Großdemonstration für eine offene und solidarische Gesellschaft in Berlin
Reuters/Michele Tantussi
Über 200.000 in Berlin

Massenproteste gegen Rechtsruck

Über 200.000 Menschen haben in Berlin gegen den politischen Rechtsruck in Deutschland demonstriert. „Sagt es laut, sagt es klar, wir sind alle unteilbar“, skandierte die Menschenmenge am Samstag bei der Kundgebung. Die Demonstration war deutlich größer als erwartet. Erwartet worden waren 40.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Deshalb sei die Demonstration „ein Erfolg“, erklärte das Bündnis „Unteilbar“ mit Blick auf die geschätzte Zahl der Teilnehmenden. Möglicherweise handle es sich sogar um 242.000 Demonstrierende. Die Demonstration stand unter dem Motto: „Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung“. Der Protest richtet sich gegen rechte Hetze, Diskriminierung, das Flüchtlingssterben auf dem Mittelmeer und Kürzungen im Sozialsystem.

Der Zählung habe man die Quadratmeterzahl der Strecke zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule zugrunde gelegt und dabei zwei bis drei Menschen pro Quadratmeter angenommen, erläuterte Felix Müller von den Initiatoren des Protestmarsches. Dazu sei die Zahl der übrigen Teilnehmenden außerhalb dieses Abschnitts geschätzt worden. Die gesamte Strecke der Demonstration vom Alexanderplatz bis zur Siegessäule beträgt rund sechs Kilometer.

„Zufrieden mit der Resonanz“

„Unteilbar“ ist ein Bündnis aus Tausenden Vereinen, Verbänden und Organisationen. „Wir appellieren hier heute gar nicht so sehr an die Politik, sondern wir appellieren hier heute an die Zivilgesellschaft“, sagte Bündnissprecherin Theresa Hartmann der Nachrichtenagentur AFP. „Die Leute müssen merken: Wir müssen selbst etwas bewegen, damit sich etwas ändert.“

Großdemonstration für eine offene und solidarische Gesellschaft in Berlin
APA/AFP/John Macdougall
„Solidarität statt Ausgrenzung“ – unter diesem Motto gingen Zigtausende Menschen in Berlin auf die Straße

Als die Demonstrationsspitze auf ihrem Weg bereits das Brandenburger Tor erreicht hatte, standen die letzten Teilnehmenden noch auf dem gut zwei Kilometer entfernten Alexanderplatz. Ziel war die Siegessäule im Tiergarten, wo die Abschlusskundgebung mit Auftritten verschiedener Musiker stattfinden sollte. „Wir sind wahnsinnig zufrieden mit der Resonanz“, sagte Felix Müller von der Initiative „Unteilbar“ der dpa. Das bestätige, dass viele Menschen ein Zeichen gegen rechts und für Solidarität hätten setzen wollen.

Dem Bündnis schlossen sich etliche kirchliche Organisationen, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Parteien an. Die Demonstration war dementsprechend bunt: Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt und Amnesty International waren vertreten, aber auch Parteien wie die Linke, die Grünen und die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands sowie feministische und von Migranten und Migrantinnen organisierte Gruppen.

Massendemo gegen Rechtsruck

Zehntausende Menschen wandten sich in Berlin gegen den Rechtsruck. Auch zahlreiche Prominente sowie Politiker und Politikerinnen waren dabei.

Zahlreiche Künstler mit dabei

Unzählige Demonstrierende hatten Transparente, Plakate und Luftballons dabei. Auf den Plakaten war etwa zu lesen „Seenotrettung ist kein Verbrechen“, „Rassismus ist keine Alternative“ und „Nein zur Hetze gegen Muslime“. Auch an die Opfer der rassistisch motivierten NSU-Morde erinnerten die Teilnehmenden mit Bannern. Ein riesiges Transparent trug die Aufschrift „Solidarität mit den Opfern rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“.

Mancherorts wirkte die Veranstaltung aber auch wie eine große Party: Technomusik tönte aus Boxen, mit Glitzer beschmierte Menschen tanzten und tranken Bier. Zu Zwischenfällen kam es nicht, teilte die Polizei am Nachmittag mit. Rund 900 Beamte und Beamtinnen waren den Angaben zufolge im Einsatz, um den Demonstrationszug abzusichern.

Demonstranten auf Boot anlässlich einer Großdemonstration für eine offene und solidarische Gesellschaft in Berlin
Reuters/Michele Tantussi
Sogar Boote wurden mit Transparenten dekoriert

Unterstützt wird das Bündnis außerdem von Kunstschaffenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie anderen Intellektuellen und Prominenten – etwa dem Satiriker Jan Böhmermann, dem Schauspieler Benno Fürmann und der Band Die Ärzte.

Grönemeyer: Niemand ist deutscher als andere

Bei der Abschlusskundgebung traten auch die Liedermacher Konstantin Wecker und Herbert Grönemeyer auf. Grönemeyer äußerte sich zum Rechtsruck in Deutschland. „Wir sind ein sehr, sehr junges, zerbrechliches Land, und wir haben uns unsere Freiheit über Jahre sorgsam gemeinsam erarbeitet. Sie ist nicht selbstverständlich oder in Stein gemeißelt“, sagte Grönemeyer am Abend an der Siegessäule, wo er zwei Lieder spielte. „Wir stehen auf dem Prüfstand, und es gilt viel zu verteidigen. Niemand ist deutscher als andere, es gibt nicht das Deutschland, sondern es gibt Millionen Deutschlands. Und das ist die untrennbare Schönheit dieses Landes.“

Eine weitere Demonstration gegen Rassismus, Diskriminierung und Nationalismus fand am Samstag zudem in Frankfurt am Main statt. Dort stand die Kundgebung unter dem Motto „Wirsindmehr“.

Auch Nahles und Maas sagten Unterstützung zu

SPD-Chefin Andrea Nahles hatte zur Teilnahme an der Kundgebung in Berlin aufgerufen. „Wir müssen Gesicht zeigen für eine solidarische Gesellschaft, für unseren Sozialstaat, für ein friedliches und respektvolles Miteinander“, sagte sie am Samstag. Auch ihr Parteikollege und Außenminister Heiko Maas brachte seine Unterstützung zum Ausdruck. Es sei „ein großartiges Signal, dass so viele auf die Straße gehen und klare Haltung zeigen“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag-Ausgaben). Eine gesellschaftliche Vielfalt bei Herkunft, Hautfarben, Religionen und Lebensstil sei eine Bereicherung, keine Bedrohung.

Großdemonstration für eine offene und solidarische Gesellschaft in Berlin
Reuters/Michele Tantussi
Der Demonstrationszug erstreckte sich vom Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor

Dagegen unterstützte die Berliner CDU die Demonstration ausdrücklich nicht. Zur Begründung wies ihr Generalsekretär Stefan Evers darauf hin, dass der Anmelder ein Anwalt der „Roten Hilfe“ sei, einer Organisation, die „linksextremistische Verbrecher“ unterstütze. Zudem werde die Aktion „von vielen anderen dubiosen Organisationen“ mitgetragen.

Wagenknecht sorgte für Verwirrung

Aufseiten der Linken nahmen unter anderen die deutsche Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und Berlins Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher teil. Die Vorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, wies Berichte zurück, sie habe der „Unteilbar“-Demonstration eine Absage erteilt.

Die von ihr gegründete linke Sammlungsbewegung „Aufstehen“ erklärte am Freitag, dass Wagenknecht den Aufruf zu der Demo zwar inhaltlich kritisiert habe, aber unabhängig davon befürworte, „dass möglichst viele Menschen gegen Rechtsentwicklung und Rassismus auf die Straße gehen“. Zugleich werbe sie dafür, in Zukunft auch Menschen in diesen Protest einzubeziehen, „die für eine Regulierung der Migration eintreten“. Die Initiatoren der Demonstration rufen dazu auf, für das Recht auf Schutz und Asyl und gegen die Abschottung Europas zu streiten. Wagenknecht hatte zuletzt öfter vor offenen Grenzen für alle und einer unbegrenzten Migration in den deutschen Arbeitsmarkt gewarnt.

„‚Aufstehen‘ hat sich blamiert“

Unter anderen Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner rügte Wagenknecht wegen ihrer Kritik an dem Aufruf zur Demo. „Sahra Wagenknechts ‚Aufstehen‘ hat sich in meinen Augen blamiert und diskreditiert“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (Samstag-Ausgabe). Dass sich vor allem die AfD über Wagenknechts Kritik an der Demonstration freue, sage doch schon alles.

Wagenknechts Kovorsitzender Dietmar Bartsch sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Samstag-Ausgabe): „Die Linksfraktion im Bundestag hat beschlossen, zur Teilnahme an der ,Unteilbar‘-Demonstration aufzurufen. Ich persönlich werde auch gern dabei sein. Dass Sahra Wagenknecht sich von diesem Aufruf distanziert, habe ich mit Verwunderung zur Kenntnis genommen.“