Der saudische Journalist Jamal Khashoggi auf einer Überwachungskamera und sein vermeintliches Double
Screenshot CNN
Überwachungsvideo

Saudi-Agent in Khashoggis Kleidung?

Im Fall des getöteten Journalisten Jamal Khashoggi (Dschamal Chaschukdschi) gibt es ein neues, bizarres Detail. Bilder eines Überwachungsvideos, die der US-Sender CNN veröffentlichte, legen nahe, dass ein Mitglied des 15-köpfigen Kommandos das saudische Konsulat in Istanbul in Khashoggis Kleidung verlassen hat – nach dem Mord am Dissidenten.

Der Mann soll den Bildern zufolge das saudische Konsulat durch einen Hinterausgang verlassen haben. Das berichteten verschiedene Medien am Sonntag mit Bezug auf anonyme saudische Beamte sowie auf türkische Ermittlerkreise. Ziel sei es gewesen, den Eindruck zu erwecken, als habe Khashoggi das Konsulat wieder verlassen. Der Verkleidete soll dem Bericht zufolge Mustafa Madani sein.

Laut CNN würde das Material auch in die Untersuchung der türkischen Strafverfolgungsbehörden miteinbezogen. Madani trage neben Khashoggis Kleidung und Brille auch einen falschen Bart, sagte ein hochrangiger türkischer Beamter, nachdem die Bilder publik wurden. Bereits am Sonntag hatte ein Vertreter der saudischen Regierung der Nachrichtenagentur Reuters dasselbe erzählt – mit dem zusätzlichen Detail, Madani habe auch Khashoggis Uhr getragen.

Schuhe nicht gewechselt?

Mit der Veröffentlichung einer Serie von Bildern verschiedener Überwachungskameras leitete CNN eine Chronologie des Tages her. Der Agent habe das saudische Konsulat am 2. Oktober rund zwei Stunden vor Khashoggi betreten, der um 13.14 Uhr ankam. Etwa eineinhalb Stunden danach verließ Madani das Gebäude – nur seine Schuhe wechselte er offenbar nicht. Einige Stunden später besuchte er die Blaue Moschee.

Mehrere Bilder und Videos publik

Mehrere Überwachungsvideos und Bilder von Khashoggi wurden über Medien publik. Sie sollen unter anderem eine Grundlage für die Ermittlungen sein.

Geht es nach der Türkei, sollen bald „alle“ Beweise vorgelegt werden – Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte für Dienstag eine Erklärung zu den Umständen von Khashoggis Tod an. Der Sprecher der türkischen Regierungspartei AKP bezeichnete den Tod als einen „monströs geplanten“, komplexen Mord. Die Türkei sehe sich in der Verantwortung, die Wahrheit über den Fall an den Tag zu bringen, sagte Ömer Celik am Montag vor Journalisten.

„Furchtbarer Fehler“

Als „furchtbaren Fehler“ bezeichnete der saudische Außenminister Adel al-Dschubair nun den Tod Khashoggis. Die Führung Saudi-Arabiens wisse nicht, wo sich dessen Leichnam befindet. In einem Interview versprach Dschubair aber, dass Riad alles tun werde, um den Fall aufzuklären. Zuvor erhöhte der Westen erneut den Druck auf das Königreich.

Der vermeintliche saudische Journalist Jamal Khashoggi auf einer Überwachungskamera
Reuters
Khashoggi mit seiner Verlobten bei der Ankunft in der Residenz – eine Stunde später betrat er das Konsulat

„Er wurde in dem Konsulat (Saudi-Arabiens in Istanbul in der Türkei, Anm.) getötet“, sagte der Außenminister im Interview mit dem US-TV-Sender Fox News am Sonntag. „Die genauen Details kennen wir nicht. Wir wissen nicht, wo die Leiche ist.“ Das Sicherheitsteam an Ort und Stelle habe offensichtlich kriminell gehandelt, einen „riesigen Fehler“ gemacht und versucht, die Tötung Khashoggis anschließend auch noch zu vertuschen, so Dschubair. Der Minister versicherte, seine Regierung sei entschlossen, „jeden Stein umzudrehen“, alle Fakten aufzuklären und die Verantwortlichen für diese „Verirrung“ zu bestrafen.

Riads neue Version des Falls

Nach wochenlangem Dementi hatte Riad am Samstag eingestanden, dass der 59-jährige „Washington Post“-Kolumnist im Konsulat des Königreichs in Istanbul getötet worden sei. Der Außenminister war der erste offizielle Vertreter des Landes, der sich danach öffentlich zu dem Fall äußerte. Der Darstellung Saudi-Arabiens zufolge kam Khashoggi bei einem Kampf mit Personen ums Leben, die er in dem Konsulat getroffen habe.

Das Tor zur saudischen Botschaft in Istanbul
Reuters/Osman Orsal
Khashoggi soll laut Riad bei einem Kampf mit Personen, die er im Konsulat getroffen hatte, ums Leben gekommen sein

Khashoggi oder Chaschukdschi?

Bei der Transkription arabischer Namen gibt es im Wesentlichen zwei journalistische Schulen: Eine versucht, den Namen mit Hilfe des Englischen wiederzugeben, die andere, mit Hilfe des Deutschen. ORF.at hat sich schon vor Jahren für die zweite Variante entschieden und ist um größtmögliche Konsistenz dabei bemüht. In einigen Fällen löst das allerdings Irritationen aus, vor allem, wenn Namen nur in der englischsprachigen Transkription bekannt sind. In diesem Sinn verwendet ORF.at ab sofort ebenfalls die Schreibweise Jamal Khashoggi.

Ein hochrangiger Regierungsvertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte, sagte laut Reuters, der 59-jährige Khashoggi sei durch einen „Würgegriff“ gestorben. Ihm zufolge wollte die saudische Regierung Khashoggi überzeugen, in das Königreich zurückzukehren. Ein nach Istanbul entsandtes Team habe aber schnell Gewalt angewendet. „Sie haben versucht zu verhindern, dass er schreit“, sagte der Regierungsvertreter Reuters zufolge. Dabei sei der Journalist gestorben.

18 Festnahmen

18 Staatsbürger Saudi-Arabiens wurden nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft bisher festgenommen und zwei hochrangige Berater von Kronprinz Mohammed bin Salman sowie drei weitere Geheimdienstmitarbeiter entlassen.

Ein entlassener hoher Regierungsmitarbeiter ist in dem Königreich aber weiter aktiv. Der bisher für Medienangelegenheiten zuständige Saud al-Kahtani bezeichnet sich auf Twitter nun als Präsident des Verwaltungsrates der saudischen Föderation für Cybersicherheit, Programmierung und Drohnen. Kahtani verbreitete dort am Montag auch Tweets. Bisher hatte er sich auf Twitter als Berater des Königshauses mit dem Rang eines Ministers ausgegeben. Die saudische Föderation für Cybersicherheit, Programmierung und Drohnen gibt auf ihrer Website an, dass sie unter dem Dach des Saudischen Olympischen Komitees arbeitet.

Khashoggi war vor einem Jahr aus Sorge vor Vergeltungsmaßnahmen in die USA gezogen. Er wollte am 2. Oktober in dem Konsulat Dokumente für seine bevorstehende Hochzeit abholen. Seither galt er als vermisst.

Internationaler Druck auf Riad steigt

Riad steht nach seinem Tod international unter großem Druck. Großbritannien, Frankreich und Deutschland forderten Saudi-Arabien in einer gemeinsamen Stellungnahme auf, mehr für die Aufklärung des Falles zu tun. Die Darstellung des Königreichs müsse mit Fakten belegt werden, teilten die drei Länder am Sonntag mit. „Es bleibt das dringende Bedürfnis nach Klärung, was genau passiert ist.“ Nichts rechtfertige den Tod des Journalisten.

Jamal Khashoggi
APA/AFP/Mohammed Al-Shaikh
Der Journalist Khashoggi galt seit dem 2. Oktober als vermisst

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel kündigte unterdessen auch an, vorerst keine Waffen mehr an Saudi-Arabien zu liefern. Die CDU-Chefin verurteilte die Tötung des Journalisten in Berlin „in aller Schärfe“. „Was Rüstungsexporte anbelangt, kann das nicht stattfinden in dem Zustand, in dem wir im Augenblick sind“, sagte Merkel.

Trump-Berater: In Causa noch in Findungsphase

US-Präsident Donald Trump wird nach den Worten seines Beraters Jared Kushner über das weitere Vorgehen in der Causa entscheiden, wenn alle Fakten vorliegen. Die USA befänden sich noch in einer Phase der Informationssammlung, sagte Kushner am Montag dem Sender CNN. Auf die Frage, wie vertrauenswürdig die Ermittlungen in Saudi-Arabien seien, sagte er: „Wir bekommen Fakten von vielen Stellen.“

Kushner, der auch Trumps Schwiegersohn ist, betonte, Saudi-Arabien sei ein wichtiger US-Verbündeter. Die USA beobachteten die Entwicklung mit offenen Augen, und Trump habe die Interessen der USA im Blick. Er selbst habe Kronprinz Mohammed bin Salman gesagt, er müsse die Situation sehr ernst nehmen und transparent behandeln, sagte Kushner.

Tajani fordert internationale Untersuchung

Der Präsident des EU-Parlaments, Antonio Tajani, forderte eine internationale Untersuchung des Falls. Diese müsse auf „rigorose Art“ geführt werden, um eine vollständige Aufklärung über den gewaltsamen Tod des Journalisten zu erreichen, sagte er am Montag in Straßburg. Die saudi-arabische Regierung müsse „Licht in die Ereignisse bringen“, sagte der italienische Christdemokrat. Die für das Verbrechen Verantwortlichen müssten gefasst und bestraft werden.

Das Europaparlament will am Dienstagnachmittag über den Fall debattieren. Dazu wird auch eine Erklärung der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini erwartet. Vertreter der Linken und Grünen im Parlament forderten, alle EU-Staaten sollten sofort die Waffenlieferungen an Saudi-Arabien einstellen.

Iran: „Skrupelloses Regime“

Der Iran kritisierte seinen regionalen Erzfeind Saudi-Arabien scharf. „Dieser brutale Mord zeigt das wahre Gesicht des saudischen Königreichs und seines jungen Prinzen“, zitierte die Nachrichtenagentur ISNA Justizchef Sadegh Amoli Laridschani. Das politische System in Riad sei „korrupt und skrupellos“. Der schiitische Iran hatte überraschend lange zu dem Fall Khashoggi geschwiegen. Beide Länder machen sich die Vorherrschaft in der Region streitig.