Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan
Reuters/Tumay Berkin
Erdogan

Khashoggi wurde „grausam“ getötet

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat in einer Rede am Dienstag im Fall des getöteten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi (Dschamal Chaschukdschi) Saudi-Arabien frontal angegriffen und die von ihm im Vorfeld der Rede bereits angekündigten Details präsentiert. Er warf Saudi-Arabien vor, Khashoggi „grausam“ getötet zu haben.

Der „brutale Mord“ sei Tage im Voraus „geplant“ worden, so Erdogan vor der Fraktion seiner Partei AKP. Die Erklärung Saudi-Arabiens, einige Mitglieder des Geheimdienstes seien für die Tat verantwortlich, reiche nicht aus. Niemand dürfe davon ausgehen, dass die Ermittlungen in dem Fall abgeschlossen werden könnten, ohne dass alle Fragen beantwortet worden seien.

Von Saudi-Arabien verlangte er daher Aufklärung, „wer den Befehl für das Verbrechen“ gegeben habe und wo sich die Leiche Khashoggis befinde. Erdogan forderte zudem die saudi-arabischen Behörden auf, die Verdächtigen in Istanbul vor Gericht zu stellen. Die 18 festgenommenen Saudis müssten dort angeklagt werden, sagte er.

„Drei Teams“

„So einen Fall einigen Sicherheits- und Geheimdienstmitgliedern anzulasten würde weder uns noch die internationale Gemeinschaft zufriedenstellen.“ Er zweifle aber nicht an der Aufrichtigkeit von König Salman. Kronprinz Mohammed bin Salman, der verdächtigt wird, den Mord in Auftrag gegeben zu haben, erwähnte Erdogan nicht.

Erdogan lieferte zunächst eine minutiöse Darstellung der Tat aus türkischer Sicht ab der Minute, in der Khashoggi das Konsulat am 2. Oktober betrat. Es sollen bereits am Tag vor dem Verschwinden des Mannes mehrere Männer aus Saudi-Arabien angereist sein. Erdogan sprach von „drei Teams“. Eines habe vor dem Mord im Belgrader Wald und im Bezirk Yalova außerhalb Istanbuls „Nachforschungen angestellt“. Am Tag des Mordes seien sie dann zwischen 9.50 Uhr und 11.00 Uhr Ortszeit unabhängig voneinander ins Konsulat gekommen, um sich dort zu treffen.

Erste offizielle Stellungnahme

Erdogan hatte die mit Spannung erwartete Erklärung am Sonntag selbst angekündigt und gesagt, er werde „ins Detail“ gehen. Bisher hatten die türkischen Behörden noch keine Stellungnahme zum offiziellen Stand der Ermittlungen abgegeben. Seit dem Verschwinden des Mannes hatten Regierungsmitglieder und Angehörige der Sicherheitskräfte anonym Informationen an türkische und US-Medien weitergegeben, ohne jedoch Beweise vorzulegen. Auch woher die Informationen von Erdogan stammten, blieb unklar.

Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan
AP/Ali Unal
Erdogan bei seiner Rede vor der AKP-Fraktion

König und Kronprinz empfingen Familie

Die Führung in Riad empfing unterdessen enge Familienangehörige Khashoggis. König Salman und Kronprinz Mohammed bin Salman hätten Khashoggis Bruder Sahl und Khashoggis Sohn Salah bei dem Treffen im Palast kondoliert, meldete die staatliche saudische Nachrichtenagentur SPA am Dienstag. Die beiden Familienangehörigen hätten sich für die Beileidsbekundung bedankt.

Saudi-Arabien befindet sich nach Einschätzung von Ölminister Chalid al-Falih wegen der Tötung Khashoggis in einer Krise. „Das sind schwierige Tage für uns“, sagte Falih am Dienstag bei der internationalen Investorenkonferenz in der Hauptstadt Riad. Bei der Tat handle es sich um einen „bedauerlichen und abscheulichen Vorfall“. Weiter sagte er: „Niemand im Königreich kann ihn rechtfertigen oder erklären. Von der Führung bis nach unten sind wir sehr aufgebracht über das, was passiert ist.“ König Salman habe aber deutlich gemacht, dass die Verantwortlichen bestraft würden, sagte Falih.

Mnuchin traf Kronprinzen

Die Investorenkonferenz hatte in der Früh überschattet von der Affäre um Khashoggi begonnen. Es handelt sich um eines der größten Wirtschaftstreffen der Welt. Wegen des Mordes hatten jedoch im Vorfeld zahlreiche hochrangige Gäste abgesagt. Dazu zählen US-Finanzminister Steven Mnuchin, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, und Siemens-Chef Joe Kaeser. Trotz der Absagen geht Saudi-Arabien davon aus, dass Absichtserklärungen und Verträge von einem Volumen insgesamt rund 50 Milliarden Dollar unterzeichnet werden.

Khashoggi oder Chaschukdschi?

Bei der Transkription arabischer Namen gibt es im Wesentlichen zwei journalistische Schulen: Eine versucht, den Namen mit Hilfe des Englischen wiederzugeben, die andere, mit Hilfe des Deutschen. ORF.at hat sich schon vor Jahren für die zweite Variante entschieden und ist um größtmögliche Konsistenz dabei bemüht. In einigen Fällen löst das allerdings Irritationen aus, vor allem, wenn Namen nur in der englischsprachigen Transkription bekannt sind. In diesem Sinn verwendet ORF.at ab sofort ebenfalls die Schreibweise Jamal Khashoggi.

Mnuchin traf trotz seiner Absage am Montag Kronprinz Mohammed, um die anhaltende Nähe der USA zu Saudi-Arabien zu demonstrieren. Im Hintergrund geht es auch um einen 110 Milliarden Dollar schweren Waffenverkauf der USA an Saudi-Arabien.

USA hatten Angst vor Enthüllungen

Besonders schwerwiegend für die USA dürfte allerdings die zunehmende Ungeduld von US-Präsident Donald Trump sein. Der hatte in der Nacht auf Montag gesagt, er halte die offizielle Erklärung Saudi-Arabiens nach wie vor für unzureichend. Der Zeitung „USA Today“ sagte er, der Kronprinz habe ihm versichert, dass weder er noch König Salman in die Sache verwickelt seien.

Sollte sich das Gegenteil herausstellen, „wäre ich sehr verärgert darüber“. Nach einem Bericht der „Washington Post“ aus der Nacht machte sich die US-Regierung Sorgen, dass Erdogans Enthüllungen Kronprinz Mohammed als engen Verbündeten der Regierung Trumps schwer belasten könnten. Die Angst war unbegründet: Erdogan erwähnte Mohammed nicht.

US-Vizepräsident Mike Pence forderte unterdessen von Saudi-Arabien „Antworten“ auf Erdogans Vorwürfe, wonach Khashoggi einem lang geplanten Mord zum Opfer fiel. Die USA würden in Riad energisch nachhaken.

AKP: Monströs geplanter Mord

Unterdessen versprach der saudische Außenminister Abdel al-Dschubair „umfassende Ermittlungen“. Die Regierung in Riad habe ein Team in die Türkei entsandt, und alle, die für den Tod des Journalisten verantwortlich seien, würden in Haft genommen, sagte er am Dienstag. Riad werde „sicherstellen, dass so etwas nie wieder passieren kann“, sagte er weiter.

Am Montag wies ein Sprecher der türkischen AKP die Darstellung des Königreichs zurück, wonach der Tod Khashoggis im saudi-arabischen Konsulat ein Versehen gewesen sei. Es handle sich um einen komplizierten Mord, der „monströs geplant“ gewesen sei.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu bot gemeinsame Ermittlungen mit der UNO, internationalen Gerichten und anderen Institutionen an, um den Fall aufzuklären. Cavusoglu bekräftigte am Dienstag, dass die Türkei weiterermitteln werde. „Wir haben eine gemeinsame Ermittlung mit den Saudis, aber die Istanbuler Staatsanwaltschaft führt auch eine eigene Ermittlung durch“, sagte er.

UNO-Konvention zum Schutz gefordert

Die Internationale Journalistenföderation (IFJ) forderte als Konsequenz aus dem Mord an Khashoggi eine UNO-Konvention zum weltweiten Schutz der Rechte von Journalisten und Journalistinnen. An einem Treffen zum Start der Kampagne in New York beteiligten sich am Montag 15 Länder, darunter Griechenland, Russland, Pakistan, Peru, Italien und Tunesien, wie IFJ-Chef Anthony Bellanger mitteilte. Die Konvention solle vor allem sicherstellen, dass Verstöße gegen die Rechte von Journalistinnen und Journalisten nicht ungestraft bleiben.

Bellanger sagte, die beste Anerkennung für Khashoggi und andere Opfer sei ein „unermüdlicher“ Einsatz gegen die Straflosigkeit, die schon viel zu lange wie ein Schatten über dem Journalismus hänge. Der Dachverband nationaler Journalistenverbände, der 600.000 Mitglieder in 134 Ländern vertritt, will mit Hilfe mehrerer Länder dafür sorgen, dass eine Konvention über die Rechte von Journalisten von der UNO-Vollversammlung verabschiedet wird. Nach Angaben der Organisation wurden im vergangenen Jahr 82 Journalisten weltweit getötet. In nur zehn Prozent der Fälle wurden Ermittlungen eingeleitet.