Eine Obstschale mit Obst und Gemüse
ORF.at/Dominique Hammer
Lebensmittelstandards

Neue Richtlinie schlägt hohe Wellen

Eine neue EU-Richtlinie gegen unlautere Praktiken im Lebensmittelhandel soll kleinere Produzenten und Landwirtschaftsbetriebe gegen die Großen der Branche und eventuellen Druck von oben schützen. Aktuell lässt sie allerdings die Wogen hochgehen.

Die Sorge ist, dass mit dem Gesetz Standards fallen würden, die über das rechtliche Minimum hinausgehen und zwischen Hersteller und Abnehmer vereinbart wurden. Außerdem könnten kleine Nahversorger Probleme bekommen, lautet eine weitere Befürchtung. Anlass sind zwei zusätzliche Anträge zu dem Gesetz, die kürzlich im EU-Parlament eingebracht wurden.

Auf jeden Fall sehen viele Seiten bei der Richtlinie über unlautere Handelspraktiken (UTP) dringenden Reparaturbedarf. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace etwa sprach am Donnerstag und Freitag in Aussendungen von einem „Angriff“ auf den oft zitierten „Feinkostladen Österreich“ und äußerte Bedenken, dass künftig Supermärkte keine von Konsumentinnen und Konsumenten „erwünschten und über EU-Regelungen hinausgehenden Standards mehr verlangen dürfen. Dadurch würden viele höhere Standards bei Gesundheit sowie Umwelt- und Tierschutz verboten“.

Bereits am Donnerstag hatten sich der Handelsverband und der Vorstandsvorsitzende der Supermarktkette Spar, Gerhard Drexel, zu Wort gemeldet. Die Richtlinie, die kürzlich durch den Landwirtschaftsausschusses des EU-Parlaments ging, „geht auf Kosten der heimischen Lebensmittelnahversorgung und des Tierschutzes“, sagte der Geschäftsführer des Handelsverbandes, Rainer Will: Von Konsumentinnen und Konsumenten gewünschte Mehrwertprodukte wie „bio“ oder „ohne Gentechnik“ würden verboten werden.

„Absurder als absurd“

Ähnlich Drexel, der seine Kritik am Freitag im Ö1-„Mittagsjournal“ wiederholte. Die Situation sei „absurder als absurd“, man müsse seine Produzenten nun dazu anhalten, Rezepturen zu verändern, die Qualität nach unten zu schrauben, Tierwohl- und Umweltschutzstandards nach unten zu nivellieren. Spar hat in letzter Zeit seine Eigenmarken stark ausgebaut, mit dem Änderungsantrag 361 könne man von seinen Produzenten nichts mehr verlangen, das „über die gesetzlichen Mindeststandards hinausgeht“, etwa beim Pestizideinsatz, so Drexel.

Stimmt so nicht, sagte am Freitag im Ö1-„Journal“ Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP). Es werde kein komplettes Verbot höherer Standards geben, außerdem wolle sie sich gegen den betreffenden Zusatzantrag aussprechen. Höhere Standards seien sinnvoll, aber die Handelsketten müssten sie auch abgelten. Der aktuelle Aufschrei sei jedenfalls „absolut überzogen“ – Audio dazu in oe1.ORF.at

Warnung vor höheren Preisen

Die Angst um das „Mehr“ an Qualität ist nicht der einzige strittige Punkt der geplanten Richtlinie. Ein weiterer ist das Verbot von Zusammenschlüssen von Einzel- und Großhändlern zu Einkaufsgemeinschaften, enthalten in Abänderungsantrag 360. Dieses Verbot wird allerdings ebenfalls unterschiedlich interpretiert. Es würde die Zusammenarbeit mit selbständigen Kaufleuten treffen, warnt Drexel.

Vom Handelsverband hieß es in einer Aussendung, der Antrag torpediere das Franchise-Modell im Lebensmittelhandel, die „Zerschlagung funktionierender genossenschaftlicher Strukturen in der Lebensmittellieferkette“ würde am Ende zu höheren Verbraucherpreisen führen.

Heftige Debatte auch in Deutschland

In Österreich wären von der neuen Regelung rund 1.000 Klein- und Mittelbetriebe und 15.000 Arbeitsplätze betroffen, warnte der Verband. „Kein kleiner Kaufmann kann heute zu adäquaten Preisen global beschaffen, weil er einfach nicht die entsprechenden Mengen bezieht.“

Die Abänderungsanträge wurden von vier deutschen CDU/CSU-Abgeordneten eingebracht. Einer davon, Albert Deß (CSU), versicherte gegenüber der deutschen Zeitung „Die Welt“, es seien nur supranationale Zusammenschlüsse gemeint, keine Einkaufsgemeinschaften wie etwa bei REWE. Die deutsche Zeitung hatte am Donnerstag geschrieben, die EU-Unionsabgeordneten setzten die Existenz des Lebensmittelriesen aufs Spiel. Auch in Deutschland schlägt die neue EU-Richtlinie hohe Wellen.

Sinn der ganzen Regelung, als Vorschlag von der EU-Kommission im April präsentiert, ist es, Landwirte und kleinere Lebenmittelhersteller vor unfairer Behandlung durch große Handelskonzerne zu schützen. Unter anderem sollten Last-Minute-Stornierungen bei verderblichen Produkten untersagt werden. Auch deutlich verspätete Zahlungen sollen etwa nicht mehr erlaubt sein.

„Klarstellung“ von Köstinger

Da es mehrfach geheißen hatte, Ministerin Köstinger unterstütze die UTP-Richtlinie, sah sich ihr Büro am Freitag zu einer „Klarstellung“ veranlasst. Es entstehe der Eindruck, „als würde die Bundesministerin den Vorschlag des EU-Parlaments gutheißen oder unterstützen. Das ist nicht der Fall“. Korrekt sei, dass die österreichische EU-Ratspräsidentschaft und Köstinger „das Vorhaben, eine Richtlinie zu diesem Thema zu erarbeiten, nicht aber die Position (Abänderungsantrag 361), die das EU-Parlament dazu einnimmt“, unterstützten. Die Positionen von Ratsvorsitz, Kommission und EU-Parlament seien oft stark unterschiedlich und würden "dann „verhandelt, bis man zu einem gemeinsamen Ergebnis kommt“, hieß es in der Aussendung am Freitag.

„Unfaire Handelspraktiken sind inzwischen ein großes Problem. Für uns ist wichtig, dass wir gemeinsam an einer Richtlinie arbeiten, damit Bäuerinnen und Bauern auf Augenhöhe mit den großen Ketten verhandeln können. Selbstverständlich soll es dabei auch einen Spielraum für die Setzung höherer Qualitätskriterien geben, allerdings in Partnerschaft zwischen Produzenten und Handel sowie in größtmöglicher Transparenz und Fairness gegenüber den Bauern“, so Köstinger.