Deutsche Kanzlerin Merkel
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„Neues Kapitel“

Merkel bestätigt Rückzug aus Politik

Angela Merkel hat am Montag ihren langsamen Rückzug aus der Politik bestätigt. Bei einer Pressekonferenz am Montag erklärte die CDU-Chefin und deutsche Kanzlerin, dass es Zeit sei, ein „neues Kapitel“ aufzuschlagen. Sie werde für den Parteivorsitz im Dezember nicht mehr kandidieren. Zudem werde ihre laufende Amtszeit als Kanzlerin ihre letzte sein.

Begonnen hatte Merkel die Pressekonferenz mit Kommentaren zur Landtagswahl in Hessen, wo die CDU als stimmenstärkste Partei siegen konnte, aber einen zweistelligen Verlust hinnehmen musste. „Die nackten Zahlen sind bitter“, sagte Merkel. Diese Landtagswahl sei nicht einfach nur eine Landtagswahl. Die Bundespolitik habe der CDU in Hessen das Ergebnis verschlechtert. Nun könne man man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Denn das Bild, das die Koalition in Berlin derzeit abgebe, sei „inakzeptabel“.

„Wir müssen innehalten, ich jedenfalls tue das. Wir müssen den Wahltag in Hessen als Zäsur nehmen. Dann könnte in einer solchen Zäsur auch eine Chance liegen zu klären, was dem inneren Frieden und dem Zusammenhalt des Landes dient – und was nicht“, sagte Merkel. Ihre persönliche Konsequenz sei ein Rückzug aus der Politik in Schritten. „Ich wollte mein Amt immer in Würde ausüben und auch in Würde verlassen“, sagte Merkel.

„Tägliche Ehre“, aber eine „Herausforderung“

Das Kanzleramt ist für die CDU-Chefin eine „tägliche Ehre“, aber es sei auch eine „Herausforderung“ gewesen. 2021 wolle sie dann nicht mehr für den Bundestag antreten, sagte Merkel. „Diese vierte Amtszeit ist meine letzte“, ergänzte die Kanzlerin, die keine anderen politischen Ämter anstrebe. Allerdings will Merkel ihre Nachfolge selber regeln, sie will die Zeit nach ihr vorbereiten. Das sei ungewöhnlich, betont Merkel – „aber ich glaube, dass darin viel mehr Chancen liegen“.

Sie wolle den Beitrag leisten, dass die CDU sich erneuere und künftig wieder besser dastehe. Eine Empfehlung zu ihrer Nachfolge für den Parteivorsitz hat sie aber abgelehnt. Sie wolle diese Diskussion nicht beeinflussen, sagte Merkel. Zugleich bestätigte sie, dass CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn in einer Sitzung des CDU-Bundesvorstands ihre Kandidatur angekündigt haben.

Damit bestätigte Merkel Medienberichte vom Montag. Als mögliche Nachfolger werden auch der frühere CDU-CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble genannt. Merz gilt als einstiger Rivale Merkels und hatte sich in den vergangenen Jahren aus der aktiven Politik zurückgezogen. Gegenüber Vertrauten habe Merz geäußert, er sei bereit, sich dieser Verantwortung zu stellen, berichtete auch die „Bild“-Zeitung (Onlineausgabe).

Entscheidung schon vor Sommer getroffen

Merkel sagte, sie habe die Entscheidung für einen Rücktritt vom CDU-Vorsitz schon vor der Sommerpause getroffen. Sie habe die Verkündung dieses Schritts dann jetzt – nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen – um eine Woche vorgezogen, sagte Merkel. Ursprünglich habe sie diesen Schritt bei der am Sonntag beginnenden, zweitägigen CDU-Vorstandsklausur ankündigen wollen.

Deutsche Kanzlerin kündigt Rückzug an

Merkel sprach am Montag in der CDU-Zentrale über ihre politische Zukunft. Ihr Abschied wird nach und nach erfolgen.

Sie habe ihre Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer nicht eingeweiht. Es sei manchmal besser, Menschen nicht in solche Entscheidungen einzubeziehen, sagte Merkel. Vor ihrer Ankündigung habe sie die Parteivorsitzenden der Koalitionspartner, Andrea Nahles (SPD) und Horst Seehofer (CSU), über ihren Schritt in Kenntnis gesetzt.

Sie habe sich zwar immer gegen eine Ämtertrennung ausgesprochen. Aber angesichts der Tatsache, dass sie 2021 nicht erneut als Kanzlerin antreten wolle, halte sie dies nun „für einen begrenzten Zeitraum“ für möglich. Die Frage, ob sie nun eine geschwächte Kanzlerin sei und etwa in der Europapolitik keinen Spielraum mehr habe, wies Merkel zurück. In der EU sei auch bisher schon klar gewesen, dass alle finanziellen Entscheidungen auch vom Bundestag mitgetragen werden müssten – das enge sie nicht zusätzlich ein. Und auch bisher hätten etwa CDU-Parteitagsbeschlüsse die Grenzen ihres Verhandlungsspielraums in Europa deutlich gemacht. „Da wird sich nicht viel ändern“, sagte Merkel. Sie räumte aber ein, dass die jetzige Situation eine einzigartige in der Geschichte der Bundesrepublik sei.

Konsequenzen nach der Landtagswahl

Merkel zog nun die Konsequenzen aus dem anhaltenden Abwärtstrend der Partei. Wie zuvor schon in Bayern fuhr die Union am Sonntag in Hessen zweistellige Verluste ein. In der CDU wurde danach der Ruf nach personellen Konsequenzen laut. Bei der Wahl in Hessen verlor die CDU mit Ministerpräsident Volker Bouffier an der Spitze nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis 11,3 Punkte im Vergleich zur Wahl 2013 und kam auf 27,0 Prozent. Die SPD mit Thorsten Schäfer-Gümbel an der Spitze erzielte 19,8 Prozent (minus 10,9). Großer Wahlgewinner wurden die Grünen mit ebenfalls 19,8 Prozent (plus 8,7).

Grafik zur Wahl in Hessen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/ARD

Bereits am Sonntagabend hatte es in der CDU nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters geheißen, eine Ämtertrennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz solle auf der Klausurtagung des Bundesvorstandes diskutiert werden. In der CDU selbst ist diese Frage umstritten. Traditionell sind CDU-Kanzler und -Kanzlerinnen ebenfalls Parteivorsitzende. Die deutsche Bundeskanzlerin betonte bisher stets, Parteivorsitz und Kanzleramt müssten in einer Hand liegen. Die Legislaturperiode dauert regulär noch bis zum Herbst 2021.

Seehofer: „Fruchtbare“ Politik

Seehofer hat den Rückzug Merkels vom CDU-Parteivorsitz bedauert. „Im Moment ist das Bedauern im Vordergrund“, sagte Seehofer. Er und Merkel machten schon seit langer Zeit „fruchtbar“ Politik miteinander. Der CSU-Chef und die Bundeskanzlerin waren seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 wegen Merkels Kurs in der Frage heftig aneinandergeraten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte: „Wir nehmen das alles mit Respekt zur Kenntnis.“

Die SPD-Vorsitzende Nahles äußerte großen Respekt für den Schritt von Merkel. Merkel habe die CDU 18 Jahre als Vorsitzende angeführt, und das als erste Frau, sagte Nahles am Montag nach einer SPD-Vorstandssitzung in Berlin. „Das ist eine außerordentliche Leistung.“ Merkel habe auch viel Kritik nicht nur ausgehalten, sondern die CDU inhaltlich neu aufgestellt und einen neuen Führungsstil etabliert. Die CDU sei ihr zu großem Dank verpflichtet

„Allergrößten Respekt“

Schon zuvor hatten sich einige CDU-Landesvorsitzende zu den Berichten über Merkels Rückzug geäußert. Nach Ansicht von Hamburgs CDU-Chef Roland Heintze verdient Merkel für ihre Entscheidung „allergrößten Respekt“. Thüringens CDU-Chef Mike Mohring sprach von einer „Zeitenwende für die CDU“. Aber man müsse nun erst einmal sehen, wer alles im Dezember für den Parteivorsitz kandieren wolle. Der niedersächsische CDU-Landesvorsitzende Bernd Althusmann will die Nachfolge von Merkel schnell geklärt haben. Ansonsten würde die Partei in eine lange Personaldiskussion schlittern.

Grafik zeigt die Zustimmung für Angela Merkel auf den CDU-Parteitagen 2000-2016
Grafik: ORF.at

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock anerkannte die Arbeit von Merkel als CDU-Vorsitzende. Merkel habe die Partei für ein modernes Gesellschaftsbild geöffnet. „Dafür zollen wir Frau Merkel Respekt“, sagt Baerbock. Mit Blick auf Seehofer ergänzt sie, vielleicht kämen ja auch andere auf die Idee, Konsequenzen zu ziehen.

FDP-Chef Christian Lindner forderte von Merkel, nicht nur den Parteivorsitz niederzulegen, sondern auch ihre Kanzlerschaft zu beenden. „Frau Merkel gibt das falsche Amt ab“, sagte Lindner. Die Regierung werde dadurch nicht stabiler, und das „Siechtum“ der großen Koalition werde nur verlangsamt. Die Union müsse den Weg frei machen für einen neuen Anfang in der Regierung. Die FDP sei bereit zur Übernahme von Verantwortung, wenn es einen Aufbruch für Deutschland geben könne.