Polizist während den Untersuchungen im saudischen Konsulat in Istanbul
APA/AFP/Bulent Kilic
Causa Chaschukdschi

Bericht über „Beweis“ für Ermordung

Ein hochrangiger türkischer Behördenvertreter hat am Dienstag mitgeteilt, dass die Polizei einen „gewissen Beweis“ für die Ermordung des verschwundenen saudischen Journalisten Dschamal Chaschukdschi im saudischen Konsulat in Istanbul bei der Durchsuchung dort gefunden hat. Das twitterte die Agentur AP am Dienstag.

Wie AP wenig später mit Verweis auf türkische Medien berichtete, hat der saudische Konsul die Türkei Richtung Riad verlassen. Nach Angaben der türkischen Zeitung „Haber-Türk“ sei Mohammed al-Otaibi um 17.00 Uhr mit einer Linienmaschine in die saudi-arabische Hauptstadt geflogen. Die Heimreise des Diplomaten sei unmittelbar vor der Durchsuchung seiner Istanbuler Residenz erfolgt.

Das saudi-arabische Konsulat war bereits zuvor neun Stunden lang durchsucht worden. Die türkischen Behörden prüfen offenbar auch, ob im Zusammenhang mit dem Verschwinden des Journalisten Gift eingesetzt wurde. Die Ermittler gingen „vielen Dingen nach, wie etwa toxischen Materialien und solchen Materialien, die entfernt wurden, indem sie übermalt wurden“, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan vor Journalisten.

Die regierungsnahe Zeitung „Sabah“ berichtete zuvor, das Gelände sei auch mit Hunden abgesucht worden. Es war das erste Mal, dass türkische Beamte seit dem Verschwinden Chaschukdschis das Konsulat betraten. Der Durchsuchung des Konsulats und den damit zusammenhängenden Ermittlungen war ein tagelanges Tauziehen zwischen der Türkei und Saudi-Arabien vorausgegangen.

Polizisten beim Einsatz
APA/AP/Emrah Guel
Türkische Polizisten suchen im saudischen Konsulat nach Hinweisen auf den verschwundenen Journalisten

Schwere Vorwürfe

Die türkischen Behörden gehen laut Medienberichten davon aus, dass Chaschukdschi dort von einem aus Saudi-Arabien angereisten 15-köpfigen Spezialkommando getötet worden ist. Die türkischen Ermittler sollen auch im Besitz kompromittierender Ton- und Videoaufnahmen sein. Auf denen sei zu sehen und zu hören, wie Chaschukdschi im Konsulat verhört, gefoltert und ermordet wird, wie etwa die „Washington Post“ berichtete. Anschließend sei seine Leiche zerteilt worden, wie am Dienstag unter anderem auch CNN berichtete.

CNN: Riad vor Eingeständnis

Der US-Fernsehsender CNN sowie die Zeitungen „New York Times“ und „Wall Street Journal“ berichteten unterdessen, dass Saudi-Arabien eine Erklärung zum Schicksal Chaschukdschis abgeben wolle. Den Berichten zufolge soll sein Verhör schiefgegangen sein. CNN berichtete unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen, der Plan sei gewesen, den Saudi zu entführen, aber nicht zu töten. Eine Quelle sagte, in dem Bericht dürfte festgehalten werden, dass die gegen Chaschukdschi gerichtete Operation ohne Genehmigung von oben abgelaufen sei – und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden.

Chaschukdschi, der Kolumnen für die „Washington Post“ geschrieben hatte, war im September 2017 aus Furcht vor einer Festnahme in die USA ins Exil gegangen. Am 2. Oktober wollte er Papiere für die Hochzeit mit seiner türkischen Verlobten im saudischen Konsulat in Istanbul abholen und ist seitdem verschwunden. Drei Tage zuvor hatte er in einem Interview mit der BBC die Sorge geäußert, bei einer Rückkehr nach Saudi-Arabien festgenommen zu werden.

Pompeo bei König Salman in Riad

Nach Chaschukdschi Verschwinden wächst international der Druck auf Saudi-Arabien, Licht in den mysteriösen Fall zu bringen. US-Außenminister Mike Pompeo kam am Dienstag in der saudischen Hauptstadt Riad mit König Salman und Kronprinz Mohammed bin Salman zu Krisentreffen zusammen. Nach dem Gespräch hieß es, Pompeo habe die Sorge des Präsidenten über Chaschukdschis Verschwinden übermittelt sowie dessen Wunsch nach Aufklärung. Wie das US-Außenministerium nach dem Treffen bekanntgab, stehen für Pompeo am Mittwoch in der Causa nun weitere Gespräche in Ankara auf dem Programm.

US-Außenminister Mike Pompeo im Gespräch mit dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman
APA/AFP/Leah Millis
Pompeo mit Kronprinz Mohammed bin Salman

US-Präsident Donald Trump stellte wenig später baldige Antworten zum Verschwinden von Chaschukdschi in Aussicht. Nach einem Telefonat mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman erklärte Trump auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, dieser habe ihm versichert, bereits Untersuchungen zum Schicksal Chaschukdschis eingeleitet zu haben und diese rasch auszuweiten. Der saudische Kronprinz habe laut Trump zudem jedes Wissen darüber bestritten, was im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul geschehen sei.

Am Wochenende hatte Trump erstmals die Vermutung geäußert, dass Chaschukdschi tot ist, und schloss zu diesem Zeitpunkt nicht aus, dass Saudi-Arabien dafür verantwortlich sein könnte. Trump drohte Riad zunächst mit einer „schweren Strafe“, ruderte dann aber wieder zurück.

„Allein handelnde Killer“

Nach einem Telefonat mit König Salman schlug Trump am Montag wieder deutlich mildere Töne an. Salman habe vehement bestritten, dass die Führung des Königreichs etwas mit Chaschukdschis Verschwinden zu tun habe, so Trump. Das Dementi des Königs sei „sehr, sehr stark“ gewesen, sagte Trump. Es habe sich für ihn so angehört, als könnten vielleicht „allein handelnde Killer“ (rogue killer) am Werk gewesen sein.

Washington ist ein enger Verbündeter und zugleich ein wichtiger Handelspartner Saudi-Arabiens: Kein Staat kauft so viele amerikanische Waffen. Auch aufgrund seiner Ölressourcen hat Riad ein Druckmittel gegenüber Washington in der Hand. Die USA haben die Teilnahme von Finanzminister Steven Mnuchin an einer geplanten Investmentkonferenz in der saudischen Hauptstadt unterdessen weiter offengelassen. Der Finanzminister werde an diesem Freitag entscheiden, ob er nach Riad reisen werde oder nicht, sagte Trump. Zuletzt hatten sich Absagen von prominenten Konzernchefs bei der als hochkarätig eingeschätzten Wirtschaftskonferenz in Riad gehäuft.

Ruf nach Aufklärung

Chaschukdschis Familie forderte eine internationale Untersuchung zum Verschwinden des Journalisten. Ein unabhängiges und objektives Team müsse die Umstände zu seinem Verschwinden und die Berichte zur Tötung aufklären, schrieb die Familie in einer Stellungnahme, die in der Nacht zum Dienstag veröffentlicht wurde. Man verfolge die Nachrichten über das Schicksal Chaschukdschis mit Angst und versuche, den Schock zu überwinden.

Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, forderte die Aufhebung der Immunität von Diplomaten in der Türkei. Bachelet bezog sich nach Angaben ihres Sprechers auf alle saudischen Diplomaten, die Ermittler befragen wollen. Sie rief am Dienstag saudische und türkische Behörden auch auf, sämtliche Fakten zügig auf den Tisch zu legen. „Zwei Wochen ist eine lange Zeit, in der ein wahrscheinlicher Tatort nicht forensisch untersucht worden ist“, so Bachelet.

Unter anderem die USA und europäische Staaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien verlangten von Saudi-Arabien Aufklärung. Erwartet werde „eine detaillierte und umfassende Antwort“ der saudi-arabischen Regierung, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Es bedürfe „glaubhafter Ermittlungen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen und gegebenenfalls jene zu identifizieren, die für das Verschwinden von Dschamal Chaschukdschi verantwortlich sind“.