Thorsten Schaefer-Guembel
APA/AFP/Thomas Kienzle
Hessen-Hochrechnung

Schwere Verluste für CDU und SPD

Die Landtagswahl in Hessen hat laut ARD-Hochrechnung die erwartet schmerzhaften Verluste für die Union und die SPD gebracht. Deutliche Zugewinne können die Grünen und die AfD verbuchen. Die schwarz-grüne Koalition unter Volker Bouffier (CDU) kann laut letztem Stand keine Regierungsmehrheit mehr vorweisen Für die Große Koalition in Berlin setzte es den nächsten Dämpfer.

Laut neuester ARD-Hochrechnung kommt die CDU nur mehr auf 27,2 Prozent. Die SPD stürzt auf 19,8 Prozent ab und liegt damit derzeit knapp vor den Grünen mit 19,6 Prozent. Das Rennen um Platz zwei ist damit noch nicht entschieden. Die AfD kommt auf 13,2 Prozent und ist damit in allen 16 deutschen Landtagen vertreten. Die FDP (7,7 Prozent) und die Linke (6,1 Prozent) schaffen den Einzug in den Landtag.

2013 hatte die Politlandschaft in Hessen noch ganz anders ausgesehen: Die CDU gewann mit 38,3 Prozent und ging eine Koalition mit den Grünen ein (11,1 Prozent). Auf den zweiten Platz kam die SPD mit 30,7 Prozent. FDP und Linke schafften nur knapp den Sprung über die Fünfprozenthürde. Die AfD verpasste damals den Einzug in den Landtag.

Grafik zur Wahl in Hessen
APA, ORF.at

Wer mit wem?

Eine Mehrheit für die bisher in Wiesbaden regierenden Parteien CDU und Grüne erscheint nach der ARD-Hochrechnung nun nicht mehr gegeben. Eine „Jamaika“-Koalition mit CDU, Grünen und FDP gilt für diesen Fall als wahrscheinlichste Regierungsform. Auf Koalitionsaussagen hatte sich im Wahlkampf keine Seite festlegen wollen.

CDU sieht Signal an Regierung in Berlin

Das Wahlergebnis ist nach Ansicht von Ministerpräsident Bouffier ein klares Signal für die Große Koalition in Berlin. Die Menschen wünschten sich weniger Streit, sondern „mehr Sachorientierung und mehr Lösung“. Er sah seine Wahlziele – stärkste Partei zu sein und keine mögliche Regierung ohne CDU – erreicht.

Eindrücke von der Wahl in Hessen
APA/AFP/Thomas Kienzle
Bouffier sah die Verantwortung für die Verluste vor allem in Berlin: „Die bundespolitische Kulisse hat durchgeschlagen.“

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer zeigte sich von einer Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition in Hessen überzeugt. Das Bündnis werde seine „erfolgreiche Arbeit“ fortsetzen können, sagte sie in Berlin. Zugleich sprach sie von einem „typisch hessischen“ Wahlergebnis, das „sehr eng“ sei. Es sei „schmerzhaft“, dass die CDU viele Stimmen eingebüßt habe.

SPD räumte schwere Niederlage ein

Der SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel räumte eine „bittere Niederlage“ ein. „Das ist ein schwerer und ein bitterer Abend für die hessische SPD“, sagte Schäfer-Gümbel. „Das ist eine bittere Niederlage und da gibt es nichts drumherum zu deuteln“, sagte Schäfer-Gümbel.

Eindrücke von der Wahl in Hessen
APA/AFP/Arne Dedert
Lange Gesichter bei der SPD, auch bei Schäfer-Gümbel

SPD-Vorsitzende Andrea Nahles kritisierte die eigene Koalition in Berlin scharf. „Der Zustand der Regierung ist nicht akzeptabel“, sagte sie in Berlin. Die Regierung müsse nun einen „verbindlichen Fahrplan“ für die kommenden Monate vorlegen – falls dessen Umsetzung bis zur „Halbzeitbilanz“ der Regierung nicht gelinge, müsse die SPD überlegen, ob sie in der Koalition noch „richtig aufgehoben“ sei.

Grüne wollen in Regierung bleiben

Das Ergebnis ist nach den Worten von Grünen-Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir ein Auftrag an seine Partei, die Energie-, Agrar- und Verkehrswende fortzusetzen und die offene Gesellschaft zu verteidigen. „So grün war Hessen noch nie“, sagt Al-Wazir vor Anhängern. Deutlicher wurde Fraktionschef Mathias Wagner: „Wir werten das Ergebnis als klaren Auftrag, an der nächsten Regierung beteiligt zu sein“, sagte Fraktionschef Mathias Wagner in Wiesbaden. „Wir sind gesprächsbereit mit allen Parteien, wie wir es vor der Wahl gesagt haben.“

AfD zufrieden, Linke nicht

AfD-Chef Jörg Meuthen äußert sich „sehr zufrieden“ mit dem Einzug in den hessischen Landtag. Das Ziel eines deutlich zweistelligen Ergebnisses sei erreicht worden, auch wenn noch ein Stück „harte Arbeit“ vor der Partei liege. FDP-Chef Christian Lindner stellt klar, dass seine Partei immer zur Verfügung stehe, wenn es um eine Regierungsbeteiligung gehe. „Die einzige Voraussetzung ist, es muss ein partnerschaftliches Miteinander sein“, sagt er im ZDF. Er bedauere, dass bürgerliche Protestwähler nicht von der CDU zur FDP gekommen seien.

Birgit Schwarz (ORF) über die Wahl in Hessen

Die Koalition von Kanzlerin Merkel hat mit der Wahl in Hessen einen weiteren Dämpfer erhalten. ORF-Korrespondentin Birgit Schwarz schildert, wie sehr Merkel in Bedrängnis ist.

Die Linke-Vorsitzende Katja Kipping zeigte sich nach der Wahl in Hessen enttäuscht. „Man wünscht sich immer mehr. Auch den Umfragen zufolge hatten wir uns noch ein paar Prozente mehr erhofft“, sagte sie am Sonntagabend. Für die Bundespolitik sehe sie jedoch ein klares Signal: „Diese Wahl heute war eine Denkzettelwahl für die große Koalition.“

Härtetest für Koalition in Berlin

Die Wahl in Hessen gilt auch als Härtetest für den Fortbestand der Großen Koalition von Union und SPD in Berlin. In beiden Parteien war die Parole ausgegeben worden, die Wahl in Hessen abzuwarten. Mit dem Ende dieses Burgfriedens könnten nun aber viele Dämme brechen.

Die Parteivorsitzenden, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Nahles, stehen auch in den eigenen Reihen unter Druck. Kramp-Karrenbauer brachte bereits Neuwahlen ins Spiel, falls das Bündnis nach Hessen zerbrechen sollte. Sie wurde dafür aus den eigenen Reihen ungewohnt scharf kritisiert.

SPD im Dilemma

Noch dramatischer scheint die Situation bei der SPD. Seit Wochen schon mehren sich die Stimmen in der SPD, die auf einen Ausstieg aus der Großen Koalition drängen. Doch die Partei befindet sich in einem doppelten Dilemma: Bleibt man in der Regierung, drohen die Umfragewerte weiter zu fallen – oder sich jedenfalls nicht zu erholen. Sprengt man die Koalition, so stehen wohl Neuwahlen an – und die Chance, einen erfolgreichen Neustart hinzulegen, ist wohl geringer als das Risiko, real in einer Wahl zu verlieren und nicht nur in Umfragen. Ähnliches gilt für den Parteivorsitz: Schon Nahles’ Kür im April fiel wenig berauschend aus, und auch unter ihr kam die Partei nicht vom Fleck. Allerdings drängt sich keine andere Person auf, der zugetraut wird, die SPD schnell aus der Krise zu führen.

Rekordtief in neuen Umfragen

Neue Umfragen dürften das Unbehagen in den Koalitionsparteien noch befeuern: Im „Sonntagstrend“ von Emnid für die „Bild am Sonntag“ fielen CDU und CSU auf ein neues Rekordtief und kamen nur noch auf 24 Prozent Zustimmung. In einer neuen Forsa-Umfrage verloren sie einen Prozentpunkt und liegen nun bei 26 Prozent. Dagegen hält der Höhenflug der Grünen an: Sie erreichen 20 beziehungsweise 21 Prozent Zustimmung und liegen klar auf Platz zwei.

Die SPD erreicht im „Sonntagstrend“ wie in der Vorwoche 15 Prozent und liegt jetzt hinter der AfD mit 16 Prozent (plus ein Prozentpunkt) auf Platz vier. Linke und FDP kommen laut Emnid erneut auf jeweils zehn Prozent. Die Forsa-Umfrage für RTL/n-tv sieht die SPD bei 14 Prozent. Die AfD verliert gegenüber der Vorwoche einen Prozentpunkt und kommt ebenfalls auf 14 Prozent. Die Linken legen um einen Punkt zu und erreichen zehn Prozent Zustimmung, die FDP erhält neun Prozent.