Brett Kavanaugh
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Umkehr der Opferrolle

Ablenkungsmanöver und Gegenangriffe

Ein Jahr und mehr als 18 Millionen #MeToo-Tweets später, werden Frauen nach wie vor von der Rolle des Opfers in die des Täters gedrängt. Dabei entlarvt schon die Statistik die Taktik, Frauen unter Generalverdacht zu stellen, als Ablenkungsmanöver. Ein besonderer Fall ist jener von Sigi Maurer, die unerwartet zur Angeklagten wurde.

Von Brett Kavanaugh über Ronaldo bis hin zum Wiener Besitzer eines Craft-Beer-Geschäfts, sie alle wurden in den vergangenen Wochen der sexualisierten Gewalt gegenüber Frauen beschuldigt. Die Palette reicht dabei von obszönen Nachrichten bis zu Vergewaltigungsvorwürfen. So unterschiedlich die Fälle auch sein mögen, eines ist allen gemein: Die Frauen wurden von der Offensive in die Defensive gedrängt.

So auch der Fall bei der früheren Grünen-Abgeordneten Maurer. Nachdem Mauer an sie gerichtete obszöne Nachrichten in Sozialen Netzwerken veröffentlicht hatte und darin den Besitzer eines Biergeschäfts als Verfasser beschuldigte, wurde sie, nicht rechtskräftig, zu einer Strafzahlung von 7.000 Euro wegen übler Nachrede verurteilt.

Sigrid Maurer
APA/Georg Hochmuth
Nachdem Sigrid Maurer an sie gerichtete obszöne Nachrichten veröffentlicht hat, muss sie nun 7.000 Euro zahlen

Maurer zeigte sich nach der Urteilsverkündung gegenüber Medien „sehr erschüttert“ und wird in Berufung gehen. Unterstützung bekommt sie dabei von der früheren Frauenministerin und SPÖ-Frauenvorsitzenden Gabriele Heinisch-Hosek: „Im Fall Sigrid Maurer findet eine De-facto-Täter-Opfer-Umkehr statt.“ Sie fordert, dass Frauen besser vor Hass und Sexismus geschützt werden.

Opfer-Täter-Umkehr als „Verteidigungsstrategie“

Dass Frauen vom Opfer zum Täter gemacht werden, sei eine Verteidigungsstrategie des Beschuldigten, zeigt sich Andrea Brem, Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser, gegenüber ORF.at überzeugt. „Das Problematischste dabei ist, dass Frauen bei Sexualdelikten immer noch unter Generalverdacht gestellt werden und ihnen unterstellt wird, nicht die Wahrheit zu sagen", so Brem.

Oft wird versucht, vom Verhalten des Täters auf die Schuldfrage des Opfers umzulenken. „Klassiker waren hier früher der kurze Rock oder die Frau, die nachts alleine auf die Straße geht. All diese Dinge sind Victim-Blaming und beschuldigen letztlich die Opfer. Viele Männer haben zudem, warum auch immer, Angst, selbst Opfer einer Falschbeschuldigung zu werden“, so Brem.

Sexualisierte Gewalt

Feministen und Feministinnen verstehen sexualisierte Gewalt nicht als Ausleben sexueller Bedürfnisse, wie es etwa der Begriff der sexuellen Gewalt nahelegt, sondern interpretieren diese als Ausübung von Macht. Zu dieser Art physischer und psychischer Gewalt zählen Handlungen mit geschlechtlichem Bezug ohne Einwilligung der Betroffenen.

Der Mythos der Falschbeschuldigungen

Auch in der „SZ“ war kürzlich zu lesen, dass, wenn Frauen Männer sexualisierte Gewalt vorwerfen, es einen gesellschaftlichen Reflex gebe. „Anstatt den Anschuldigungen zunächst Glauben zu schenken, werden sofort Gründe und Motive bemüht, warum diese falsch sein könnten“, heißt es in dem Bericht.

Zurückführen sei das auf den „wirkmächtigen Mythos der Falschbeschuldigen“, der das Problem von der gesellschaftlich vorherrschenden Kultur auf die Frauen umleite. Zitiert wird dabei auch die Feministin Rebecca Solnit: „Viele Frauen, die Geschichten von Männern erzählen, die sie verletzt haben, werden als verrückt bezeichnet oder als bösartige Lügnerinnen. Weil es so viel leichter ist, eine Frau den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen als eine ganze Kultur.“

Minimaler Anteil an Falschbeschuldigungen

Dabei liegt der Anteil an Falschbeschuldigungen bei tatsächlich angezeigten Vergewaltigungen, je nach Studie, zwischen zwei und acht Prozent, durchschnittlich also bei fünf Prozent. Zu beachten ist, dass der größte Teil an Vergewaltigungen aus Angst vor Stigmatisierung nicht zur Anzeige gebracht wird.

In Österreich gab es laut Innenministerium im ersten Halbjahr 374 Anzeigen wegen Vergewaltigung. Kein einziger Täter davon war eine Frau. Auch laut Informationen der Wiener Frauenhäuser sind Männer deutlich häufiger Täter und Frauen häufiger Opfer sexualisierter Gewalt. Wenn auch selten, gibt es natürlich Fälle, wo dies nicht zutrifft, wie zuletzt bei der italienischen Schauspielerin Asia Argento, die einen Minderjährigen zu sexuellen Handlungen genötigt haben soll.

#MeToo-Demo
APA/AFP/Mark Ralston
„Egal, was wir tragen. Egal, wohin wir gehen. Ja heißt ja und nein heißt nein“ – Frauen wehren sich gegen die Täterrolle

Dennoch: In Österreich waren lediglich 5,75 Prozent der Vergewaltigungsopfer Männer. Statistisch gesehen ist es folglich wahrscheinlicher, als Mann einer Vergewaltigung zum Opfer zu fallen als fälschlicherweise einer bezichtigt zu werden.

„Beängstigende Zeit für junge Männer“

Die Angst von Männern vor falschen Beschuldigungen scheint dennoch groß zu sein. Erst Anfang Oktober kommentierte US-Präsident Donald Trump die Ermittlungen rund um die Missbrauchsvorwürfe gegen seinen Supreme-Court-Kandidaten Brett Kavanaugh mit den Worten: „Es ist eine beängstigende Zeit für junge Männer in Amerika. Man kann angeklagt werden, bevor man seine Unschuld bewiesen hat.“

Angesichts der Debatte über Missbrauchsvorwürfe gegen den Supreme-Court-Kandidaten Brett Kavanaugh sieht US-Präsident Donald Trump junge Männer in den USA generell gefährdet. „Man kann angeklagt werden, bevor man seine Unschuld bewiesen hat", sagte er.

Mittlerweile hat sich sogar ein eigener Hashtag etabliert: „HimToo“. Unter diesem machen vor allem Antifeministen und Antifeministinnen Stimmung gegen die „MeToo“-Bewegung, indem sie Frauen sexistisches Verhalten und falsche Vergewaltigungsbeschuldigungen vorwerfen.

Frauenhäuser-Geschäftsführerin Brem hingegen kann nicht nachvollziehen, warum die Glaubwürdigkeit von Frauen in diesem Bereich in Frage gestellt wird, schließlich würde kaum jemand aus „Jux und Tollerei“ und ohne Anlass eine Vergewaltigung zur Anzeige bringen. „Man muss bei der Polizei aussagen und bis ins kleinste Detail erzählen, wer wann wie wo hingegriffen hat, das ist wirklich extrem intim und belastend“, so Brem. „MeToo“, egal wie man dazu stehe, habe Brems Meinung nach zudem deutlich gemacht, dass es sich hierbei um ein weltweites Problem handle. „Das immer noch zu negieren ist heftig und nicht mehr zeitgemäß“, sagt Brem.

Taskforce zu Opferschutz und Täterarbeit

Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) will die gesellschaftliche Grundeinstellung daher so verändern, „dass niemand mehr solchen Situationen ausgesetzt ist. Und, dass von betroffenen Hilfe und Beratung in Anspruch genommen wird.“ Ziele, die durch eine Anfang Mai ins Leben gerufene Untergruppe der Taskforce Strafrecht erreicht werden sollen.

Grafik zur Taskforce Strafrecht
Grafik: ORF.at; Quelle: BMI

Die Kommission „Opferschutz und Täterarbeit“ beschäftige sich intensiv mit der Frage, wie in diesem Bereich mehr Bewusstsein geschaffen werden kann, sagt Martina Berger, Pressesprecherin der Staatssekretärin, gegenüber ORF.at. Unter Einbeziehung von NGOS und Opferschutzeinrichtungen soll etwa die Präventionsarbeit ausgebaut werden, damit „Täter gar nicht erst zu Tätern werden“, so Berger.

Da gerade Vergewaltigungen schwierig nachzuweisen sind, soll der Fokus in Zukunft auch mehr auf die klinische Forensik gelegt werden. „Hier gehen wir der Frage nach, welche Methoden es gibt, um Beweise sichtbar zu machen“, erklärt Berger. Brem rät betroffenen Frauen, so schnell wie möglich Verletzungen zu dokumentieren und sich an spezialisierte Opferschutzeinrichtungen zu wenden.

Hilfe im Krisenfall

Opfer sexueller Belästigung und Gewalt können telefonisch und im Internet Hilfe finden. Unter 0800 222 555 ist die Frauenhelpline gegen Gewalt erreichbar, die Männerberatung unter 01/603 28 28. Im beruflichen Umfeld berät und unterstützt die Gleichbehandlungsanwaltschaft.

„Beängstigende“ Situation in Österreich

Die Kommission diskutiert derzeit mit Fachexperten und Fachexpertinnen sowie mit Arbeitsgruppen unterschiedliche Maßnahmen. Ergebnisse in Form von konkreten Gesetzesvorschlägen sollen bis Mitte 2019 vorliegen. Um die Initiative nicht zu einer „Alibi-Geschichte“ werden zu lassen, plädiert Brem dafür, hier ausreichend Geldmittel in die Hand zu nehmen, denn „Opferschutz und Täterarbeit kosten Geld. Gerade letztere ist in Österreich noch weit hintennach, weil es kaum Förderungen gibt. Doch auch mit den Tätern muss gearbeitet werden, etwa bei Anti-Gewalt-Trainings.“

Auch Brem ist in mehreren Arbeitsgruppen der Taskforce aktiv. Sie würde sich nicht höhere Strafen wünschen, sondern „dass man sich Gedanken darüber macht, wie es in einem Bereich, wo die Beweislage oft dünn ist, trotzdem zu Verurteilungen kommen kann“. Derzeit habe sie das Gefühl, dass man als Täter in Österreich mit so gut wie keinen Konsequenzen zu rechnen habe – eine Situation, die sie selbst als „beängstigend“ bezeichnet.