Anti-Atomkraft-Aufkleber
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40 Jahre Zwentendorf

Geburtsstunde eines Mythos

Eine knappe Mehrheit sprach sich am 5. November 1978 gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf aus. Die erste Volksabstimmung in der Zweiten Republik beendete das Atomzeitalter in Österreich, noch bevor es wirklich begonnen hatte – und wurde fester Bestandteil des österreichischen Selbstverständnisses. Wenngleich die kollektive Erinnerung mitunter zur Verkürzung neigt.

Wirklich damit gerechnet hatte kaum jemand: Als am Abend des 5. November das Ergebnis der Abstimmung verkündet wurde, war bei den AKW-Gegnerinnen und -Gegnern nicht nur die Freude, sondern auch die Überraschung groß. Meinungsumfragen hatten bis zuletzt ein Ja zum Kraftwerk Zwentendorf vorausgesagt. Am Ende stimmten 1.576.709 Menschen für die friedliche Nutzung der Kernenergie, 1.606.777 sprachen sich dagegen aus. Bei einer Wahlbeteiligung von knapp über 64 Prozent besiegelten exakt 30.068 Stimmen das Ende eines politischen Prestigeprojekts.

Für den damaligen Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) stellte das Ergebnis eine persönliche Niederlage dar. Hatte er doch den Ausgang des Plebiszits – wenn auch reichlich verklausuliert – mit seiner politischen Zukunft verknüpft. Zurücktreten wollte der SPÖ-Chef und Kanzler dann allerdings doch nicht. Ein Jahr später erreichte die SPÖ unter Kreisky mit 51 Prozent sogar ihr historisch bestes Ergebnis. Für die ökologische Bewegung in Österreich markierte die Abstimmung hingegen eine entscheidende Initialzündung. Und für das österreichische Selbstverständnis sollte das Ergebnis später zu einem dankbaren Bezugspunkt werden.

Zwentendorf-Abstimmung sorgte für Überraschung

Die Abstimmung zum AKW Zwentendorf ging anders aus als erwartet. Bei den Kernkraftgegnern herrschte Jubel. Kreisky musste rechtfertigen, warum er doch nicht zurücktrat.

Kraftwerk im jahrelangen Konservierungsbetrieb

Ganz unmittelbar bescherte das Nein zu Zwentendorf Österreich aber erst einmal eine globales Unikat: Es besaß als einziges Land der Welt ein voll funktionsfähiges Atomkraftwerk, das niemals in Betrieb ging. Sieben Mrd. Schilling (nach heutiger Kaufkraft mehr als eine Mrd. Euro) hatte der Kraftwerksbau gekostet. Noch einmal die gleiche Summe sollte in den kommenden Jahren hinzukommen. Das AKW wurde nicht einfach geschlossen, sondern in den Konservierungsbetrieb geschickt.

Innenansicht vom Kraftwerk Zwentendorf 1998
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Im AKW Zwentendorf standen ab 1978 die Uhren still

Viele der rund 200 extra ausgebildeten Techniker (Frauen waren keine darunter) blieben weiter angestellt – und versetzten das Kraftwerk in einen Dornröschenschlaf. Die Kraftwerksbetreiber, das heißt die Energieversorger des Bundes und der neun Länder, hielten auch nach der Abstimmung an der Hoffnung auf einen verspäteten Start fest.

Die direkte Linie der Erinnerung

Das Vorgehen mag aus heutiger Sicht einem Schildbürgerstreich gleichen. In der kollektiven Erinnerung des Landes führt schließlich eine Linie von den AKW-Protesten über die Zwentendorf-Abstimmung direkt zur allgemeinen Ablehnung der Atomkraft. Doch bisweilen entspricht die empfundene Erinnerung eben nicht den tatsächlichen Entwicklungen.

In der Rückschau sei die Abstimmung als „Wendepunkt in Österreichs Energiepolitik konstruiert“ worden, schreibt auch die Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt in einem 2015 publizierten Aufsatz. Die Leiterin des Instituts für Wissenschafts- und Technikforschung an der Uni Wien weist in dem gleichen Artikel darauf hin, dass die Kernkraft nach dem 5. November 1978 politisch eben noch nicht vom Tisch gewesen sei.

Diskussion nicht vom Tisch

Zwar erließ das Parlament nur wenige Wochen nach dem Plebiszit das Atomsperrgesetz: Die Inbetriebnahme Zwentendorfs oder den Bau neuer Kernkraftwerke wäre damit nur mit einer erneuten Volksabstimmung möglich gewesen. Offiziell war das Kapitel Atomenergie damit erst einmal erledigt. Doch bereits die Ölkrise 1979 ließ die Kernspaltung wieder als mögliche Energieform in die Diskussion zurückkehren. In TV-Sendungen wurde debattiert, Zeitungskommentare befassten sich erneut mit Für und Wider der Kernkraft, und auch im Parlament stand das Thema wieder auf der Tagesordnung.

Knappe Mehrheit gegen AKW

Ein Erfolg für den Protest gegen das Kernkraftwerk Zwentendorf: Eine knappe Mehrheit sprach sich 1978 gegen das AKW aus.

1980 beschäftigten sich gleich zwei Volksbegehren mit dem Thema. Das vor allem von der Gewerkschaft unterstützte Pro-Zwentendorf-Volksbegehren unterschrieben damals immerhin mehr als 420.000 Menschen. Der Beteiligung nach rangiert es damit an der 13. Stelle aller bisher abgehaltenen 42 Begehren.

Sendungshinweise

„Thema“ widmet sich am Montag um 21.10 Uhr in ORF2 der Volksabstimmung vor 40 Jahren – mehr dazu in tv.ORF.at.

Auch Ö1 widmet der Abstimmung in einer Reihe von Beiträgen – mehr dazu in oe1.ORF.at.

Von einer einhelligen Ablehnung der Kernkraft in Österreich kann also in den Jahren nach der Volksabstimmung nicht die Rede sein. Und Umfragen aus der ersten Hälfte der 80er Jahre sahen die grundsätzlichen Befürworter der Atomenergie überhaupt in der Mehrheit.

„Stille Liquidation“ 1985

Da erscheint es schon fast verwunderlich, dass das Atomsperrgesetz nicht doch noch einmal aufgeschnürt wurde. Tatsächlich unternahm die SPÖ gleich mehrere Anläufe, um eine neue Abstimmung auf den Weg zu bringen. Und auch aufseiten der ÖVP mehrten sich die Stimmen, die die Kernenergie im Allgemeinen und Zwentendorf im Speziellen nicht ganz abschreiben wollten.

Noch 1985 sagte der damalige ÖVP-Abgeordnete Andreas Khol: „Ich sehe der Zukunft der Kernenergie in unserem Land positiv entgegen: Gäbe es Volksaktien für Zwentendorf, ich würde sie kaufen.“ Dass die ÖVP am Ende doch ihre Zustimmung für eine neue Volksabstimmung verweigerte, war wohl auch der Oppositionsrolle geschuldet. Im März 1985 beschlossen die Gesellschafter des Kraftwerks schließlich die „stille Liquidation“.

Kehrtwende mit Tschernobyl

Ein Jahr später ereignete sich im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl schließlich das, was von Befürwortern der Atomenergie als unmöglich dargestellt worden war: Der Super-GAU im Frühjahr 1986 erschütterte ganz Europa – und sorgte bei manchen Politikern für eine regelrechte Kehrtwende. Auch Kreiskys Nachfolger als SPÖ-Chef und Bundeskanzler, Fred Sinowatz, erklärte nun die Kernkraft und damit auch Zwentendorf endgültig für gescheitert.

Kernkraftwerk Zwentendorf
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Zwentendorf wurde vom Prestigeprojekt zum Zankapfel und schließlich zum Mahnmal

Österreich konnte sich auf die Fahnen heften, bereits acht Jahre vor der verheerenden Reaktorkatastrophe die richtigen Schlüsse gezogen zu haben. In einer Zeit, in der die Waldheim-Affäre das Land international isolierte, eignete sich das auch als willkommener Identitätsanker. In den folgenden Jahren wurde die Ablehnung der Kernkraft zu einem festen Bestandteil des heimischen Selbstverständnisses. Vier Jahre nach dem EU-Beitritt Österreichs hob das Parlament das Nein zur Atomkraft 1999 schließlich einstimmig in den Verfassungsrang.

Verbund-Chef Anzengruber zu Geschichte und Zukunft der E-Wirtschaft

Wolfgang Anzengruber, Vorstandsvorsitzender des Verbund, spricht in der ZIB2 über das stillgelegte Atomkraftwerk Zwentendorf ebenso wie über den Ausbau von erneuerbaren Energien.

Eines bedeutet das allerdings nicht: dass Österreich gänzlich ohne Atomstrom auskommt. Rund 20 Prozent des hierzulande verbrauchten Stroms müssen importiert werden. Da in anderen Ländern sehr wohl Atomkraftwerke im Einsatz sind, fließt auch durch das heimische Netz noch immer ein Anteil Atomstrom.