EU-Gipfeltreffen in Brüssel
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„Brexit“-Lösungen

May lässt EU weiter warten

„Konkrete Vorschläge“, um die festgefahrenen Verhandlungen über den „Brexit“ aus der Sackgasse zu führen – das hat die EU im Vorfeld ihres Gipfels am Mittwoch in Brüssel von Großbritanniens Premierministerin Theresa May verlangt. Wirklich Neues hatte May den Staats- und Regierungsspitzen nicht zu bieten. Der für November angedachte „Brexit“-Sondergipfel ist weiter in der Schwebe.

Die Stimmung sei entspannter gewesen als noch vor vier Wochen beim EU-Treffen in Salzburg, sagte EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani. Der Italiener war bei der Rede Mays vor den EU-27 in Brüssel anwesend. Es habe eine „Botschaft des guten Willens“ und Bereitschaft zur Einigung gegeben, und „ihre Körpersprache war positiver als in der Vergangenheit“, sagte Tajani. Inhaltlich habe er allerdings „nichts substanziell Neues erkannt“.

Auf „substanziell Neues“ wartet Brüssel vor allem in der Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland. Eine „harte“ Grenze mit Kontrollen und Schlagbäumen zwischen dem EU-Mitglied und der britischen Provinz wollen beide Seiten vermeiden – wie, darüber scheiden sich die Geister.

Kurz: „Vieles war uns bekannt“

Auch Bundeskanzler und Ratsvorsitzender Sebastian Kurz (ÖVP) sah wenig Neues in Mays Präsentation, die nicht einmal 30 Minuten dauerte. „Vieles war uns bekannt“, sagte Kurz Mittwochnacht. Von EU-Chefverhandler Michel Barnier gebe es gute Ideen zur Lösung der Grenzfrage. Um sie tatsächlich umzusetzen, müsse die britische Seite Vertrauen entwickeln.

„Keine konkreten Vorschläge“

„Die britische Premierministerin Theresa May hat keine konkreten Vorschläge vorgetragen“, berichtet ORF-Korrespondent Tim Cupal aus Brüssel.

May rief zu gemeinsamer Anstrengung auf

Mittwochnacht meldete sich auch Mays Büro zu Wort. Die Premierministerin habe die EU in den „Brexit“-Verhandlungen aufgefordert, in einer gemeinsamen Anstrengung die Frage der künftigen Grenze zwischen Irland und Nordirland zu lösen. Beide Seiten hätten bereits gezeigt, dass sie „zusammen schwierige Vereinbarungen erzielen können“, sagte May nach Angaben aus britischen Regierungskreisen vor den anderen Staats- und Regierungsspitzen. Sie habe sich zuversichtlich gezeigt, dass es in den Verhandlungen „ein gutes Ergebnis“ geben werde.

Die britische Premierministerin Theresa May
Reuters/Aris Oikonomou
Großbritanniens Premierministerin May verließ den Gipfel nach gerade einmal etwas mehr als einer Stunde

Für die letzte Verhandlungsphase seien aber „Mut, Vertrauen und Führung auf beiden Seiten“ notwendig, sagte May den Angaben zufolge. Mit Blick auf die derzeitige Blockade der Gespräche wegen der irischen Grenzfrage wolle die Premierministerin mit der EU „einen kreativen Weg aus diesem Dilemma“ finden.

Längere Übergangsphase?

Zumindest auf der Zeitachse könnte dafür Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen kommen. Nach dem britischen EU-Austritt soll es eine Übergangsphase bis Ende 2020 geben. Diese Frist könnte verlängert werden. Ratskreisen zufolge hatte May bereits in ihrer Rede Offenheit für einen entsprechenden Vorschlag von EU-Chefverhandler Barnier signalisiert.

Am Donnerstag sagte May in Brüssel, es sei durchaus eine Option, die bis Ende 2020 geplante Übergangsphase um einige Monate auszudehnen. Nachsatz: „Aber ich erwarte, dass sie wie geplant Ende 2020 enden wird.“ Ob May eine Verlängerung innenpolitisch durchbringt, ist aber fraglich.

Der luxemburgische Premier Xavier Bettel hatte im Vorfeld des Gipfels ebenfalls erklärt, dass eine „Verlängerung um ein Jahr“ eine Möglichkeit sei. Es seien noch die beiden Fragen mit Irland und dem Binnenmarkt offen, aber „ich bin der Hoffnung, dass wir eine Lösung finden werden. Es gibt jedoch keine Garantie.“

Vorläufig kein Sondergipfel im November

Kurz attestierte der britischen Seite den „klaren Willen für eine gemeinsame Lösung“. „Wir haben eine Menge Fortschritte gemacht“, erklärte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor Beginn des Treffens. Nun sei die Zeit gekommen, „ein gutes Abkommen“ auf den Weg zu bringen. „Wir hätten uns gefreut, wenn das Austrittsabkommen schon ganz fertig gewesen wäre, so sind es nur 90 Prozent“, sagte dagegen Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel.

Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite beklagte dagegen, dass es sehr schwer sei, mit einem Partner zu verhandeln, der nicht genau wisse, was er wolle. „Natürlich sind wir bereit zu Kompromissen, wenn wir wüssten, was Großbritannien genau will“, sagte sie. Laut der Politikerin werde es noch weitere Gipfel zum „Brexit“ brauchen.

Weiter in der Schwebe hängt unterdessen der „Brexit“-Sondergipfel in November. Derzeit seien den 27 Staats- und Regierungsspitzen die Fortschritte zu gering, um einen Sondergipfel einzuberufen, sagte ein EU-Diplomat Mittwochnacht. Sie stünden aber bereit, ein solches Treffen einzuberufen, sollten die mit den Verhandlungen betrauten Personen entscheidende Fortschritte vermelden. EU-Chefverhandler Barnier erklärte einmal mehr, man brauche „mehr Zeit“ für die Verhandlungen.

„No Deal“-Szenario ebenfalls Thema

Sollte es zu keiner Einigung zwischen London und Brüssel kommen, droht der „Worst Case“ – ein chaotischer Austritt Großbritanniens. Auch wenn alle hoffen, den Eintritt eines solchen Szenarios verhindern zu können, war es offenbar doch Thema in Brüssel: EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker soll laut Ratskreisen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim gemeinsamen Abendessen über die Vorkehrungen für den „No Deal“-Fall unterrichtet haben.