinsame Ziele für ein „besseres Schutzsystem in einer globalisierten Welt“ präsentierte. Die EU müsse in der Asyl- und Migrationspolitik „weg von einer Reparaturmentalität und hin zur Gestaltung“. Davon aber ist die Union weit entfernt.

Die Rückkehr „aller Personen ohne legales Aufenthaltsrecht“, entweder in ihre Herkunftsländer, in ein sicheres Drittland, in ein „Rückkehrzentrum oder in ein alternatives legales Migrationsziel außerhalb der EU“, ist Teil dieser Vision, die Kickl als „Kompass“ verstanden wissen will.

Zentrale Komponente einer künftigen Asyl- und Migrationspolitik sei die Zusammenarbeit zwischen Herkunfts-, Transit- und Zielländern. Die EU müsse „weg von einer Reparaturmentalität hin zur Gestaltung“ und müsse aufhören, „hinter der Wirklichkeit her zu sein, ohne sie dann auch tatsächlich zu erwischen“, sagte Kickl zur Eröffnung der zweitägigen Jahreskonferenz des Europäischen Migrationsnetzwerks (EMN).

Minister Kickl bei Migrationskonferenz

Österreich und Dänemark wollen die Migrationspolitik in Europa reformieren. Innenminister Kickl (FPÖ) und die dänische Migrationsministerin Stöjberg haben gemeinsam ihre Vision von dichten Außengrenzen präsentiert.

Kein Land will Lager innerhalb eigener Grenzen

Dänemark, Österreich und einige andere EU-Staaten beraten schon seit mehreren Monaten über die Möglichkeit, abgelehnte Asylwerbende nach Erhalt des negativen Bescheides in „Rückkehrzentren“ außerhalb der EU – an wenig „attraktive Orte“ – zu bringen. Bisher ist zu den Plänen aber wenig bekannt. Ähnlich wie bei den „Ausschiffungsplattformen“, die auf Gesamt-EU-Ebene diskutiert werden, hat bisher kein Land Bereitschaft signalisiert, ein solches Lager beherbergen zu wollen.

Im Fokus der EU stehen vor allem die nordafrikanischen Mittelmeer-Länder, aber auch der Niger und die Balkan-Länder – doch alle möglichen Kandidaten haben abgewunken. Erst am Mittwoch hatte Marokko seine Absage klar wiederholt. „Marokko ist generell gegen alle Arten von Zentren“, daran könnten auch mögliche Geldzahlungen nichts ändern, sagte der marokkanische Außenminister Nasser Bourita der „Welt“.

In Anbetracht der Ausweglosigkeit der Umsetzung schien das Thema zuletzt wieder vom Tisch. Beim informellen Gipfel der EU-Staats- und Regierungsspitzen in Salzburg im September hatte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) diese Lager für Flüchtlinge in Drittstaaten für obsolet erklärt. Seine Zweifel an dem Ziel hatte auch EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos angemeldet – zum Ärger von Kickl. Angesichts seines „grundsätzlich ihm innewohnenden Optimismus’“, sagte er am Donnerstag, sehe er es als seine politische Verantwortung, weiter darüber zu verhandeln und nicht schon zu Beginn aufzugeben.

Österreich setzt Resettlement aus

Es stehe außer Streit, sagte Kickl, dass jene, die Schutz brauchen, diesen auch erhalten sollten. Derzeit hätten aber, „diejenigen, die sich durchsetzen“, die am „lautesten“ und „stärksten“ seien, bessere Chancen auf Asyl. „Die wirklich Schutzbedürftigen sind leider viel zu oft unsichtbar“, so der Minister, der sich dementsprechend für mehr „Schutz vor Ort“ und „Perspektiven für Flüchtlinge“ aussprach. Wie genau das aussehen soll, ließ Kickl offen, wie nicht, wurde dagegen am Donnerstag klar: Österreich nimmt seit Jahresbeginn keine Flüchtlinge aus Umsiedlungsprogrammen mehr auf und wird das Resettlement auch bis mindestens Jahresende aussetzen.

Die dänische Innenministerin Inger Stöjberg bei einer Pressekonferenz mit Innenminister Herbert Kickl (FPÖ)
ORF
Seite an Seite wollen Dänemark und Österreich die Migrationspolitik reformieren

Österreich folgt damit dem dänischen Beispiel: Die dortige Regierung hatte das Programm bereits 2016 ausgesetzt und hält bis heute daran fest. „Obwohl wir den Zustrom deutlich besser steuern können, sind wir immer noch in der Situation, dass wir damit kämpfen, die vielen Flüchtlinge, die in den letzten Jahren nach Dänemark gekommen sind, zu integrieren“, sagte Ministerin Stojberg am Donnerstag.

Enttäuschung bei UNHCR

Das Wiener Büro des UNHCR zeigte sich enttäuscht: Resettlement-Plätze würden „dringender denn je“ benötigt – „jetzt, und nicht erst irgendwann in der Zukunft“. „Aus Sicht von UNHCR ist Resettlement ein wichtiger Baustein im Flüchtlingsschutz, der nicht an andere Maßnahmen gekoppelt werden sollte.“ Ganz anders sieht das Kickl: Umsiedlung müsse ein „Ersatz für das sein, was wir derzeit erleben, keine Ergänzung“. Erst wenn die irreguläre Migration eingedämmt und das Vertrauen der Bevölkerung wiederhergestellt sei, sollten die Menschen mit dem größten Schutzbedürfnis nach Europa geholt werden.

Sieben schlagwortartige Punkte umfasst die österreichisch-dänische Vision von Migration und Asyl, bei deren Präsentation auch der britische Migrationsexperte Paul Collier, Professor an der Universität Oxford, anwesend war. Er ist der Ansicht, dass in Sachen Migration in fünf, spätestens zehn Jahren „alles gelöst“ sein wird. Derzeit sei die EU-Migrationspolitik ein Chaos, doch gebe es Schritte in die richtige Richtung. Und auch wenn die Politik kurzfristig denkt: „Die Regierungen können es sich einfach nicht leisten, keine Lösung zu finden.“