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ORF.at/Christian Öser
Staatsziel Wirtschaft

Der Wackelkandidat der Regierung

Dass der Wirtschaftsstandort – neben dem Umweltschutz – als Staatsziel in die Verfassung geschrieben wird, ist der ÖVP-FPÖ-Regierung ein großes Anliegen. Am Mittwoch kommt das Regierungsvorhaben in den Verfassungsausschuss. Eine Zweidrittelmehrheit mit NEOS galt bereits als sicher. Doch nun wackelt das umstrittene Vorhaben erneut.

Zunächst schien für die Regierung noch alles in geordneten Bahnen zu laufen. In Verhandlungen mit NEOS einigten sich ÖVP und FPÖ auf eine „sinnvolle Formulierung“ der Staatszielbestimmung, wie NEOS-Verfassungssprecher Nikolaus Scherak im ORF.at-Gespräch am Montag sagte. „Am Ende haben wir ein Gleichgewicht zwischen Wirtschaft und Umwelt reinreklamiert“, betonte er weiter. Nun sei das Staatsziel entgegen dem von der Regierung eingebrachten Gesetzesvorschlag „ganz anders“.

Konkret lautet das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Regierung und NEOS: „Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu einem nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort als eine Voraussetzung für Wohlstand und Beschäftigung.“ In der ursprünglichen Fassung waren die Begriffe „nachhaltig“ und „Wohlstand“ nicht enthalten. „Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort als Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung“, hieß es laut Regierungsvorlage.

NEOS drückt die „Stopptaste“

NEOS hätte dem eigenen Verhandlungsergebnis freilich zugestimmt. Einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat, die für den Zusatz in der Bundesverfassung notwendig ist, stand also nichts mehr im Weg. Nur noch an der SPÖ im Bundesrat hätte das neue Staatsziel scheitern können. Denn auch dort wird eine Zweidrittelmehrheit benötigt, zu der aber nur die SPÖ beitragen kann. Der SPÖ-Fraktionschef im Bundesrat, Reinhard Todt, will derzeit aber weder über eine Zustimmung noch über ein vorläufiges Veto sprechen. „Ich gehe davon aus, dass wir uns darüber noch beraten werden, wie wir das auch bei allen anderen Gesetzen tun“, ließ er im ORF.at-Gespräch wissen.

Ob das Vorhaben der Regierung überhaupt in den Bundesrat kommt, ist derzeit ohnehin fraglich. Denn NEOS drückte die „Stopptaste“. Man werde „ernsthaft überlegen“, ob man dem Staatsziel noch zustimme, so Scherak. Grund ist die Novelle der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), der zufolge ein Verein als Voraussetzung für die Parteistellung in einem UVP-Verfahren mindestens 100 Mitglieder und ein Verband mindestens fünf Vereine umfassen muss. Zudem sollen Vereine mit mehr als 100 Mitgliedern eine Liste mit deren Namen und Anschriften offenlegen, ansonsten bleibt auch ihnen die Mitsprache verwehrt.

Anfang Oktober stimmte die Opposition im Umweltausschuss gegen die Novelle, ÖVP und FPÖ dafür. Die zuständige Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) verteidigte die Novelle am Sonntag in der ORF-„Pressestunde“. „Mit dem Gesetz stärken wir die Mitwirkungsrechte der Nichtregierungsorganisationen“, sagte die Ressortchefin über ihren eingebrachten Regierungsvorschlag. Dass NGOs nachweisen müssen, dass sie „wirklich die Interessen von vielen vertreten“ und nicht eine „Zweimannorganisation“ seien, die durch das Land ziehe und Verfahren beeinspruche, sei ein Vorschlag der Klubs gewesen.

WWF hofft auf Gesprächstermin

Sauer stößt Scherak auch die Ansage Köstingers auf, dass es diese Woche einen Gesprächstermin mit NGOs und den Umweltsprechern der Parteien gebe. „Den Termin gibt es nicht“, so der NEOS-Politiker. Auch der Umweltschutzverband WWF spricht in einer Stellungnahme von einer „Gesprächsverweigerung“ seitens der Umweltministerin. Gemeinsam mit Global 2000 und Greenpeace fordert der Umweltschutzverband einen Krisengipfel mit Köstinger, um die UVP-Hürden für NGOs noch zu stoppen.

„Allfällige Unklarheiten ausräumen“

Aus dem Büro Köstingers hieß es auf ORF.at-Anfrage vom Montag, dass der Gesprächstermin am Mittwoch stattfinden werde. Es sei „die Gelegenheit, um in aller Ruhe allfällige Unklarheiten auszuräumen bzw. zu diskutieren. Das ist auch die richtige Ebene, denn der Antrag liegt nun zur Behandlung im Parlament und wurde von den Umweltsprechern im Ausschuss eingebracht“, so Köstingers Sprecher Daniel Kosak in einer schriftlichen Stellungnahme. Aus dem Umweltministerium hieß es zudem, dass das neue UVP-Paket NGOs deutlich mehr Mitspracherecht als bisher einräume.

Die Bundesregierung plant laut den Umweltschützern eine einseitige Kräfteverschiebung zugunsten kritischer Großprojekte. Denn auf das umstrittene Staatsziel Wirtschaftsstandort folgten noch ein eigener Standortanwalt, der in UVP-Verfahren Umweltanliegen kleinreden solle, sowie ein besonders gefährliches Standortentwicklungsgesetz, das potenziell umweltschädliche Großprojekte mit einer rechtswidrigen Genehmigungsautomatik durchboxen wolle. Parallel dazu gebe es sehr konkrete Pläne, hohe Umweltstandards auf die Mindestvorgaben von EU-Richtlinien zurechtzustutzen.

Bedauern bei Schrammböck

ÖVP-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck bedauert das Abrücken von NEOS. Das sei eine „bedauerliche Entwicklung. Ein starker Standort schafft Arbeitsplätze und Wachstum, und das sollte im Interesse aller Parteien sein.“ Die Verankerung der Wirtschaft als Staatsziel sei sinnvoll und notwendig, so Schramböck in ihrer Reaktion. Dabei ging sie aber nicht auf die umstrittenen geplanten UVP-Änderungen ein.

Nach dem Appell von Schramböck sieht sich die Oppositionspartei nicht als alleinigen Adressaten an: Es gehe um den Entwurf zu Umweltverträglichkeitsprüfungen, daher solle sich Schramböck an ihre Parteikollegin Köstinger wenden, die „totale Gesprächsverweigerung“ betreibe. „Wir sind jederzeit für Gespräche zu den UVP-Verfahren bereit und warten immer noch auf den Anruf von Frau Köstinger“, so Scherak. „Eventuell wäre es für die Verbindung von Wirtschaftswachstum und Umweltschutz grundsätzlich hilfreich, wenn Wirtschafts- und Umweltministerin miteinander reden würden.“

Kritik an NEOS, „die zur Vernunft kommen sollen“, kam indes auch von ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer. Die Freiheitliche Wirtschaft (FW) griff NEOS am Dienstag ebenfalls an. Das Vorgehen der „selbst ernannten Wirtschafts- und Reformbewegung“ NEOS sei „unwürdig“, so FW-Chef und WKÖ-Vizepräsident Matthias Krenn in einer Aussendung. „Dass sich die NEOS nun dermaßen stark für die NGO machen und sich damit an der linken Wirtschaftsbehinderungspolitik beteiligen, ist eine neue Dimension in der österreichischen Interessenspolitik“, so Krenn. Er hoffte, dass die Oppositionspartei „ihren wirtschaftspolitischen Umfaller“ noch ändern werde.

SPÖ will Sozialstaat in Verfassung

Am Dienstag meldete sich auch die SPÖ zu Wort. Die Sozialdemokraten fordern, dass der Sozialstaat und die Vollbeschäftigung als soziale Grundrechte in der Verfassung verankert werden sollen. „Das Vorhaben der Regierung, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zum obersten Staatsziel zu machen, ist ein weiterer Beweis dafür, dass es Kurz und Strache ausschließlich um die Interessen der Konzerne und nicht um jene der Menschen geht. Bevor wir über eine derartige Änderung der Verfassung reden, müssen der Sozialstaat und die Vollbeschäftigung als soziale Grundrechte in der Verfassung verankert werden“, wurden SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch und SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann in einer Aussendung zitiert.

Feilschen um das Staatsziel

Die Pläne für ein Staatsziel Wirtschaft sind freilich nicht neu. Bereits die SPÖ-ÖVP-Vorgängerregierung wollte ein solches in der Verfassung festschreiben. Auslöser war das Urteil zur dritten Piste auf dem Flughafen Wien-Schwechat – das Bundesverwaltungsgericht hatte deren Bau aus Umweltgründen zumindest vorläufig untersagt. Während Industrie und Wirtschaft die Pläne der Regierung goutieren, fürchten NGOs, dass dadurch der Umweltschutz aufgeweicht wird.

Ende April erklärte die SPÖ, dass man dem Regierungsvorhaben keine Zustimmung erteilen werde. Eine Staatszielbestimmung Wirtschaft sei „im besten Fall überflüssig“, und „im schlimmsten Fall“ unterminiere sie den Umwelt- und Arbeitnehmerschutz. Auch die Liste Pilz, die für eine Zweidrittelmehrheit nicht infrage kommt, schloss eine Zustimmung aus. Nur NEOS zeigte sich auf ORF.at-Anfrage abwartend. Grundsätzlich sehe man Staatszielbestimmungen „eher kritisch“. Aber man sei zu Gesprächen bereit, wenn ein „Gesamtpaket“ aus Bürokratieabbau, Schuldenbremse und Änderung der Gewerbeordnung angeboten wird.

So war NEOS zu den Verhandlungen über eine neue Formulierung des Staatsziels eingeladen. Laut „Presse“ feilschten an vorderster Front ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl sowie ÖVP-Verkehrssprecher Andreas Ottenschläger und FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan für die Regierung. Für NEOS saß eben Scherak am Verhandlungstisch. „Ökonomie und Ökologie sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander langfristig“, wird etwa Ottenschläger zitiert. Auch Scherak vertritt diese Meinung, beides sei wichtig. Trotzdem irritiere ihm das „undurchsichtige Spiel“ der Regierung „massiv“.