Zu Beginn geht es fast ernsthaft zu: Hatten 2015 zwei lustige Monsteraffen die ganze Säulenhalle in Beschlag genommen, steht da jetzt ein spektakulär beleuchteter Pfau, über dem eine riesige Blasebalginstallation von der Decke baumelt: Ein Objekt aus 270 weißen Müllsäcken, das atmet wie eine überdimensionierte Lunge; symmetrisch, einfach, klar, ausgewogen, gut proportioniert, kreiert nach den Kriterien, die unsere Dopamin-Rezeptoren angeblich als schön vermelden – eine erste Schönheitshuldigung von Sagmeister und Walsh.
Und darum geht es auch in „Beauty“: Die Ausstellung ist, wie Stefan Sagmeister gut gelaunt im ORF.at-Interview meint, ein „Schönheitswiederbelebungsversuch“. Ein umfassender, wie die Grundthese der Ausstellung zeigt: Schönheit gilt nämlich – wie es gleich zu Beginn heißt – im gesamten 20. und 21. Jahrhundert als nicht besonders en vogue.

Ornament und Verbrechen
Adolf Loos’ Dogma vom unangemessenen und überflüssigen Ornament habe dazu geführt, dass sich „Designer und Designerinnen sowie Architektinnen und Architekten in eine fast psychotische Gleichförmigkeit verbissen“ haben. Das sei nicht kulturpessimistisch, meint Sagmeister dazu, „sondern das ist so. Es wird aber langsam besser.“ Zu zeigen, wie es denn besser ginge, dazu ist jedenfalls dieses Ausstellungsprojekt angetreten, bis in die Toiletten hinein und bis zur Perlenbestickung des Feuerlöschers, wieder auf allen vier Etagen des Museums für angewandte Kunst (MAK). Eine Ausnahme wie schon 2015.
Austrian Beauty
Stefan Sagmeisters Show zur Schönheit: In der Kunstszene gilt es seit Langem als No-Go, sich mit Schönheit zu befassen.
Erfolgsverwöhnter Auslandsösterreicher
Es ist ja auch Sagmeister, der da zu Werke geht: Der gebürtige Vorarlberger ist Österreichs Designsuperstar-Export und – als ehemaliger Student des Hauses – sozusagen auf Heimspiel hier, worüber man sich entsprechend freut. Über mangelnde Anerkennung kann sich Sagmeister grundsätzlich nicht beklagen: Der 56-Jährige, der seit 1993 in New York lebt und Plattencover für die Rolling Stones, Lou Reed und die Talking Heads gestaltete, wurde gleich sechsmal grammynominiert und zweimal ausgezeichnet.
Seit sechs Jahren macht Sagmeister jetzt mit der 25 Jahre jüngeren Walsh gemeinsame Sache, seit einiger Zeit erforschen die beiden gemeinsam die Schönheit: Zuletzt im Österreich-Pavillon der noch bis 25.11. laufenden Architekturbiennale in Venedig – und jetzt eben im MAK.
Ausstellungshinweis
Sagmeister und Walsh: Beauty. MAK; 24. Oktober bis 31. März 2019; Öffnungszeiten: dienstags 10.00-22.00 Uhr, mittwochs bis sonntags 10.00-18.00 Uhr.
So schön ist Sicherheit
Zurück in die Säulenhalle, zum ersten großen Objekt: Dieses täuscht in dem Sinne, dass die Schönheitswelt der beiden Stardesigner nicht grundsätzlich minimalistisch ist. Ganz im Gegenteil – wie schon die „Happy Show“ ist „Beauty“ ein fröhlicher Erlebnisparcours, gewaschen mit allen Wassern der Unterhaltungsindustrie, höchst unterhaltsam und multimedial aufbereitet, mit clever präsentierten Facts, werbespotartigen Filmen und einer Reihe von Mitmachstationen, die man hier um ein „Schönheitsarchiv“ aus der Sammlung des Hauses erweitert hat. Das Sicherheitsinstruktionsvideo von Virgin Atlantic ist ein echter Hingucker: Für Sagmeister und Walsh ein Beispiel, warum „schön“ auch „funktional“ ist:
Infotainment als Schnitzeljagd
Alles in allem: Eine höchst sinnliche Ausstellung, die durchaus Schnitzeljagdqualitäten hat und die – im Gegensatz zu so mancher selbst organisierten Tour – tatsächlich großen Spaß macht. Wobei es diesmal etwas nüchterner zugeht: Statt Kaugummis oder Sagmeisters Lieblingszuckerln bekommt man mit der Eintrittskarte fünf eingeprägte Münzen in die Hand gedrückt. Mit diesen kann man über den besten Duft (darunter „Frisches Brot“ und „Ein Molekül“), die schönste Form und die schönste Farbe abstimmen – wobei sich schon jetzt abzeichnet, wer da auf der Verliererseite steht. Was als schön oder hässlich bewertet wird, ist weltweit nämlich ziemlich ähnlich: Letzteres zum Beispiel die Farbe Braun und das Rechteck. Warum die meisten Gebäude dann braune Quader sind, darüber wundern sich Sagmeister und Walsh hier zu Recht.
Sagmeister im „kulturMontag“
Der renommierte Designer im Gespräch mit dem „kulturMontag“ über die Lust am Schönen.
Entdeckerinnen und Entdecker können sich hier außerdem in den klaustrophobisch anmutenden Swarowski „Sensory Room“ vorwagen, der uns präsentiert, was angeblich am allerschönsten ist – die Farben des Sonnenuntergangs, die Geräusche des malaysischen Flugfroschs und der Zitrusduft. Und außerdem gibt es einen Raum, in dem man den Lieblingssong von Sagmeister und Walsh hören kann: Ja, auch diesmal ist die Ausstellung subjektiv gefärbt und sehr selektiv gestaltet, was aber – wie eben diese kleine Musikfeierkoje – meist auch sehr charmant ist.

Bunte Slums für das westliche Gewissen
Als zentrale Message versuchen Sagmeister und Walsh hier vor allem eines zu vermitteln: Schönheit und Funktionalität schließen einander nicht aus – im Gegenteil: „In rein funktionalen Gegenden fühlen wir uns nicht nur schlechter, sondern benehmen uns auch schlechter“, meint Stefan Sagmeister dazu im Interview. In diesem Sinne haben Sagmeister und Walsh in Brooklyns hässlichster Unterführung den Schriftzug „Yes“ an die Wand gemalt – was zu einer wunderbaren Verwandlung führte: Was früher als Pissoir benutzt wurde, ist heute ein Hotspot der Hochzeitsfotografie. In Tirana und in einer Favela in Sao Paolo führte die bunte Bemalung von Häusern sogar dazu, die Kriminalitätsrate zu senken und die Wohnzufriedenheit zu steigern. Was ja an sich super ist – nur kommt man dann doch ein wenig ins Zweifeln.
Ist die bunte Slum-Bemalung nicht doch vor allem Oberflächenkosmetik, die uns vormacht, dass „die dort“ eh ein schönes Leben haben? Das ist jedenfalls nur ein Beispiel dafür, warum die platonische Gleichung „schön = gut = wahr“, die da so prominent im Stiegenhaus angebracht ist, als Motto doch nicht taugt. Sagmeister und Walsh erweisen sich an manchen Stellen als Verpackungskünstler und Verpackungskünstlerin – was man ihnen auf diesem unkonventionellen Ausstellungsparcours aber nicht wirklich übel nimmt.