Der letzte Rettungsversuch für den Vielvölkerstaat

Die Tage im Oktober und November 1918 besiegelten auf beschleunigte Weise das Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie, das sich freilich seit den Unruhen im Jänner 1918 schon abzeichnete. Die Nationalitäten des Vielvölkerstaates strebten, gerade auch auf der Grundlage des von US-Präsident Woodrow Wilson im Jänner 1918 proklamierten Selbstbestimmungsrechts der Völker, auseinander. ORF.at begleitet in den kommenden Wochen mit einem historischen Kalendarium die wichtigsten Etappen der Auflösung der Monarchie bis hin zur Ausrufung der Republik am 12. November 1918.

16. Oktober: Kaiser Karl und das Völkermanifest

Am 16. Oktober 1918 unternimmt Kaiser Karl eine Art letzten Anlauf unter Miteinbeziehung von Regierungschef Max Hussarek von Heinlein für die Rettung einer Vielvölkerföderation auf mitteleuropäischem Boden. Mit dem an diesem Tag herausgegebenen „Völkermanifest“ sollte Österreich, „dem Willen seiner Völker gemäß“, zu einem Bundesstaat umfunktioniert werden. Jede Nation sollte auf ihrem „Siedlungsgebiet“ ihr eigenes staatliches Gemeinwesen umsetzen können. Bis zur Umsetzung würden alle bisherigen Einrichtungen des Reiches „zur Wahrung der allgemeinen Interessen bestehen bleiben“.

Vielvölkermanifest
Kriegsarchiv

„Ein Völkerbund, dem die Völker fehlen“

„An die Völker, auf deren Selbstbestimmung das neue Reich sich gründen wird, ergeht mein Ruf, an dem großen Werke durch Nationalräte mitzuwirken, die – gebildet aus den Reichsratsabgeordneten jeder Nation – die Interessen der Völker zueinander sowie im Verkehre mit Meiner Regierung zur Geltung bringen sollte“, schreibt der Kaiser in diesem Erlass. Die Völker, die Karl adressierte, waren nur noch jene der westlichen Reichshälfte, nicht mehr die Ungarn. Die Tschechen wiederum hatten zu diesem Zeitpunkt schon einen von den Alliierten akzeptierten tschechischen Nationalrat im Pariser Exil unter Thomas Masaryk und Eduard Benes.

„Als Völkerbund dem die Völker fehlen“, kommentierte die „Neue Freie Presse“ dieses Unterfangen des Kaisers. Tatsächlich holt sich die Regierung unter Hussarek nur Abfuhren für dieses Vorhaben. Die Vertreter der slawischen Völker lehnten dieses Vorhaben einhellig ab. „Die Nationen“, so der Historiker Walter Rauscher in seinem Buch zur Geschichte der Ersten Republik, „folgen ihrem Herrscher nicht mehr.“ Schon zwei Tage später wird etwa Masaryk die formelle Unabhängigkeit der tschechoslowakischen Nation erklären.