Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman
AP/Alastair Grant
Fall Khashoggi

Der Kronprinz im Hintergrund

Der Tod des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi zieht weite Kreise. Er soll im Istanbuler Konsulat umgebracht und Opfer eines kalkulierten Verbrechens durch Saudi-Arabien geworden sein. Kronprinz Mohammed bin Salman, einst die große Hoffnung auf Modernisierung im Königreich, steht dabei im Zentrum der Mordspekulationen – und die Welt wartet auf seine Reaktion.

Denn seit die „Washington Post“ („WP“) vor einer Woche Geheimdienstdokumente veröffentlicht hatte, die zeigen sollen, dass der Kronprinz die Entführung Khashoggis angeordnet haben soll, erhärten sich die Verdachtsfälle gegen Kronprinz Salman. Als Motiv für eine Ermordung gelte laut „WP“, dass der Regierungskritiker die von Saudi-Arabien verhasste und verbotene Bewegung der Muslimbrüder verteidigt hatte. Riad bestreitet alle Vorwürfe.

Nun sucht das Königshaus aufgrund des enormen internationalen Drucks nach einem Ausweg aus der diplomatischen Krise, die zunächst Saudi-Arabien und die Türkei involvierte und mittlerweile ihre Kreise auch in die USA gezogen hat. Wie CNN berichtete, sollen die Saudis planen, Khashoggis Tod als Unfall aussehen zu lassen. Die Schriftführer der Königsfamilie sollen einen entsprechenden Bericht vorbereiten, ein Geständnis stehe im Raum. Ein Verhör und eine „versuchte Entführung“ sollen „schiefgelaufen“ sein, wie CNN berichtete. Dabei beruft sich der Sender auf zwei anonyme Quellen.

Zeitung nannte „Kopf des Vollstreckungsteams“

Der Plan soll sein, Saudi-Arabien zu entlasten. Eine gegen Khashoggi gerichtete Operation soll ohne Genehmigung der Regierung abgelaufen sein. Die Verantwortlichen wolle man gerecht bestrafen. Kritikerinnen und Kritiker urteilen ob der fragwürdigen Strategie des Königshauses, der Kronprinz habe sich verkalkuliert und habe sogar seine politische Zukunft zerstört. Dass sein Vater, Staatsoberhaupt König Salman ibn Abd al-Asis, plane, in die Krise einzugreifen, sei zu bezweifeln, denn dann stünden sowohl der König als auch der Kronprinz als Lügner da.

Seit Khashoggi am 2. Oktober das saudi-arabische Konsulat in Istanbul besucht hatte, fehlt von ihm jede Spur. Er wollte Dokumente für seine Hochzeit mit einer Türkin abholen. Türkische Ermittler gehen davon aus, dass er in dem Konsulatsgebäude in Istanbul von einem Spezialkommando getötet wurde – es soll sogar Audioaufnahmen einer Enthauptung geben, die den türkischen Ermittlern vorliegen sollen. 15 Personen seien darin verwickelt gewesen. Auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan äußerte sich zu den Hinweisen auf den möglichen Mord an Khashoggi. Man schaue sich mögliche Spuren „giftiger Substanzen“ genauer an, sagte er.

Bild einer Überwachungskamera zeigt einen Herrn, der zuvor mit dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman angereist war, vor dem Konsulat in Istanbul
AP/Sabah
Dieser Mann, der im April mit dem Kronprinzen bei einer Reise in die USA gesehen worden war, wurde am 2. Oktober von Überwachungskameras vor dem Konsulat in Istanbul aufgenommen

Die türkische Regierungszeitung nannte unterdessen den angeblichen „Kopf des Vollstreckungsteams“. In einem am Donnerstag veröffentlichten Beitrag zeichnete „Sabah“ die Bewegung eines Saudis nach, den sie namentlich nennt. „Sabah“ zeigte Fotos, die offenbar aus Sicherheitskameras stammen und die den Saudi in Istanbul zeigen sollen – unter anderem beim Betreten des Konsulats, wie auch vor der Residenz des Konsuls, in einem Hotel und auf dem Flughafen. „Sabah“ berichtete, der Mann sei am 2. Oktober – dem Tag, an dem Khashoggi verschwand – um 3.38 Uhr in Istanbul gelandet. Um 9.55 Uhr sei er im Konsulat gewesen.

Forensiker als Schlüsselperson?

Auch eine weitere Schlüsselperson wurde bekannt, die bei der angeblichen Folter und Ermordung Khashoggis ihre Finger im Spiel gehabt haben soll: der Forensiker Salah Mohammed al-Tubaigi. Er soll im Auftrag Riads 2015 drei Monate in einem forensischen Institut in Australien verbracht haben, wo er Autopsien überwacht haben soll.

Khashoggi oder Chaschukdschi?

Bei der Transkription arabischer Namen gibt es im Wesentlichen zwei journalistische Schulen: Eine versucht, den Namen mit Hilfe des Englischen wiederzugeben, die andere, mit Hilfe des Deutschen. ORF.at hat sich schon vor Jahren für die zweite Variante entschieden und ist um größtmögliche Konsistenz dabei bemüht. In einigen Fällen löst das allerdings Irritationen aus, vor allem, wenn Namen nur in der englischsprachigen Transkription bekannt sind. In diesem Sinn verwendet ORF.at ab sofort ebenfalls die Schreibweise Jamal Khashoggi.

Das Victorian Institute of Forensic Medicine bestätigte den Aufenthalt gegenüber dem „Guardian“. Besuche von saudi-arabischen Wissenschaftlern seien keine Seltenheit, so Noel Woodford vom forensischen Institut zum „Guardian“, Tubaigi habe angegeben, er sei in Saudi-Arabien für Unfälle während Massenpaniken zuständig, die etwa während des Hadsch nach Mekka passieren würden. In einer den türkischen Ermittlern vorliegenden Audioaufnahme des angeblichen Mordes soll zu hören sein, wie Tubaigi den mutmaßlichen Tätern angeordnet haben soll, Kopfhörer aufzusetzen und Musik zu hören, während sie den Leichnam zerstückeln.

Trump hält Khashoggi für tot und droht

Die türkischen Ermittler schlossen die Untersuchung des Konsulats sowie der Residenz des Konsuls am Donnerstag ab. US-Präsident Donald Trump, der zunächst um die Audioaufnahmen gebeten hatte, sagte am Donnerstag, dass er nicht mehr damit rechne, dass Khashoggi am Leben sei. „Es sieht ganz danach aus“, sagte Trump vor Journalisten auf eine entsprechende Frage, „es ist sehr traurig.“ Er warte auf Details von drei unterschiedlichen Untersuchungen, um dem Verschwinden von Khashoggi auf den Grund zu gehen. Sollte Saudi-Arabien für den Tod des Journalisten verantwortlich sein, müssten daraus „sehr schwerwiegende“ Konsequenzen folgen.

Druck steigt

Laut „New York Times“ sind die US-Geheimdienste zunehmend davon überzeugt, dass Kronprinz Salman etwas mit dem Verschwinden des Journalisten zu tun hatte. Denn es stünden auch Mitschnitte saudi-arabischer Beamter zur Verfügung, die über die Festnahme Khashoggis diskutiert hätten, berichtete die Zeitung unter Berufung auf US- und europäische Geheimdienstkreise. Darüber hinaus sei es höchst unwahrscheinlich, dass ein Einsatz der saudischen Geheimdienste ohne Wissen des Kronprinzen hätte durchgeführt werden können.

Denn Kronprinz Salman machte bereits zuvor deutlich, wie er mit Kritikern umgeht. Nachdem er im vergangenen Juli den bisherigen Kronprinzen Mohammed ibn Naif verdrängt hatte, ließ er im September 2017 mehrere konservative Kleriker festnehmen. Im November 2017 holte er dann zum großen Schlag aus. Rund 200 Prinzen, Ex-Minister und Geschäftsleute wurden unter dem Vorwurf der Korruption in einem Luxushotel in Riad festgesetzt – und erst nach Wochen und milliardenschweren Ausgleichszahlungen wieder freigelassen. Gleichzeitig setzte er zu einer Charmeoffensive an und versuchte sich als Reformer zu präsentieren: Frauen wurde das Autofahren erlaubt, er versprach auch eine wirtschaftliche Öffnung des Landes.

Archivbild aus dem Jahr 2017 zeigt US-Präsident Donald Trump mit seiner Frau Melania während den Besuch beim saudischen König King Salman bin Abdulaziz al-Saud
APA/AFP/Bandar Al-Jaloud
Trump und die First Lady Melania statteten dem saudischen König Salman im Oktober einen Besuch ab

US-Demokraten forderten Trump unterdessen in einem offenen Brief dazu auf, seine Firmenbeziehungen zu Saudi-Arabien offenzulegen. Entsprechend müssten Trump und auch seine Söhne „Dokumente zu Finanztransfers vom Königreich Saudi-Arabien an die Trump Organization aus den vergangenen zehn Jahren offenlegen“, hieß es in dem Brief. Zudem fordern die Demokraten Informationen zu Verhandlungen über mögliche Geschäfte des Trump-Imperiums mit Saudi-Arabien und über mögliche Geschenke saudi-arabischer Staatsbürger an Trump. Noch im Wahlkampf hatte Trump mit seinen guten Geschäftsbeziehungen zu Saudi-Arabien geprahlt. 2017 hatten die USA einen Rüstungsdeal im Wert von 110 Mrd. Dollar (98 Mrd. Euro) abgeschlossen.

Menschenrechts-NGOs fordern UNO-Untersuchung

Mehrere Menschenrechtsorganisationen forderten am Donnerstag eine UNO-Untersuchung des mutmaßlichen Mordes. Die UNO müsse die Umstände und die Rolle Saudi-Arabiens bei dem Verschwinden und der möglichen Hinrichtung Khashoggis klären, so Amnesty International, das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ), Human Rights Watch (HRW) und Reporter ohne Grenzen (RSF) in New York. Die Organisationen drängten die Türkei, bei UNO-Generalsekretär Antonio Guterres die Einleitung einer solchen Untersuchung zu beantragen.

Außerdem sagten mehrere Minister ihre Reise zur Investorenkonferenz am 23. Oktober in Riad ab, darunter US-Finanzminister Steven Mnuchin, der britische Handelsminister Liam Fox, der niederländische Wirtschaftsminister Wopke Hoekstra und der französische Finanzminister Bruno Le Maire. Auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, wird nicht anreisen. Russlands Präsident Wladimir Putin sagte hingegen, Moskau könne nicht damit anfangen, die Beziehungen zu Saudi-Arabien zu verschlechtern, solange nicht klar sei, „was wirklich passiert ist“.