Tür zum saudisches Konsulat in Istanbul
AP/Petros Giannakouris
„New York Times“

Verdächtige aus Umfeld von Kronprinz

Für Saudi-Arabien wird es immer schwieriger, Erklärungen für das Verschwinden des saudischen Journalisten Dschamal Chaschukdschi zu finden. Laut Recherchen der „New York Times“ („NYT“) zählen zu den Verdächtigen enge Vertraute des Kronprinzen Mohammed bin Salman. Das widerspricht der Theorie, dass es sich um allein handelnde Täter aus saudi-arabischen Sicherheitskreisen handelt.

Von den 15 Verdächtigen, die die türkischen Behörden ausgemacht haben, hätten mindestens neun für saudi-arabische Sicherheitsdienste, die Armee und Ministerien gearbeitet. Die „NYT“ beruft sich bei ihren Angaben auf Software zur Gesichtserkennung, eine Datenbank mit saudi-arabischen Handynummern, öffentlich gewordene saudi-arabische Regierungsdokumente, Zeugenaussagen und Medienberichte.

Leibwächter des Kronprinzen unter Verdacht

Demnach soll ein Verdächtiger mit dem Namen Maher Abdulasis Mutreb Kronprinz Salman in diesem Jahr bei Reisen in die USA, nach Spanien und Frankreich begleitet haben. Dabei könnte es sich um einen Leibwächter des Kronprinzen handeln. Auch drei andere Verdächtige rechnete die „NYT“ dem Sicherheitsdienst Salmans zu. Bei einem weiteren Mann, der in den Fall Chaschukdschi involviert sein soll, handle es sich um einen Gerichtsmediziner, der in Saudi-Arabien hohe Ämter bekleidet habe.

Saudisches Konsulat in Istanbul
AP/Emrah Gurel
Ermittler durchsuchten mehrere Stunden das saudische Konsulat in Istanbul

Der 33-jährige Kronprinz Salman gilt als starker Mann in Saudi-Arabien und als künftiger Herrscher. Er treibt einerseits Reformen voran und versucht, das Land gesellschaftlich zu liberalisieren. Andererseits geht er hart gegen Kritiker und Kritikerinnen vor.

„Dann wäre das sehr schlecht“

Medienberichten zufolge arbeitet Riad an einem Bericht, dass die Agenten auf eigene Faust versucht hätten, Chaschukdschi zu entführen und ihn bei einem misslungenen Verhör getötet hätten. Sollte der „NYT“-Bericht zutreffen, wäre die mögliche Verteidigungslinie Salmans geschwächt. Sogar US-Präsident Donald Trump, der von seinem saudischen Verbündeten eigentlich nicht abrücken will, meinte in einem US-TV-Interview Dienstagabend (Ortszeit), dass wenn die saudische Führung von den Vorkommnissen gewusst hätte, „dann wäre das sehr schlecht“.

Zuvor hatte Trump immer wieder betont, dass der Kronprinz ihm versichert habe, dass die saudische Führung nichts von den Ereignissen im Konsulat in Istanbul gewusst hätten. Entsprechend brachte er auch mehrmals ins Feld, dass es sich nicht um ein staatlich beauftragtes Mörderkommando gehandelt habe. Allerdings hatte die „Washington Post“, für die der im Exil lebende Chaschukdschi als Kolumnist tätig war, berichtet, dass US-Geheimdienste bereits von Plänen zur Festnahme des Journalisten gewusst hätten.

Beweis für Ermordung gefunden?

Von Chaschukdschi fehlt jede Spur, seit er vor rund zwei Wochen das Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul betrat. Türkische Ermittler hegen den Verdacht, dass er dort ermordet wurde. Sie konzentrieren sich auf ein mutmaßliches Spezialkommando aus 15 Saudi-Arabern, die am Tag von Chaschukdschis Besuch nach Istanbul gereist waren.

Im Zuge der türkischen und saudischen Ermittlungen wurde das Konsulat mehrere Stunden durchsucht. Laut einem hochrangigen türkischen Behördenvertreter fand die Polizei dabei einen „gewissen Beweis“ für die Ermordung des verschwundenen Journalisten. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu dementierte am Mittwoch Berichte, dass auch die Residenz des Konsuls durchsucht worden war. Er hoffe jedoch, dass die Polizei mit der Durchsuchung beginnen könne.

„Wenn du leben willst, sei still“

Türkischen Medien zufolge war der saudische Konsul Mohammed al-Otabi kurz zuvor nach Saudi-Arabien abgereist. Die türkischen Behörden sollen auch im Besitz kompromittierender Ton- und Videoaufnahmen sein. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, man schaue sich mögliche Spuren „giftiger Substanzen“ genauer an. Die seien überstrichen worden.

Medienberichten zufolge wurde Chaschukdschi während eines Verhörs gefoltert. Es seien ihm Finger abgeschnitten worden, und später soll er enthauptet worden sein, berichtete die türkische Zeitung „Yeni Safak“ am Mittwoch unter Berufung auf angebliche Audioaufnahmen von dem Geschehen. Demnach ist auf der Aufnahme zu hören, wie Konsul Otabi sagt: „Macht das draußen, ihr werdet mir Probleme bereiten.“

Daraufhin habe ihm ein Mann erwidert: „Wenn du leben willst, wenn du nach Saudi-Arabien zurückkehrst, sei still.“ Das regierungsnahe Medium „Yeni Safak“ machte keine Angaben, woher die zitierten Audioaufnahmen stammen.

Lagarde verschiebt Nahost-Reise

Der Druck auf Saudi-Arabien steigt. Ohne eine Begründung zu nennen, verschob die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, eine geplante Nahost-Reise, die sie auch zu einer Wirtschaftskonferenz nach Saudi-Arabien geführt hätte. Ihrem Beispiel waren zuvor schon zahlreiche andere prominente Wirtschaftsvertreter gefolgt, die eine Teilnahme an der Konferenz abgesagt hatten. Noch keine offizielle Absage gab es bisher von US-Finanzminister Steven Mnuchin.

Mike Pompeo mit Mohammed bin Salman
APA/AFP/Leah Millis
US-Außenminister Pompeo reiste für Gespräche mit Kronprinz Salman am Dienstag nach Riad

Zuletzt forderten auch die Außenminister der G-7-Staaten eine „gründliche, glaubwürdige, transparente und zügige Untersuchung“ von Riad. Die Verantwortlichen für das Verschwinden Chaschukdschis müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

Pompeo zu Besuch in Riad

Obwohl Trump seinen Ton gegenüber Saudi-Arabien zeitweise verschärfte, will er seinen Verbündeten offenbar nicht fallen lassen – zu eng sind die wirtschaftlichen Verflechtungen. Einen 110-Milliarden-Dollar-Rüstungsdeal will er nicht aufkündigen. Und beim gemeinsamen Feind Iran ist Saudi-Arabien ein wichtiger Pfeiler in Trumps Nahost-Politik. Nicht umsonst forderte Trump die Unschuldsvermutung für Riad. Es sei eine „vollständige Untersuchung“ von Saudi-Arabien zugesagt worden.

Doch auch in den USA wächst der öffentliche Druck. Am Dienstag schickte Trump daher US-Außenminister Mike Pompeo zu einem Gespräch mit Salman nach Saudi-Arabien. Laut Pompeo gibt es eine Entschlossenheit, die Fakten und Verantwortlichkeiten zu klären. Während des Gesprächs von Pompeo mit Kronprinz Salman habe er mit diesem telefoniert, twitterte Trump am Dienstag. Der Kronprinz habe „komplett geleugnet“, etwas von den Vorgängen im Konsulat in der Türkei gewusst zu haben.

Die USA bemühen sich jedenfalls weiter um die Aufklärung von Chaschukdschis Verschwinden. Am Mittwoch sprach Pompeo auf dem Flughafen in Ankara mit Erdogan über den Fall. An dem rund 30-minütigen Gespräch nahmen auch der türkische Außenminister Cavusoglu, Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin und Geheimdienstchef Hakan Fidan teil. Pompeo habe sich anschließend noch einmal zu einem Einzelgespräch mit Cavusoglu getroffen, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu.