Theresa May
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„Brexit“-Deal

May optimistisch – Tusk warnt vor Scheitern

Trotz aller Schwierigkeiten und eines immer engeren Zeitplans hat sich die britische Premierministerin Theresa May optimistisch zum Verlauf der „Brexit“-Gespräche geäußert. Während EU-Ratspräsident Donald Tusk einen ungeregelten Ausstieg der Briten aus der EU für „wahrscheinlicher als jemals zuvor“ hält, ist ein Deal für May noch immer „erreichbar“, wie sie am Montag vor dem Parlament in London sagte.

Die Konturen eines Austrittsabkommens seien nun klar, sagte die britische Regierungschefin vor den Abgeordneten im Unterhaus. Artikel 50 des EU-Vertrags solle weder verlängert noch widerrufen werden, so May weiter. In jenem ist geregelt, wie der Austritt Großbritanniens abläuft. Die Regierung halte sich nach wie vor an den aktuellen Zeitplan, der „Brexit“ würde also nicht hinausgezögert werden, so May.

May: „No Deal“ besser als „schlechter Deal“

Der derzeitige Streit um das Abkommen über den EU-Ausstieg soll May zufolge nicht zu einem chaotischen „Brexit“ führen. „Wir können nicht zulassen, dass diese Meinungsverschiedenheit die Aussicht auf ein gutes Abkommen zerstört und uns nur noch der Ausstieg ohne Deal bleibt“, sagte May. Man befinde sich nun in der Endphase der Gespräche, und hier sei ein „kühler Kopf“ erforderlich.

Ein „No-Deal“-Szenario ziehe die Premierministerin aber nach wie vor einem schlechten vor. Zudem glaube sie weiter daran, „dass ein ausgehandeltes Abkommen das beste Ergebnis für das Vereinigte Königreich und die EU ist“. Sie hoffe, dass eine Einigung über ein Handelsabkommen – welches mit Jänner 2021 in Kraft tritt – erzielt werde. Ein Abkommen im Stile Kanadas sei allerdings keine Option für Großbritannien. Stattdessen verfolgt die Regierung einen freien und reibungslosen Handel mit der EU.

Auffanglösung nur im äußersten Notfall

Auch in der kritischen Frage, wie Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden könnten, habe es Fortschritte gegeben. Den Vorschlag der EU, Nordirland notfalls alleine in der Zollunion und in Teilen des Binnenmarktes zu belassen, lehnte May aber erneut ab. Stattdessen warb sie dafür, dass ganz Großbritannien im Notfall Teil der Zollunion bleiben solle. Es könne sich bei der Auffanglösung („Backstop“) aber nur um eine vorübergehende Lösung handeln.

Theresa May
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Die britische Premierministerin Theresa May steht innenpolitisch unter Druck

Grund für den Stillstand bei den Verhandlungen sei May zufolge, dass die EU eine „Auffanglösung für die Auffanglösung“ wolle – also eine doppelte Sicherheitsgarantie. Laut der Premierministerin ist es „frustrierend“, dass sich Brüssel und London nicht darüber einigen können, wie eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland vermieden werden soll.

Der Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei warf May bei einer Ansprache im Unterhaus vor, das Land in Geiselhaft genommen zu haben. Sie solle Platz für Labour machen, anstatt sich vom „Chaos ihrer eigenen Partei hin- und herstoßen zu lassen“. Arlene Foster von der nordirischen DUP hofft nichtsdestoweniger auf einen „vernünftigen“ Deal.

Tusk: No Deal „wahrscheinlicher als jemals zuvor“

Mays Rede im Unterhaus kam wenige Tage vor einem entscheidenden EU-Gipfel an diesem Mittwoch, bei dem ein Abkommen für den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Staatengemeinschaft vereinbart werden soll. Eigentlich berichtet May dem Parlament nur nach einem EU-Gipfel – doch die Hoffnungen auf einen Durchbruch schwinden.

EU-Ratspräsident Tusk hält einen „Brexit“ ohne Abkommen für „wahrscheinlicher denn je“. Das schrieb Tusk am Montagabend in seinem Einladungsschreiben für den Gipfel. Eine Einigung zu finden, habe sich als „komplizierter herausgestellt, als einige erwartet haben“, schrieb Tusk. Trotzdem sollte die Hoffnung nicht aufgegeben werden. Es gebe auf beiden Seiten guten Willen, die Gespräche fortzuführen.

May sei am Mittwoch eingeladen, Londons Beurteilung der Gespräche vorzustellen. Später werde dann auf Grundlage der Empfehlung von EU-Chefunterhändler Michel Barnier von den 27 Staats- und Regierungschefs eine Entscheidung darüber getroffen, wie es mit den Gesprächen weitergehen soll.

Alles hängt an Nordirland-Frage

Denn trotz intensiver Verhandlungen waren der britische „Brexit“-Minister Dominic Raab und Barnier am Sonntag ohne eine Einigung auseinandergegangen. Von Dublin über London bis Brüssel war große Hoffnung in das Treffen gesetzt worden.

Die wichtigste Hürde ist immer noch die Frage, wie Kontrollen an der künftigen EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland vermieden werden können. Es wird befürchtet, dass der Konflikt in der Ex-Bürgerkriegsregion wieder aufflammen könnte, sollten sich die Menschen nicht mehr ungehindert zwischen den beiden Teilen der Insel bewegen können. Die nordirische Partei DUP geht inzwischen von einem Austritt Großbritanniens aus der EU ohne Vertrag aus.

DUP erwartet chaotischen „Brexit“

In Anbetracht des Verhaltens der EU gegenüber May sei für die DUP zwischen London und Brüssel kein „Deal“ vorstellbar, der im britischen Parlament eine Mehrheit bekommen würde, sagte ein Parteisprecher am Montag in Belfast. „Deshalb ist es vielleicht unvermeidlich, dass wir am Ende ein ‚No-Deal‘-Szenario haben.“

Ähnlich frustriert zeigt sich die Regierung in Dublin. Der irische Regierungschef Leo Varadkar erwartet ein „Brexit“-Abkommen nicht vor November oder Dezember. Für Irland geht es um die Einhaltung bisheriger britischer Zusagen. Die EU fordert eine Auffanglösung („Backstop“), nach der Nordirland teilweise weiterhin dem EU-Binnenmarkt und der EU-Zollunion unterworfen wäre. Im Dezember 2017 und im März habe Großbritannien diese akzeptiert, unterstrich der irische Außenminister Simon Coveney in Luxemburg.

Stillstand bis Mittwoch

FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl betonte nach wie vor einen „sehr konstruktiven Geist“ bei den Verhandlungen. 80 bis 90 Prozent des Austrittsvertrags seien ausverhandelt. Den „haarigen Rest“ gelte es nun zu lösen. Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft könne nur Barnier unterstützen, „das ist unsere Hauptaufgabe“.

Michel Barnier
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Barnier will die EU-27 am Dienstag über den neuesten Stand der „Brexit“-Verhandlungen informieren

Barnier werde die Minister der 27 verbleibenden EU-Staaten am Dienstag in Luxemburg bei einem allgemeinen Rat über den aktuellen Stand der Verhandlungen informieren, hieß es aus dem Büro des EU-Ministers Gernot Blümel (ÖVP). Dieser hatte zuvor ein „vertrauliches“ Telefonat mit Barnier geführt. Bis zum EU-„Brexit“-Gipfel am Mittwoch herrsche Stillstand.

Kurz: „Die Situation könnte schlimmer sein“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) äußerte sich vorsichtig optimistisch zu den Verhandlungen. Es gebe Fortschritte, sagte Kurz am Montagabend in Den Haag nach einem Treffen mit seinem niederländischen Kollegen Mark Rutte. Man müsse die derzeitig stockenden Gespräche nicht so negativ sehen. „Die Situation könnte schlimmer sein.“

Auch der niederländische Premier äußerte sich verhalten positiv. Es sei aber unklar, ob es schon in dieser Woche einen Durchbruch geben könne. „Wir sind sehr nahe“, sagte der Rechtsliberale. „Aber es ist schwierig.“ Kurz war zur Vorbereitung des EU-Gipfels nach Den Haag gereist.

London will die EU bis Ende März verlassen

Es gilt als wahrscheinlich, dass auch nach dem Gipfel weiterverhandelt wird. Kommt doch noch rechtzeitig eine Einigung zustande, soll es im November einen EU-Sondergipfel geben, der das Ergebnis billigt. Gelingt das nicht, müssten die EU-Staaten ohne die britische Premierministerin beraten, wie es weitergehen soll.

Großbritannien will die EU nach derzeitigem Stand am 29. März 2019 verlassen. Der Austrittsvertrag und eine politische Erklärung über die künftigen Beziehungen müssen allerdings schon deutlich früher stehen, um Zeit für die Zustimmung der Parlamente auf beiden Seiten zu lassen. Wenn es keine Übereinkunft gibt, dann entfällt auch die vorläufig vereinbarte Übergangsfrist bis Ende 2020, in der sich fast nichts ändern soll. Das könnte schwerwiegende wirtschaftliche Konsequenzen haben.