Blick durch ein Fenster zeigt den deutschen Innenminister Horst Seehofer (CSU) mit der SPD-Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles
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Warten auf Hessen-Wahl

Köpferollen bei Union und SPD noch vertagt

Nach den Wahlschlappen in Bayern rumort es in der Union wie auch in der SPD gewaltig. Doch beide Parteien versuchen die schwelenden Konflikte noch unter der Decke zu halten – zumindest bis zur Hessen-Wahl in knapp zwei Wochen. Doch danach könnte in der deutschen Politik kein Stein auf dem anderen bleiben.

In Hessen wird am 28. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Umfragen sehen die Koalition der CDU von Ministerpräsident Volker Bouffier mit den Grünen in Gefahr. Die CDU wird in Umfragen zwischen 28 und 32 Prozent gesehen, bei der Wahl 2013 waren es rund 38. Die SPD könnte 23 bis 25 Prozent erreichen – nach 30,7 Prozent bei der letzten Landtagswahl.

Verluste für die beiden Parteien scheinen also unabwendbar, fraglich ist nur, wieviel sie verlieren – und ab wann dann die Parteien in den Panikmodus verfallen. Im extremsten Fall könnten bei CDU, CSU und SPD Personaldebatten bis ganz an die Parteispitze ausbrechen. Und auch ein Zerbrechen der Berliner Koalition ist als Szenario nicht undenkbar.

Rufe in der SPD nach Ausstieg aus Koalition

In der SPD ringt man um Auswege aus der Krise – und das schon sehr lange. Auch in den vergangenen Tagen hatte praktisch jeder namhafte SPD-Politiker einen guten Rat parat, wie es mit der Partei weitergehen soll. Während der frühere Parteichef Sigmar Gabriel vor einem Ausstieg aus der Großen Koalition warnte, dringen mehrere Vertreter des linken Parteiflügels auf ein rasches Ende des Regierungsbündnisses. Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles ging darauf in einem Statement vor der SPD-Fraktionssitzung am Dienstagnachmittag in Berlin nicht ein.

Alle Hoffnungen liegen darauf, dass Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel in Hessen eben doch ein Ergebnis mit deutlich über 20 Prozent einfahren und damit die Stimmung zumindest wieder auffrischen kann. Ob Nahles und der deutsche Vizekanzler Olaf Scholz aber wirklich verhindern können, dass ihre Partei nach einem weiteren schlechten Wahlergebnis die Große Koalition aufkündigen muss, wagte aber niemand zu sagen.

Neuwahl als großes Risiko

Spannend dürfte es bei einer Vorstandsklausur Anfang November werden, wo die SPD-Spitze über das weitere Vorgehen beraten will. Auch die Möglichkeit eines Ausstieg aus der Regierung soll dort zumindest besprochen werden. Für diesen Fall bleibt allerdings das Risiko, in einer etwaigen vorgezogenen Neuwahl noch mehr an Terrain zu verlieren. Einigermaßen einig ist man sich in der Partei, dass man den „sozialen Markenkern“ stärken muss. Doch ob das schnell gelingt und dann auch noch bei den Wählerinnen und Wählern als glaubwürdig ankommt, ist fraglich.

Entscheidender CDU-Parteitag im Dezember

Auch die CDU hat Anfang November eine Vorstandsklausur angesetzt, Anfang Dezember folgt dann der Bundesparteitag. Die Unsicherheit über den weiteren Kurs von Regierung und Partei hat auch die CDU angesteckt, in der ja bereits seit dem letzten Wahlkampf die Frage der Zeit nach der Ära Angela Merkel völlig offen ist. Etliche CDU-Spitzenpolitiker betonten, sie rechneten mit einer Wiederwahl Merkels auf dem Bundesparteitag. Die Sache könnte anders aussehen, wenn sich Bouffier nach der Wahl in Hessen nicht im Amt halten an.

Andere Stimmen wiederum sehen in der CSU-Wahlschlappe gar Rückenwind für Merkel. Denn das Ergebnis der Landtagswahl und die Wählerwanderung würden zeigen, dass die CSU-Fixierung auf das Asyl- und Flüchtlingsthema nicht einmal in Bayern zog. Und sollte sich als Konsequenz ergeben, dass CSU-Chef Horst Seehofer nach der Schlappe – auch als Innenminister – den Rückzug antreten muss, könnte das etwas Ruhe in die krisengeschüttelte Regierung in Berlin bringen.

Immer lautere Kritik an Seehofer

In der CSU versuchte man zwar nach der Wahl möglichst Streit zu vermeiden, mittlerweile wird die Kritik aber immer deutlicher: Zwei CSU-Kreisverbände forderten nun die Ablöse Seehofers, der größte Bezirksverband Oberbayern verlangt einen Sonderparteitag noch in diesem Jahr.

Seehofer zeigte sich offen für ein solches Treffen: Er vermute, „dass wohl das beste Instrument, weil die Basis da am besten versammelt ist, ein Parteitag der CSU wäre“, sagte er am Dienstag in Berlin. Dann solle über Konsequenzen aus der Wahlpleite entschieden werden. Dazu zählten auch personelle Fragen, „über die zu diskutieren ich durchaus auch bereit bin“.

Ministerpräsident Markus Söder reagierte auf die Rücktrittsforderungen an Seehofer unbeteiligt verständnisvoll: Er respektiere das. „Es ist auch normal, dass nach einem solchen Wahlergebnis eine Partei reden möchte.“ Man könne nicht verhindern, dass sich eine Partei Gedanken mache.

Rascheres Handeln gefordert

Nach dpa-Informationen wurden auch in der CSU-Landesgruppe im Bundestag Forderungen nach einem personellen Neuanfang laut. Es habe am Dienstag in einer Sitzung zwar keine konkreten Rücktrittsforderungen gegen Seehofer gegeben. Teilnehmer berichteten aber, es habe neben nüchterner Analyse des Wahlergebnisses auch Kritik gegeben. Der Wunsch nach einem Rückzug Seehofers sei spürbar gewesen, hieß es. Der Beschluss des CSU-Vorstands, erst nach der Kabinettsbildung in Bayern eine vertiefte Analyse anzustellen und mögliche Konsequenzen zu ziehen, sei von einigen als Hinhaltetaktik empfunden worden.