Mann kommt aus dem saudischen Konsulat in Istanbul
AP/Lefteris Pitarakis
Fall Khashoggi

Riad gibt Tötung von Journalisten zu

Zweieinhalb Wochen nach dem Verschwinden des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi (Dschamal Chaschukdschi) hat Saudi-Arabien erstmals zugegeben, dass der Kritiker des Königshauses im Konsulat in Istanbul getötet wurde. Er sei ums Leben gekommen, nachdem es zu einem Kampf mit Personen gekommen sei, die er in dem Konsulat getroffen habe, so die Staatsanwaltschaft in Riad am Samstag.

Dass der Tod geplant gewesen sei, gestand die saudische Führung allerdings weiterhin nicht ein. Ein Streit zwischen Khashoggi und Männern im Konsulat habe sich zu einer „Schlägerei“ entwickelt, „die zu seinem Tod führte“, erklärte der saudi-arabische Generalstaatsanwalt Scheich Saud al-Modscheb.

König Salman ordnete staatlichen Medien zufolge an, den stellvertretenden Geheimdienstchef Ahmed Assiri und den Königshaus-Berater Saud al-Kahtani, der als rechte Hand von Kronprinz Mohammed bin Salman gilt, ihrer Posten zu entheben. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, die Ermittlungen liefen noch. 18 saudische Staatsbürger seien festgenommen worden.

Kronprinz aus der Schusslinie

In Riad läuft wohl alles darauf hin, Kronprinz Mohammed aus der Schusslinie zu nehmen. Der 33-jährige Thronfolger gilt als eigentlicher starker Mann im Staat. Medienberichte hatten ihn in Verbindung mit dem Mord an dem ungeliebten Journalisten gebracht. Die „Washington Post“ hatte vor einer Woche Geheimdienstdokumente veröffentlicht, die zeigen sollen, dass der Kronprinz die Entführung Khashoggis angeordnet habe. Als Motiv für eine Ermordung gilt laut „Post“, dass der Regierungskritiker die von Saudi-Arabien verhasste und verbotene Bewegung der Muslimbrüder verteidigt hatte.

Der saudische Kronproinz Mohammed bin Salman
AP/Cliff Owen
Kronprinz Mohammed war rund um die Tötung Khashoggis unter Druck geraten

Ein mit den Ermittlungen vertrauter Vertreter Saudi-Arabiens sagte nun, der Kronprinz habe nichts von einem Einsatz gegen Khashoggi gewusst. Ganz sicher habe er auch keine Entführung oder Ermordung angeordnet. Vielmehr soll Kronprinz Mohammed nun selbst den Umbau des Geheimdiensts überwachen. Der Thronfolger habe die Bildung eines entsprechenden Ministerialkomitees angeordnet, berichteten saudische Medien.

Trump hält Erklärung für glaubwürdig

Hinter dem vagen Eingeständnis aus Riad dürfte auch der wachsende Druck von US-Präsident Donald Trump stehen, einem der wichtigsten Verbündeten des Königshauses. Der US-Präsident nahm die saudische Erklärung denn auch positiv auf. Er halte sie für glaubwürdig, sagte Trump und sprach von einem „guten ersten großen Schritt“. Saudi-Arabien sei ein „großartiger Verbündeter“, sagte er Freitagabend (Ortszeit) in Arizona.

US-Präsident Donald Trump
AP/Matt York
Trump reagierte positiv auf die Erklärung Riads

Trump wollte keine öffentlichen Zweifel an der offiziellen Darstellung Saudi-Arabiens zum Tod Khashoggis äußern, betonte aber auch: „Wir haben einige Fragen.“ Er wolle deshalb mit Kronprinz Mohammed sprechen. Trump hatte vor der Bestätigung von Khashoggis Tod nicht ausgeschlossen, dass die USA Sanktionen gegen Saudi-Arabien verhängen könnten. Waffengeschäfte schloss er freilich dezidiert davon aus.

Erdogan telefonierte mit König Salman

Kurz vor dem Eingeständnis Riads telefonierten der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und der saudische König Salman miteinander. Das geht aus einem in der Nacht veröffentlichten Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu hervor. Erdogan und Salman hätten über den Fall Khashoggi gesprochen und über die Wichtigkeit, voll bei den Ermittlungen zu kooperieren. Während des Gesprächs hätten der Präsident und der König Informationen über die Fortschritte der Ermittlungen ausgetauscht.

Wenig diplomatisch äußerte sich nach dem Geständnis Riads eine Sprecherin von Erdogans AKP. Leyla Sahin Usta sagte am Samstag, es wäre wichtig gewesen, wenn Saudi-Arabien früher mit Details zum Tod des Regimekritikers an die Öffentlichkeit gegangen wäre. „Das ist eine große Schande für Saudi-Arabien und die ganze Welt“, so die Sprecherin in der zentralanatolischen Provinz Konya. Erst durch die „ernsthaften und erfolgreichen“ türkischen Ermittlungen in dem Fall sei das Land „gezwungen“ gewesen, Khashoggis Tod schließlich zu bestätigen.

Internationaler Druck

Khashoggi hatte am 2. Oktober das saudische Konsulat in Istanbul betreten, um Dokumente für seine bevorstehende Hochzeit zu bekommen. Seitdem galt der Kolumnist der „Washington Post“ als vermisst. Doch rasch kam der Verdacht auf, dass Khashoggi umgekommen sein könnte. Die türkischen Behörden gingen davon aus, dass er in dem Konsulat getötet und seine Leiche fortgeschafft wurde. Saudi-Arabien wies die Vorwürfe zunächst zurück und erklärte, der Journalist habe das Konsulat kurz nach seinem Besuch wieder verlassen.

Khashoggi oder Chaschukdschi?

Bei der Transkription arabischer Namen gibt es im Wesentlichen zwei journalistische Schulen: Eine versucht, den Namen mit Hilfe des Englischen wiederzugeben, die andere, mit Hilfe des Deutschen. ORF.at hat sich schon vor Jahren für die zweite Variante entschieden und ist um größtmögliche Konsistenz dabei bemüht. In einigen Fällen löst das allerdings Irritationen aus, vor allem, wenn Namen nur in der englischsprachigen Transkription bekannt sind. In diesem Sinn verwendet ORF.at ab sofort ebenfalls die Schreibweise Jamal Khashoggi.

Zuletzt nahm der Druck auf das Königshaus jedoch zu, für Aufklärung zu sorgen. Zahlreiche westliche Staaten, darunter auch Österreich, forderten das. Die türkischen Behörden hatten zudem ihre Ermittlungen mit Verhören und Durchsuchungen zunehmend ausgeweitet und nach der Leiche gesucht. Deren Verbleib ist nach wie vor unklar. Zudem sagten zahlreiche führende Wirtschaftsvertreter und ranghohe Politiker ihre Teilnahme an einer bevorstehenden internationalen Investorenkonferenz in Riad ab.

Kritische Töne aus US-Kongress

Deutlich kritischer als der US-Präsident äußerten sich nach dem Eingeständnis Riads der US-Kongress, den Trump in die Entscheidung über eventuelle Maßnahmen gegen Saudi-Arabien einbinden will. „Zu sagen, ich sei skeptisch, was die neue saudische Erzählung zu Herrn Khashoggi angeht, ist eine Untertreibung“, sagte etwa der republikanische Senator Lindsey Graham. Sein demokratischer Kollege Richard Blumenthal sagte zu CNN, die Erklärung aus Saudi-Arabien trotze jeglicher Glaubwürdigkeit. Ähnlich äußerte sich Eliot Engel, der ranghöchste Vertreter der Demokraten im Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses.

UNO-Generalsekretär fordert Aufklärung

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich „zutiefst beunruhigt“ über den gewaltsamen Tod Khashoggis, wie sein Büro mitteilte. Guterres bekräftigte die Notwendigkeit einer „unmittelbaren, gründlichen und transparenten Untersuchung“ der Todesumstände. Zudem müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Auch Österreichs Außenministerin Karin Kneissl teilte in einer Aussendung mit, das Ministerium beobachte die „Lage von Regierungskritikern in Saudi-Arabien mit großer Sorge. Der Fall Kashoggi ist nur der Gipfel des Horrors“, so die von der FPÖ nominierte Ministerin. Dass der Tod des Journalisten im Konsulat nun eingeräumt wurde, ändere nichts an der „Notwendigkeit einer umfassenden, glaubwürdigen und unabhängigen Untersuchung“. Ein derart gravierender Vorfall dürfe nicht ohne Konsequenzen bleiben, insbesondere auch was die Beziehungen der EU mit Saudi-Arabien anbelangt.

Saudi-Arabien hatte seine Gangart mit Kritikern in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. Unter der rigiden Herrschaft von Kronprinz Mohammed wurden zahlreiche Kritikerinnen und Kritiker des Königshauses eingesperrt oder verschwanden. Die Maßnahmen betrafen sowohl konservative als auch liberale Kräfte.