Die CDU fuhr ihr schlechtestes Ergebnis in dem Bundesland seit mehr als 50 Jahren ein und rutschte deutlich unter die Marke von 30 Prozent. Die SPD von Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel erzielte ihr schlechtestes Landesergebnis überhaupt und erreichte knapp 20 Prozent.
Große Wahlgewinner sind die Grünen mit ihrem besten Abschneiden bei einer Hessen-Wahl sowie die AfD. Die Rechtspopulisten zogen erstmals in den Landtag ein und sind nunmehr in allen 16 Landesparlamenten vertreten. Auch FDP und Linke bleiben im Landtag in Wiesbaden – damit bekommt Hessen erstmals ein Sechsparteienparlament.
Grüne hauchdünn vor SPD
Nach dem am Montagfrüh veröffentlichten vorläufigen Ergebnis erhielt die CDU 27,0 Prozent nach 38,3 Prozent vor fünf Jahren. Die Grünen verbesserten sich auf 19,8 Prozent nach 11,1 Prozent 2013. Die Sozialdemokraten sackten auf 19,8 Prozent von 30,7 Prozent ab. Um 94 Stimmen verdrängten die Grünen die SPD von Platz zwei. Die AfD schaffte mit 13,1 den Sprung in den Landtag. 2013 hatte sie mit 4,1 Prozent die Fünfprozenthürde nicht überwunden. Die FDP legte auf 7,5 Prozent nach 5,0 Prozent vor fünf Jahren zu, die Linkspartei auf 6,3 Prozent nach 5,2 Prozent 2013.
Schwarz-Grün weiter möglich
Die CDU erhält damit 40 Mandate im neuen Wiesbadener Landtag. Die Grünen kommen auf 29 Sitze und sind damit gleich stark wie die SPD mit ebenfalls 29 Mandaten. Die AfD schickt 19 Abgeordnete in den Landtag, die FDP elf und die Linke neun.
Für eine Mehrheit sind 69 Mandate im 137 Sitze zählenden Landtag nötig. Damit ist neben Schwarz-Grün rechnerisch auch ein schwarz-rotes Bündnis möglich, was politisch allerdings als unwahrscheinlich gilt, ein „Jamaika“-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP sowie eine „Ampel“-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, die die FDP allerdings ausgeschlossen hat.
Bouffier will im Amt bleiben
Bouffier ging schon am Abend davon aus, dass er im Amt bleiben könne. „Wir werden erneut den Anspruch erheben, die Landesregierung in Hessen anzuführen. Wir sind klar stärkste Fraktion“, sagte er in Wiesbaden und kündigte Gespräche mit den anderen Parteien außer Linken und AfD an.
Das Wahlergebnis sah Bouffier als klares Signal für die Große Koalition in Berlin. Die Menschen wünschten sich weniger Streit und „mehr Sachorientierung und mehr Lösung“. Er sah seine Wahlziele – stärkste Partei zu sein und keine mögliche Regierung ohne CDU – erreicht.
Die Grünen zeigten sich grundsätzlich offen für eine neue schwarz-grüne Koalition. Natürlich werde man, wenn es rechnerisch möglich sei, miteinander sprechen, sagte Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir. FDP-Spitzenkandidat Rene Rock hoffte auf eine Regierungsbeteiligung. „Wir würden sondieren und wollen gucken, ob wir es hinbekommen“, sagte Rock im ZDF. Es wäre „super, wenn es am Ende für Schwarz-Grün nicht mehr reicht“, sagte er am Sonntag.
Verzweifelte SPD
Schäfer-Gümbel, der zum dritten Mal Spitzenkandidat seiner SPD war, räumte eine bittere Niederlage ein und ließ seine politische Zukunft zunächst offen. Das Ergebnis führte er stark auf den Bundestrend zurück. Man habe „nicht nur keinen Rückenwind aus Berlin erhalten, sondern wir hatten regelmäßig Sturmböen im Gesicht“.
In Hessen habe die Partei in der Opposition die Themen des Wahlkampfes gesetzt und in allen Umfragen hohe Kompetenzzuschreibungen erhalten. „Aber gegen diesen Bundestrend waren wir völlig hilflos und machtlos“, sagte er. „Die SPD ist in einer schweren Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise.“ Das sei eine langfristige Entwicklung. „Deshalb muss sich vieles verändern.“
Regierung in Berlin in Turbulenzen
Die Talfahrt von CDU und SPD in Hessen könnte auch die Bundesvorsitzenden, Kanzlerin Angela Merkel und Andrea Nahles, unter Druck setzen. Der Wahlkampf in Hessen wurde belastet durch Streitigkeiten etwa über die Migrationspolitik sowie die schwelende Dieselkrise.
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, die Regierung müsse rasch deutlich machen, „dass Schluss sein muss mit den Debatten, ob wir zusammen regieren oder nicht. Die Menschen erwarten zu Recht Ergebnisse von uns.“ Sie gehe nach aktuellem Stand davon aus, dass Merkel am CDU-Parteitag Anfang Dezember in Hamburg erneut als Parteichefin kandidiere. Beobachter waren davon ausgegangen, dass im Falle großer Verluste auch Rufe nach einer Ablösung Merkels als CDU-Chefin lauter werden könnten.
Nahles beschwört Veränderung
Hinzu kommt, dass in der SPD nach den neuerlichen Einbußen die Kritikerinnen und Kritiker der Großen Koalition an Rückenwind gewinnen könnten – was im Extremfall zu einem Rückzug aus dem Regierungsbündnis führen könnte. Parteichefin Nahles zeigte sich angesichts der Stimmenverluste bestürzt. Dazu habe die Bundespolitik „erheblich beigetragen“, sagte sie.
Birgit Schwarz (ORF) über die Wahl in Hessen
Die Koalition von Kanzlerin Merkel hat mit der Wahl in Hessen einen weiteren Dämpfer erhalten. ORF-Korrespondentin Birgit Schwarz schildert, wie sehr Merkel in Bedrängnis ist.
„Der Zustand der Regierung ist nicht akzeptabel.“ CDU und CSU müssten ihre inhaltlichen und personellen Konflikte schnell lösen – sie wolle das Schicksal der SPD jedoch nicht in die Hände ihres Koalitionspartners legen. „Es muss sich in der SPD etwas ändern.“ Nahles sagte, die Koalition in Berlin müsse nun einen klaren, verbindlichen Fahrplan vorlegen. „An der Umsetzung dieses Fahrplans bis zur vereinbarten Halbzeitbilanz können wir dann klar ablesen, ob wir in dieser Regierung noch richtig aufgehoben sind.“