„Ich habe gedacht: Jetzt ist der Tag X gekommen, von dem immer geredet wird. Wenn die an der Macht sind, hängen sie als Erstes die Staatspolizei auf, und dann kommt die Justiz dran“, sagte Sybille G., ohne konkrete Namen zu nennen. Sie habe sich nicht erklären können, zu welchem anderen Zweck die Razzia durchgeführt hätte werden sollen. Sie habe das Konvolut mit Vorwürfen gegen Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz für Terrorismusbekämpfung (BVT) gekannt, und daraus hätte sie eigentlich nichts zu befürchten gehabt.
Zu Beginn der Befragung gab G. an, dass sie seit 1990 im Staatsschutz in verschiedenen Bereichen tätig ist. Mit August 2006 übernahm sie die Leitung des Extremismusreferats und beschäftige sich seitdem mit extremistischen Phänomenen. Kriegsverbrechen, gefährliche Drohungen gegen Politiker und Politikerinnen sowie Anschlagsplanung zählten auch zu ihrem Aufgabenbereich. Bis Juli 2017 habe sie sich auch um „Hackeraktivismus“ gekümmert.
G. nahm sich einen Sessel und sah zu
Die Chefermittlerin schilderte dem Ausschuss detailliert, was sich am 28. Februar im Staatsschutz zugetragen hatte. Kurz vor 9.00 Uhr habe G. „drei Leute hereinstürzen“ sehen. Sie sei aufgefordert worden, den Beamten der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) in ihr Büro zu folgen. „Bei mir sind vier Leute geblieben. Bei jeder Tür ist eine Wache gestanden“, erinnerte sich die BVT-Beamtin. Ihr Handy und etwaige andere Datenträger habe sie den EGS-Beamten aushändigen müssen. „Zu diesem Zeitpunkt habe ich noch keine Anordnung für die Hausdurchsuchung gesehen“, so G. weiter.
Egal ob sie sich einen Kaffee holte oder auf das WC ging, immer sei sie von einem EGS-Polizisten begleitet worden. „Mit Durchsuchung meines Büros haben sie um 11.00 Uhr begonnen“, sagte G., die darauf verwies, dass mehrere Akten auf ihrem Schreibtisch und auf der Fensterbank lagen. „Ich habe einen großen Aktenberg bei mir“, sagte sie. Während ihr Büro nach Datenträgern durchsucht wurde, habe sie sich einen Sessel genommen und zugesehen. „Normalerweise tust du bei einer Hausdurchsuchung am Anfang fotografisch dokumentieren – das haben sie alles erst später gemacht.“ Auch die Sicherstellungen seien nicht gleich dokumentiert worden.
Bis 13.00 Uhr hätten die Beamten Datenträger konfisziert. Danach hätten sie nach Angaben von G. den Auftrag bekommen, ausgedruckte E-Mails zu suchen. Das dauerte bis 16.00 Uhr. Die EGS-Beamten hätten gesagt, dass sie jede E-Mail mitnehmen müssten, wo der Name eines Beschuldigten (der Name des ehemaligen Vizechefs des BVT, Anm.) vorkommt. „Sie können mir glauben: Da war viel Sinnloses dabei. Ich habe ihnen nur noch gratuliert“, sagte G. ironisch, weil „alles so sinnlos war“, was mitgenommen worden sei. Darunter etwa Kindermusik-CDs und eine Einladung zur Weihnachtsfeier.
„EGSler sagten, sie wissen nichts“
G. habe sich wie eine Beschuldigte gefühlt, obwohl sie nur als Zeugin geführt wurde. „Die EGSler haben gesagt, sie wissen nichts. Das habe ich ihnen auch geglaubt“, sagte die Leiterin des Extremismusreferats. Insgesamt sei das Auftreten der EGS „relativ forsch“ gewesen. G. glaubt, es war den Beamten unangenehm, weil sie die Räumlichkeiten von Kollegen und Kolleginnen durchsuchen mussten. Damit bestätigte G. auch Aussagen von anderen BVT-Beamten, die von Drohungen während der Razzia sprachen.
Neben den vier EGS-Beamten war auch ein IT-Experte in ihrem Büro zugegen. Dieser habe gesagt, dass man „alles“ mitnehmen müsse. G. habe auf Kennzeichnung der Daten gedrängt, um Verluste von Unterlagen und Daten für aktuelle Strafverfahren zu vermeiden. Es sei auch nicht auszuschließen, dass EGS-Leute alleine in ihrem Büro waren. Sie hatten auch Zugriff auf einen versperrten Stahlschrank. „Sie haben die Daten auch gesichtet. Im Prinzip alle physischen Akten. Die haben die vier EGS-Leute allein gesichtet.“
BVT-U-Ausschuss: „Jetzt ist es so weit, jetzt ist Tag X“
Die Extremismus-Chefermittlerin hat Kritik an der Razzia im Staatsschutz geübt. Warum es überhaupt zu einer Hausdurchsuchung kam, konnte sie sich nicht erklären.
Insgesamt sei die Hausdurchsuchung „außer Norm und dilettantisch“ gewesen, „aber vor allem Drohgebärde und Muskelspiel. Irgendjemand wollte Aufsehen erregen, das war eine Showgeschichte“, sagte die sichtlich emotionale G. während der Befragung. Nach der Razzia in ihrem Büro habe sie Wochen gebraucht, um ihre „chaotische Ordnung“ wiederherzustellen. Die Durchführung der Hausdurchsuchung sei dem Innenministerium anzulasten, so G. Mit der leitenden Staatsanwältin Ursula Schmudermayer habe sie keine Gelegenheit gehabt, über die Razzia zu sprechen.
„Die Leute sind verunsichert“
Die Folgen der Razzia für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BVT seien eine „Katastrophe“, sagte G. „Die Leute sind verunsichert, es herrscht ein Misstrauen, man weiß nicht mehr, wem man trauen kann.“ Vor allem, weil die Hausdurchsuchung von ihrem früheren (nun suspendierten) Abteilungsleiter W. ausgelöst worden sei. Die Leute seien „erschüttert“, dass ein früherer Vorgesetzter das veranlasst habe. „Es gibt keine Unschuldsvermutung für uns“ – nicht einmal vom Innenministerium, wo sich das BVT organisatorisch befindet.
Angesprochen auf eine möglichen Ausschluss aus dem informellen Sicherheitsgremium Berner Club, den die BVT-Rechtsexpertin Michaela K. vor wenigen Wochen im Ausschuss erwähnt hatte, sagte G., dass es zu einigen Zwischenfällen gekommen sei. So sei einem ihrer Mitarbeiter nicht erlaubt worden, eine Dienstreise anzutreten. Gründe dafür konnte die Extremismusexpertin allerdings nicht nennen. Doch aufgefallen sei ihr einmal, dass auf einer Einladung zu einem Geheimdiensttreffen „Except Austria“ vermerkt wurde.
Ein Partner eines ausländischen Dienstes habe im Mai, also wenige Wochen nach der Hausdurchsuchung, gesagt, er dürfe keinen Kontakt mit dem BVT haben. G. betonte aber vor dem Ausschuss, dass das Vertrauen nicht nur aufgrund der Hausdurchsuchung „erschüttert“ sei. „Die Länder schauen sich ja alles genau an, die politische Landschaft und so“, sagte die Leiterin des Extremismusreferats.
Zur Pensionierung gedrängt
Ebenfalls im Mai soll die Generaldirektorin für die öffentliche Sicherheit, Michaela Kardeis, G. zu einer freiwilligen Pensionierung gedrängt haben. Außerdem solle sie, G., ihre „Frontalangriffe“ gegen Generalsekretär Peter Goldgruber unterlassen. G. hatte nach der Razzia eine Beschwerde gegen die Hausdurchsuchung eingebracht und das aus ihrer Sicht fahrlässige Vorgehen dabei kritisiert. „Ich nehme an, dass das der Hintergrund der Aussage war“, so die BVT-Beamtin.
Kardeis habe sie nach Ostern zu sich gebeten und gesagt, „die wollen dich loswerden“. „Das wird ganz brutal werden“, habe Kardeis gesagt und das „wohl gut gemeint“ und dann als „sanftere Methode“ die freiwillige Pensionierung vorgeschlagen. „Ich habe gesagt, ich gehe sicher nicht freiwillig in Pension, schon gar nicht in dieser Phase. Weil dann heißt es, irgendwas wird schon gestimmt haben, und ich bin nicht der Sündenbock für andere.“
Persönliche Befindlichkeiten im BVT
Was G. auch störte, war, dass die Belastungszeugen, die von einem Kabinettsmitarbeiter des Innenressorts an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vermittelt wurden, angeblich um ihr Leben fürchteten und deshalb anonymisiert wurden. „Was glaubt man denn? Dass bei uns lauter Mörder und Gewalttäter unterwegs sind?“ Sehr bald sei ihr aber klar gewesen, dass die Informationen, die zur Hausdurchsuchung führten, von Ex-Abteilungsleiter W. kamen. Er sei enttäuscht gewesen, so G.
Man habe ihr auch eine amouröse Beziehung zum beschuldigten Ex-BVT-Vizechef unterstellt. Das habe sie aber belustigt. Ärgerlicher sei, dass nach der Hausdurchsuchung in diversen einschlägigen Foren Gerüchte über sie gestreut worden seien. „Dass das kein Zufall war, die Hausdurchsuchung“, in anderen Foren sei ihre SPÖ-Nähe betont worden. Man habe „versucht, mir zu unterstellen, dass ich meine Tätigkeit einseitig politisch ausübe. Und gegen das verwehre ich mich auf alle Fälle.“
Dass es in der Staatsschutzbehörde auch um persönliche Befindlichkeiten geht, untermauerte auch G. So habe ihr ehemaliger Abteilungsleiter W., der auch zu den Belastungszeugen gehört, einen „Verfolgungswahn“ gehabt. Er habe sich hintergangen gefühlt. Die Frage, ob er mit der Razzia habe Rache üben wollen, bejahte G. Aber sie glaube, dass sie nicht zur „Hauptzielgruppe“ gehörte, sondern der ehemalige BVT-Vizechef Z. und der frühere Kabinettschef des Innenministeriums, Michael Kloibmüller.