Das saudische Konsulat in Istanbul
Reuters/Huseyin Aldemir
Khashoggis Tod

Saudische Darstellung lässt viele Fragen offen

Nach Saudi-Arabiens Bestätigung, dass der Journalist Jamal Khashoggi (Dschamal Chaschukdschi) tot ist, gibt es Zweifel an der offiziellen Darstellung Riads. Der Ruf nach einer unabhängigen Untersuchung des mysteriösen Todesfalls wird lauter. Wesentliche Fragen, etwa wo Khashoggis Leichnam hingebracht wurde, blieb das saudische Königshaus vorerst schuldig.

Vor mehr als zwei Wochen war der saudische Journalist bei einem Besuch im Konsulat in Istanbul verschwunden. Erst am Freitagabend hatte Saudi-Arabien schließlich Khashoggis Tod zugegeben. Zwischen ihm und Personen im Konsulat sei es zum Streit gekommen, hatte die staatliche saudische Nachrichtenagentur Spa. Im Zuge von Handgreiflichkeiten sei der für die „Washington Post“ tätige Journalist verstorben.

An dieser Version häuften sich international Zweifel. Nicht nur die späte Erklärung Saudi-Arabiens warf Fragen auf, auch der kolportierte Hergang des Todes. Khashoggi hatte dem Konsulat in Istanbul einen Besuch abgestattet, um Dokumente für seine geplante Hochzeit zu besorgen. Auch zum Verbleib der Leiche gab es aus Saudi-Arabien keine Erklärung.

„Das ist Vertuschung“

Die „Washington Post“, für die Khashoggi gearbeitet hatte, hielt die Darstellung Saudi-Arabiens für eine Lüge und Vertuschungsaktion. „Die Regierung von Saudi-Arabien hat in den fast drei Wochen, seit Jamal Khashoggi in ihrem Istanbuler Konsulat verschwunden ist, wiederholt und beschämend eine Lüge nach der anderen angeboten“, sagte der Herausgeber der Zeitung, Fred Ryan, am Samstag in einer Mitteilung. „Sie legen keine Beweise vor und erwarten jetzt, dass die Welt entgegen aller Erkenntnisse glaubt, dass Jamal in einem Kampf gestorben sei, der auf eine Diskussion folgte. Das ist keine Erklärung; das ist Vertuschung.“

Die EU forderte am Samstag eine umfassende Untersuchung. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini erklärte in Brüssel: „Daher besteht die Europäische Union genau wie ihre Partner auf der Notwendigkeit fortgesetzter umfassender, glaubwürdiger und transparenter Ermittlungen, die die Umstände der Tötung angemessen aufklären und alle dafür Verantwortlichen uneingeschränkt zur Rechenschaft ziehen.“

Türkei will Aufklärung vorantreiben

Auch die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) forderte Konsequenzen nach der Stellungnahme aus Riad. „Jeder Versuch, nach der Erklärung wieder zur Tagesordnung übergehen zu wollen, wäre de facto ein Freibrief zum weiteren Töten von Kritikern eines Königreichs, das Journalisten inhaftiert, auspeitscht, entführt und auch ermordet“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntagsausgaben). „Die Erklärung von Saudi-Arabien zum Mord an Jamal Khashoggi ist unglaubwürdig und wirft mehr Fragen als Antworten auf“, urteilte er.

Saudis bestätigen Khashoggis Tod

Nach mehr als zwei Wochen und starkem internationalen Druck hat Saudi-Arabien eingeräumt, dass Khashoggi getötet worden ist. Es sei ein Unfall gewesen, heißt es.

Auch die Vizechefin der türkischen Regierungspartei AKP, Leyla Sahin Usta, bewertete die Erklärung aus Riad als „nicht überzeugend“ und bezeichnete das späte Geständnis als „Schande“. Erst durch die „ernsthaften und erfolgreichen“ türkischen Ermittlungen in dem Fall sei das Land „gezwungen“ gewesen, Khashoggis Tod schließlich zu bestätigen. „Die Türkei wird alles enthüllen, was hier vorgefallen ist“, sagte AKP-Sprecher Ömer Celik am Samstag. Sein Land sehe die Klärung des Falls als „Ehrenschuld“. Vorverurteilungen schloss er ebenso wie Vertuschung aus.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich „zutiefst beunruhigt“ und bekräftigte die Notwendigkeit einer „unmittelbaren, gründlichen und transparenten Untersuchung“ der Todesumstände. Dem schloss sich UNESCO-Chefin Audrey Azoulay an. Sie verurteilte die Tötung des Journalisten als „brutalen Mord“ und forderte, die Täter müssten vor Gericht gebracht werden.

Internationale Betroffenheit

FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl drückte am Samstag ihre Besorgnis über die Lage von Regierungskritikern in Saudi-Arabien aus und nannte den Fall Khashoggi nur den „Gipfel des Horrors“. Ein derart gravierender Vorfall dürfe nicht ohne Konsequenzen bleiben, auch was die Beziehungen der EU mit Saudi-Arabien anbelange. Auch SPÖ, NEOS und Liste Pilz traten für Aufklärung ein und forderten die österreichische Regierung auf, aktiv zu werden.

Khashoggi oder Chaschukdschi?

Bei der Transkription arabischer Namen gibt es im Wesentlichen zwei journalistische Schulen: Eine versucht, den Namen mit Hilfe des Englischen wiederzugeben, die andere, mit Hilfe des Deutschen. ORF.at hat sich schon vor Jahren für die zweite Variante entschieden und ist um größtmögliche Konsistenz dabei bemüht. In einigen Fällen löst das allerdings Irritationen aus, vor allem, wenn Namen nur in der englischsprachigen Transkription bekannt sind. In diesem Sinn verwendet ORF.at ab sofort ebenfalls die Schreibweise Jamal Khashoggi.

Das britische Außenministerium teilte mit, unter Berücksichtigung des Berichts Saudi-Arabiens „weitere Schritte“ zu überlegen und verurteilte die „schreckliche Tat“. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, hieß es.

Ähnlich die Stimmen aus Frankreich: Außenminister Jean-Yves Le Drian sagte, viele Fragen blieben unbeantwortet. Er forderte eine gründliche Untersuchung.

Angaben für Berlin „nicht ausreichend“

In Deutschland zogen sowohl die Koalitionspartner als auch die Opposition die Darstellung Saudi-Arabiens zum Tod Khashoggis in Zweifel. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und ihr Außenminister Heiko Maas reagierten „mit großer Betroffenheit“. In einer gemeinsamen Erklärung schrieben sie, man erwarte von Saudi-Arabien „Transparenz im Hinblick auf die Todesumstände und die Hintergründe“. Verantwortliche müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Laut Maas sollen deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien aktuell nicht genehmigt werden.

„Die vorliegenden Angaben zu den Abläufen im Konsulat in Istanbul sind nicht ausreichend“, hieß es in der Erklärung. Zudem drückten Merkel und Maas Khashoggis Verlobten, Angehörigen und Freunde ihr Mitgefühl aus. Die Verlobte, Hatice Cengiz, schrieb auf Twitter: „Sie nahmen deine körperliche Präsenz aus meiner Welt. Aber dein schönes Lachen wird für immer in meiner Seele bleiben. Mein Schatz“. Auch fragte Cengiz, wo der Leichnam geblieben sei.

Aus türkischen Regierungskreisen hieß es, die Ermittler würden über kurz oder lang den Leichnam finden. Eine Möglichkeit sei, dass die Leiche im Belgrader Wald – einem Naherholungsgebiet nördlich von Istanbul – oder in einer ländlichen Gegend bei Yalova etwa 90 Kilometer südlich von Istanbul versteckt worden sei. Die Ermittler überprüften die Fahrtrouten aller Wagen, die am Tag von Khashoggis Verschwindens das Konsulat verlassen hätten.

Trump sieht "wichtigen ersten Schritt“

US-Präsident Donald Trump bezeichnete die amtliche Darstellung des wichtigen US-Verbündeten in Riad als glaubwürdig. Das Eingeständnis sei ein „sehr wichtiger erster Schritt“, doch sei die „Überprüfung oder Ermittlung noch nicht beendet“. Am Samstag fügte er hinzu: Es seien noch Fragen offen. „Nein, ich bin nicht zufrieden bis wir die Antwort haben.“ Saudi-Arabien ist ein wichtiger Verbündeter Trumps, der auf das Königreich setzt, um den Iran einzudämmen und seinen geplanten Nahost-Friedensplan bei den Palästinensern durchzusetzen.

Eingang zum Belgrader Wald
AP/Emrah Gurel
Der Belgrader Wald bei Istanbul: Hier wurde Khashoggis Leiche vermutet.

Der saudische König Salman ordnete staatlichen Medien zufolge an, den Vizegeheimdienstchef Ahmad al-Assiri und den Königshausberater Saud al-Kahtani, der als rechte Hand von Kronprinz Mohammed bin Salman gilt, ihrer Posten zu entheben. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, die Ermittlungen liefen noch. 18 saudische Staatsbürger seien festgenommen worden.

Die Experten vom Forschungsinstitut Eurasia Group werteten die Erklärung zum Tod Khashoggis und die Absetzung von al-Assiri und al-Kahtani als Versuch, „den Kronprinzen von dem Mord distanzieren“.

Lob aus der Region

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) begrüßten die Maßnahmen des saudischen Königs Salman im Fall Khashoggi, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur WAM auf Twitter. Laut dem sich in saudischem Besitz befindlichen TV-Sender Al-Arabiya lobte Bahrain gleichfalls die Entscheidungen von König Salman. „Saudi-Arabien wird ein Staat des Rechts, der Werte und Prinzipien bleiben“, zitierte der Sender eine offizielle Stellungnahme. Der jemenitischen Nachrichtenagentur zufolge habe sich auch der Jemen lobend geäußert.

Saudi-Arabien hatte sein Vorgehen gegen Kritiker in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. Zahlreiche Aktivisten, Kleriker, Geschäftsleute oder Frauenrechtler eingesperrt. Auch außenpolitisch tritt die Monarchie unter dem Thronfolger deutlich aggressiver auf.