Der dominierenden SVP drohen – ähnlich wie der CSU in Bayern – schmerzhafte Verluste. Die italienischsprachigen Sozialdemokraten stehen wohl ähnlich wie die SPD vor einer schweren Schlappe. Und vor allem Rechtsparteien dürften deutlich dazugewinnen.
Eine Umfrage der Tageszeitung „Dolomiten“ vor Beginn des Wahlkampfs sah die SVP bei nur noch 39 Prozent. Die Partei, die Südtirol bis 2013 über sechs Jahrzehnte lang mit absoluter Mehrheit regiert hatte, hofft bei der Wahl am Sonntag jedenfalls auf eine Trendwende. Beim Urnengang vor fünf Jahren hatte die SVP noch 45,7 Prozent der Stimmen erhalten. Dazu kommt, dass sich deren amtierender Landeshauptmann Arno Kompatscher erstmals der Wiederwahl stellt.

Politologe: Autonomie-Kitt fällt weg
„Es gibt keinen Feind mehr von außen, der die Autonomie und die Identität der Südtiroler beeinträchtigen könnte. Da dieser einigende Kitt wegfällt, kommt es eben auch zu einem Erosionsprozess der Volkspartei“, betont Politologe Günther Pallaver von der Universität Innsbruck im Gespräch mit ORF.at.
Den Verlust ihrer absoluten Mehrheit schuldete die Sammelpartei nicht zuletzt dem Umstand, dass die rechtskonservativen deutschsprachigen Parteien wie die Freiheitlichen und die Süd-Tiroler Freiheit 2013 große Zuwächse verzeichnen konnten – insgesamt 27 Prozent.

Koalitionspartner als Fragezeichen
Für die Regierungszusammenarbeit hatte sich damals allerdings nichts Gravierendes geändert. Wegen des Proporzsystems müssen ohnedies italienischsprachige Parteien in jeder Landesregierung entsprechend vertreten sein. Problematisch ist allerdings, dass die bisher mitregierende sozialdemokratische Partito Democratico (PD) innerlich zerstritten ist und sich die SVP somit wohl einen anderen Koalitionspartner suchen muss. Die PD unterstützt die Autonomie – was bei Rechtsparteien wie der Lega Nord weniger klar ist.

Vor allem im italienischsprachigen Lager erwartete Politologe Pallaver deutliche Veränderungen, da die PD zu schwach sein könnte. Zugleich will die SVP die populistische Regierung in Rom nicht brüskieren, da sie auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen ist. Laut Pallaver wäre es für die Volkspartei daher der Idealfall, wenn sie mit lokalen Parteien eine Koalition bilden könnte. Selbst eine Regierungsbildung gemeinsam mit der Lega Nord, die in Stil und Inhalt deutlich unterschiedlich ist, sei nicht ausgeschlossen.
Noch nie so viele Wahlkampfauftritte aus Wien
Auffällig ist, dass der Südtiroler Wahlkampf so viel Unterstützung und Auftritte österreichischer und italienischer Politiker wie kaum je zuvor generierte. Die SVP erhielt etwa von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Mitte September Schützenhilfe. Auch FPÖ-Chef Vizekanzler Heinz-Christian Strache kam und viele andere. „Im Vergleich mit Landtagswahlen zuvor ist der Auftritt österreichischer Parteien noch nie so stark gewesen wie diesmal“, stellt auch Pallaver fest. Um hinzuzufügen, er zweifle daran, dass diese „Auftritte zur Mobilisierung irgendwas gebracht haben“.
Auch das zwischen Wien und Rom heftig umstrittene Thema Doppelpass, das sich ÖVP und FPÖ in ihr Koalitionsabkommen schrieben, habe die Südtirolerinnen und Südtiroler bei diesem Wahlkampf nicht wirklich interessiert. In einer Umfrage wollte der Politologe herausfinden, mit welchen Themen sich die Politik nach Ansicht der Bevölkerung innerhalb der Europaregion besonders beschäftigen sollte. Der Doppelpass lag dabei bloß bei 1,8 Prozent.

Pallaver: „Salvini sahnt ab“
Der Politologe rechnet vor allem mit einem Erfolg der rechtspopulistischen Lega Nord und ihres Chefs Matteo Salvini: „Salvini sahnt ab. Unter den Parteien Südtirols ist die Lega Nord jedenfalls jene, die am stärksten gewinnen wird. Da gibt es einen momentanen Salvini-Hype auch unter den Italienern in Südtirol.“ Er rechnet damit, dass die traditionell zahlreichen Forza-Italia-Wählerinnen und -Wähler „nun die Lega wählen werden“. Sie werde einige kleine rechte Parteien, die teils derzeit im Landtag sind, „aufsaugen“.
Der italienische Innenminister, der mit Aussagen über und Maßnahmen gegen Asylwerbende und Migranten ständig für Schlagzeilen sorgt, ließ sich am Wochenende bei mehreren Auftritten in Südtirol wie ein Popstar feiern. Sein Showtalent zeigte der für seine markigen rechten Sprüche bekannte Salvini am vergangenen Wochenende vor allem bei einem unüblichen Besuch des traditionellen Festes der Kastelruther Spatzen.
Das jährliche Spatzenfest ist ein gänzlich unpolitisches jährliches Massenevent für Fans der volkstümlichen Musik, viele davon reisen aus Deutschland an. Trotzdem wurde Salvini dort frenetisch empfangen. Auf zahlreichen Videos, die im Internet kursieren, ist zu sehen, wie der Innenminister von Fans umringt wird, die ein Selfie mit ihm machen wollten.
Unbekannte Köllensperger
Die große Unbekannte ist die Gruppierung um den Bozner Unternehmer und Landtagsabgeordneten Paul Köllensperger. Er selbst war 2013 als einziger Vertreter der noch sehr jungen Fünf-Sterne-Bewegung in den Landtag eingezogen. Wenige Wochen vor der Hinterlegung der Listen hat er sich nun von der Fünf-Sterne-Bewegung losgesagt und seine eigene Liste aufgestellt. Viele vermuten dahinter Wahltaktik.

Dilemma für SVP
Die SVP wird nach der Wahl auch in Hinsicht auf die im Mai 2019 anstehende EU-Parlamentswahl vor einem strategischen Dilemma stehen. Nur italienweit aktive Parteien können laut Wahlrecht antreten. Regionalparteien müssen sich daher einer anderen Partei anschließen. Meist ging sie ein Bündnis mit einer Zentrumspartei ein – zuletzt etwa mit den Sozialdemokraten. Auf EU-Ebene sei eine Verbindung mit der „antieuropäischen Lega Nord“ nur schwer vorstellbar, so Pallaver.
14 Listen rittern um 35 Sitze
Kompatscher gab Sonntagfrüh im Rathaus seiner Heimatgemeinde Völs am Schlern seine Stimme ab. Der Landeshauptmann erschien in Begleitung seiner Frau Nadja. Kompatscher zeigte sich betont gelassen. Er vertraue darauf, dass die Wähler eine „gute und verantwortungsvolle Entscheidung“ treffen werden, so der 47-Jährige vor Medien. Er rief alle Wähler dazu auf, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen.
Insgesamt werden 35 Sitze im Landtag neu vergeben. Um die Mandate rittern 14 Listen mit insgesamt 420 Kandidatinnen und Kandidaten. Als die wichtigsten Themen im Wahlkampf gelten Verkehr, bezahlbares Wohnen und Migration. 424.184 Wahlberechtigte sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben.
Übrigens findet gleichzeitig mit der Landtagswahl in Südtirol am Sonntag auch die Wahl in der autonomen italienischen Provinz Trient statt. 427.450 Wahlberechtigte sind aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Die Mitte-links-Parteien, die jahrzehntelang die Führung des Trentino fest im Griff hatten, müssen vor dem Urnengang zittern, die Mitte-rechts-Parteien befinden sich im Aufwind.