Der Kreml in Moskau
Cyberspionage

Massenhaft Vorwürfe gegen Russland

Russland ist am Donnerstag mit einer Vielzahl an Vorwürfen aus aller Welt konfrontiert gewesen. Europäische Staaten, die USA und Kanada, sowie Australien und die NATO stellten sich gegen die „leichtsinnigen“ Hackerangriffe des russischen Geheimdienstes – Vorwürfe, die Moskau kategorisch zurückweist.

Die Vorwürfe gegen Russland kamen am Donnerstag von einer ganzen Phalanx kritischer Staaten: Sie alle sind der Ansicht, der russische Militärgeheimdienst (GRU) stecke hinter einer Fülle an Cyberangriffen in den vergangenen Monaten.

Zunächst erneuerte am Donnerstag die britische Regierung ihre Vorwürfe und berief sich dabei auf eine Bewertung ihres Nationalen Cybersicherheitszentrums. GRU sei etwa mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in die Hackerattacke „BadRabbit“ und den Angriff auf die Welt-Anti-Doping-Behörde (WADA) 2017, auf die US-Demokraten 2016 und den Diebstahl von E-Mails eines TV-Senders in Großbritannien 2015 involviert. Großbritannien beschuldigt den Geheimdienst auch, hinter dem Giftanschlag auf den ehemaligen russischen Doppelspion Sergej Skripal und dessen Tochter in der südenglischen Stadt Salisbury zu stecken.

Angriff auf OPCW offenbar vereitelt

Diese Aktivitäten seien „leichtsinnig und wahllos“, so der britische Außenminister Jeremy Hunt. Dabei werde ohne Rücksicht auf das Völkerrecht oder etablierte Normen operiert, „und das mit einem Gefühl der Straflosigkeit und ohne Konsequenzen“. Gemeinsam mit seinen Verbündeten werde Großbritannien die Versuche der GRU, die nationale Stabilität zu untergraben, enthüllen und darauf reagieren. Auch eine Erweiterung der Sanktionen gegen Russland sei eine Option.

Sicherheitszentrum in Moskau
APA/AFP/Natalia Kolesnikova
Sitz des GRU in Moskau: Der Geheimdienst soll hinter zahllosen Attacken stecken

Starke Vorwürfe kamen am Donnerstag auch aus Den Haag: Die niederländischen Sicherheitsbehörden verhinderten nach eigenen Angaben einen Angriff russischer Hacker auf die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW). Der Angriff sei im April von russischen Agenten geplant gewesen, teilte Verteidigungsministerin Ank Bijleveld in Den Haag mit. Vier russische Staatsangehörige mit Spionageausrüstung wurden dem militärischen Abwehrdienst zufolge am 13. April in einem Hotel in der Nähe der OPCW festgenommen und nach Russland ausgewiesen. Laut Bijleveld gelang es ihnen nicht, in die OPCW-Systeme einzudringen.

Westliche Demokratien werden „untergraben“

Die niederländischen Behörden hätten Laptops und Handys der Spione beschlagnahmt und untersucht, erklärte Bijleveld. Daraus sei deutlich geworden, dass auch Hackerattacken in der Schweiz und auf die strafrechtliche Untersuchung zum Abschuss des Passagierfluges MH17 geplant waren. Im Kofferraum des Autos fanden die Behörden Spezialgeräte für Hackerangriffe.

Nach Angaben des Chefs des niederländischen Militärgeheimdienstes, Onno Eichelsheim, sind die Männer am 10. April eingereist und wurden wenige Tage später auf frischer Tat ertappt. Die Männer hätten eine Weiterreise in die Schweiz zu einem Giftstofflabor geplant, in dem die OPCW chemische Stoffe untersuchen lässt. Die Ausweisung von zwei der vier Männer war schon im September bekanntgeworden, als sie auf dem Weg in die Schweiz aufgegriffen wurden.

Hackerangriff auf Chemiewaffenorganisation

Russische Spione sollen in den Niederlanden die Chemiewaffenorganisation OPCW im Visier gehabt haben. Vier Männer wurden wegen Spionageverdachts ausgewiesen.

Der militärische Geheimdienst machte nun die Fotos und Namen aller vier Männer bekannt. Bijleveld forderte Russland zur Einstellung seiner Cyberaktivitäten auf. Sie zielten darauf ab, westliche Demokratien zu „untergraben“. Die unabhängige OPCW untersuchte zum Zeitpunkt der Ausweisung unter anderem Vorwürfe von Chemiewaffeneinsätzen im syrischen Bürgerkrieg und das für den Anschlag auf Skripal in Großbritannien verwendete Gift.

Anklagen in den USA

Neben Großbritannien und den Niederlanden werfen auch die USA Russland schwerwiegende Cyberattacken vor. Das US-Justizministerium verkündete am Donnerstag in Washington eine Anklage gegen sieben Agenten des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, sie hätten Informationen internationaler Anti-Doping-Behörden gehackt, vertrauliche Daten gestohlen und diese als Teil einer Desinformationskampagne veröffentlicht – um das Vorgehen der Behörden gegen russische Athletinnen und Athleten wegen Dopingvorwürfen zu unterlaufen.

US-Justizminister Jeff Sessions erklärte, staatlich gesteuerte Hackeraktionen und Desinformationskampagnen seien eine ernste Bedrohung für die US-Gesellschaft und die Sicherheit des Landes. Dagegen gehe man entschieden vor. Und auch Kanada ging am Donnerstag in die Offensive: Zu russischen Zielen gehöre eben auch die in Montreal ansässige WADA, erklärte das Außenministerium in Ottawa. Die kanadische Regierung sei ebenfalls überzeugt, dass der russische Militärgeheimdienst GRU für Attacken verantwortlich sei.

Tusk über „sowjetischen Geist“

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte Moskau auf, „sein rücksichtsloses Verhalten zu stoppen“. Die NATO-Verbündeten unterstützten das Vorgehen, „Russland wegen seiner unverhohlenen Versuche, internationales Recht und Institutionen zu untergraben, bloßzustellen“. Die USA sicherten zudem der NATO zu, ihre Fähigkeiten im Kampf gegen Cyberangriffe zu teilen.

Russische Diplomatenpässe
APA/AFP/Niederländisches Verteidigungsministerium
Die niederländischen Behörden veröffentlichten am Donnerstag die Identitäten der vier Russen

Auch die EU verurteilte Russlands Vorgehen und will sich beim EU-Gipfel Mitte Oktober mit dem Thema Cybersicherheit befassen. EU-Ratspräsident Donald Tusk kündigte an, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Tusk verglich Russland mit der Sowjetunion. „Der sowjetische Geist ist noch immer am Leben“, sagte er. Das habe auch die Nervengiftattacke in Salisbury gezeigt. Tusk, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprachen in einer gemeinsamen Erklärung von einer „feindlichen Cyberoperation“ des GRU auf die OPCW. „Wir bringen ernste Besorgnis über diesen Versuch zum Ausdruck, die Integrität der Organisation für das Verbot chemischer Waffen … zu untergraben“, erklärten sie.

Auch aus Österreich, derzeit EU-Ratsvorsitzland, kamen mahnende Worte. Die Bundesregierung erklärte „volle Solidarität“ mit den Niederlanden. „Österreich erwartet volle Aufklärung und diesbezügliche Kooperationsbereitschaft seitens Russlands“, hieß es am Donnerstag in einer Stellungnahme eines Regierungssprechers. Cybersicherheit sei bereits ein wichtiges Thema auf der Agenda des informellen EU-Gipfels in Salzburg und bleibe ein Schwerpunkt des österreichischen EU-Vorsitzes, hieß es weiter.

Russland weist Vorwürfe zurück

Russland weist aber jede Schuld an den Cyberangriffen zurück. Eine Sprecherin des Außenministeriums in Moskau sprach von einem „teuflischen Cocktail an Anschuldigungen“. London habe keine echten Beweise für die Anschuldigungen präsentiert. Die Fantasie der britischen Behörden kenne keine Grenzen mehr. „Hier wird einfach alles vermischt: GRU, Cyperspione und Kremlhacker. Das ist einfach eine Parfümmischung aus der Hölle“, sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa am Donnerstag in Moskau. Der Satz war eine Anspielung auf die Angaben britischer Ermittler, wonach das Nowitschok-Gift in einer Parfümprobe transportiert worden sei. Eine andere anonyme Person aus dem Ministerium nannte die Vorwürfe „absurd“ und erklärte: „Es gab keine Attacke.“