Thomas Bernhard und Claus Peymann bei der Uraufführung 1988
picturedesk.com/APA-Archiv/Klaus Titzer
30 Jahre „Heldenplatz“

Österreich, eine Erregung

„Es gibt keine bessere Österreich-Werbung als Thomas Bernhard.“ Das meinte der Dramatiker Heiner Müller mit Blick von außen auf den größten Theaterskandal der Zweiten Republik. Als Bernhards Stück „Heldenplatz“ am 4. November 1988 am Wiener Burgtheater Uraufführung feierte, war bereits das ganze Land Welttheater.

Was gäben Theatermacher der Gegenwart wohl darum, könnten sie mit einer Produktion so viel Wind entfachen, dass eine ganze Nation, die sich sonst von der Profession her als Fußballtrainer definiert, in das Fach der Theaterkritik wechselt. Kein Politiker durfte sich im Herbst 1988 keine Meinung leisten zu dem, was gut unter Verschluss gehalten das Licht der Theaterbühne am Abend des 4. Novembers erblickte.

Warum sich Österreich über ein Stück so echauffierte, von dem man nur gut lancierte, aus dem Kontext gerissene Zitathäppchen („In Österreich musst du entweder katholisch/oder nationalsozialistisch sein“) kannte, erschließt sich nur aus einem breiteren Horizont.

Thomas Bernhard
picturedesk.com/ÖNB-Bildarchiv/Harry Weber
Thomas Bernhard verfolgt die Uraufführung seines Stücks „Heldenplatz“ am 4.11.1988

Bernhard wirkte zu diesem Zeitpunkt wie eine gut funktionierende Buchveröffentlichungsskandalmaschine, obwohl der Autor diese Rolle wenige Wochen vor seinem Tod (er überlebte ja die „Heldenplatz“-Premiere gerade einmal vier Monate) gegenüber seinem Verleger Siegfried Unseld einmal mehr bestritt. „Man werfe ihm Skandale vor, dabei läge er ja in Gmunden in seiner Wohnung und sei nicht mehr fähig, auszugehen“, notierte Unseld Bernhards Worte Ende Jänner 1989.

Die späten Veröffentlichungen Bernhards gerieten aber seit der Beschlagnahme von „Holzfällen“ (das nicht zuletzt dadurch ein Bestseller wurde) zu kleinen Staatskrisen. Immer sprengten die Sätze Bernhards durch starke Gegenwartsbezüglichkeiten den Rahmen der Kunst, und gerne nährte der Autor durch Kommentare aus der Distanz (man denke an die „Monologe aus Mallorca“, die die Veröffentlichung von „Auslöschung“ garnierten) ein Klima der Aufgeregtheit.

Sorgen bei Suhrkamp

Als Bernhard den Vertrag für „Heldenplatz“ in der Suhrkamp-Zentrale in der Frankfurter Klettenbergstraße unterschrieb, wies ihn Unseld auf problematische unbewiesene Sätze hin, die „klagbar“ seien: „Der Bundespräsident ein Lügner“, „ein noch immer mit dem Analphabetismus ringender Bundeskanzler“ könnten ihm erneut eine Beschlagnahme einbringen. Bernhard weigerte sich, irgendetwas an seinem Text zu ändern, den Claus Peymann als Burgtheater-Direktor rechtzeitig zum Hundertjahrjubiläum des Hauses am Ring zur Aufführung bringen würde. Einen Tag später zeigte sich Bernhard bei einem Treffen mit seinem Lektor Raimund Fellinger auf dem neutralen Boden eines Frankfurter Hotels bereit, alle inkriminierten Sätze doch abzuändern.

Ein Mosaikstein zur Vorgangsweise des Schriftstellers Bernhard, der offensichtlich zwischen stur, stolz und doch leicht kränkbar changierte, der damit eigentlich einen sehr österreichischen Wesenszug offenbarte. Der, der da so lustvoll das Land gegen sich aufbrachte, war im Grunde ein Österreicher durch und durch.

Der „Piefke“ und die Burg

Entscheidend für das Reizklima rund um die Uraufführung von „Heldenplatz“ war die Rolle Peymanns an der Burg. Dieser hatte durch die Frontstellung bundesdeutscher Schauspieler auf der Bühne ohnedies das ganze Land samt der Sorge um das „reine Burgtheater-Deutsch“ gegen sich. Dass man sich von den „Piefkes“ sicher nichts sagen lassen werde, durchzog die Stimmung zahlreicher österreichischer Redaktionsstuben. Peymann befeuerte das Klima, als er etwa via „Zeit“ ausrichten ließ, man müsse das Burgtheater eigentlich einrüsten und abreißen, so eine „Scheiße“ finde er hier in Wien vor.

Aufführung von Thomas Bernhards Stück ‚Heldenplatz‘ mit Elisabeth Rath und Kirsten Dene
picturedesk.com/Ullstein Bild/Baltzer
Das Bühnenbild von Karl-Ernst Hermann zu Bernhards „Heldenplatz“ wurde auch Teil des kollektiven Gedächtnisses in Österreich. Die Besetzung der Uraufführung (l. Kirsten Dene) erwies sich durch Peymanns Rundumschläge als heikel.

Bernhard hatte in Peymann jenen Regisseur zur Hand, der ihn einst, in den 1970er Jahren auf den Brettern der Salzburger Festspiele, mit „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ in die erste Reihe deutscher Bühnenautoren katapultiert hatte.

Bernhards „Heldenplatz“

Schauplatz des Stücks ist eine Wohnung mit Blick auf den Heldenplatz. Der jüdische Professor Schuster hat sich, genau 50 Jahre nachdem Hitler Österreich unter Jubelrufen „heim ins Reich“ geholt hat, umgebracht. Die Hinterbliebenen versammeln sich nun zum Begräbnis und lassen sein Leben Revue passieren: Von den Nazis verjagt, ist er nach Oxford emigriert und später nach Wien zurückgekehrt. Doch das gegenwärtige Österreich erschien ihm unerträglich. Seine Frau hört immer noch das Geschrei der Massen vom Heldenplatz von damals.

Das Bemerkenswerte daran: Bernhard war 1972 vor der Inszenierung seines Stücks penibel daran interessiert, dass es zu einer Premierenveranstaltung kommen kann – die Aufregung über die ruppige Gangart Peymanns im Vorfeld versuchte gerade Bernhard aus dem Hintergrund tunlichst zu kalmieren.

Durch den „Notlicht-Skandal“ fiel die damalige Premiere ja ins Wasser. Als man 2016 das Stück doch noch auf die Bühne eines Spielbetriebs bei den Salzburger Festspielen brachte, durfte man dafür jene Umdeutung erleben, die die Bernhard-Rezeption nach dem Ableben des Autors hierzulande genommen hat: Bernhard scheint ein bisschen zum schrulligen Grantler verkommen, den gerade auch jene Politiker in ihr Herz schlossen, die ihn früher so vollmundig abgelehnt hatten.

Bernhard sei ja auch ein Beamter, bilanzierte Müller im Dezember 1988 die eigentlich innige Verbindung zwischen dem Autor und seiner österreichischen Öffentlichkeit. Bernhard, so Müller, schreibe „so, als ob er vom österreichischen Staat angestellt wäre, um gegen Österreich zu schreiben“; eigentlich habe sich der Autor damit „wirklich eine Pensionsberechtigung“ erworben.

Gewechseltes Bild von Österreich

Dass Österreich für alle Aussagen des späten Bernhard so empfänglich war und immer jene Grenze zwischen Kunst und Realität nicht mehr gelten lassen konnte, sobald Bernhard die Zutaten „Österreich“, „Katholizismus“ und „Nationalsozialismus“ zu seinem Textteig verarbeitete, mag auch in der tiefen Verunsicherung des Landes ab der Mitte der 1980er Jahre gelegen sein. Durch die Debatte um die Präsidentschaft von Kurt Waldheim verlor das Land nicht zuletzt auf internationaler Bühne den Status als Opfernation – eine Haltung, die man ja auf Grundlage der „Moskauer Deklaration“ jahrzehntelang als Lebenspraxis verinnerlicht hatte.

Rückblick auf die Uraufführung von „Heldenplatz“

Wie viel Skandal blieb am Ende über von einer monatelangen Aufregung? Auf jeden Fall hatte das Wiener Burgtheater bei keinem Stück wieder je so eine derart große Öffentlichkeitswirkung.

Gerade in Ländern wie Frankreich war man für Autoren empfänglich, die Österreich als ein Land von Mittätern und Mitverantwortlichen porträtierten. Die starke Aufnahme Bernhards gerade mit seinem Spätwerk im Fremdsprachigen ist damit wohl politisch stärker unterfüttert als etwa von ästhetischen Kategorien getrieben.

Bernhards Pointen und Stilisierungen entspringen freilich genau jenem intellektuellen Feld, dessen Untergang seine Erzähler stets beklagen. In seinem Werk wimmelt es von Weltbürgern , die sich gerne zurückziehen zu ihrem „geliebten Pascal“ und „Montaigne“. Tatsächlich sind diese beschworenen Figuren aber bestenfalls Platzhalter und Siglen für eine untergegangene Geisteskultur. Bernhards Sympathie oder Antipathie für große Denker war eine stilisierte, inhaltlich aber kaum fundierte.

Harald Schmidt über sein von Bernhard geprägtes Österreich-Bild

Im Sommer erzählte Harald Schmidt im Gespräch mit Clarissa Stadler für den „kultur.montag“, wie sehr Bernhard sein Österreich-Bild geprägt hat.

Weltbürger ohne Weltbürgertum

Wenn Bernhard in „Heldenplatz“ den Verlust der jüdischen Geisteskultur beklagt und das unselige Zusammenwirken von Katholizismus, Nationalsozialismus und österreichischem „Sozialismus“ beklagt, so beschreibt er damit genau jenen Humus, auf dem sein Werk gedeihen konnte. Und dessen scheinbar bildungsbürgerliche Pointen am allerwenigsten in Österreich hinterfragt wurden.

Mit seinem Reader’s-Digest-Wissen zur Philosophie war Bernhard der idealtypische Autor für ein Land, dem nicht nur durch die Geschichte 1938 bis 1945 jede Form von meritokratischer Elitenbildung abhanden gekommen war. Bernhard und seine Gegenüber, allen voran die „Kronen Zeitung“, rieben sich, bei allem thematischen Aufeinanderprallen und allen inhaltlichen Unterschieden, in einem beinahe antibürgerlichen Grundkonsens aneinander: Hier der scheinbare Weltbürger, da der Blattmacher einer Volkszeitung, der sich aus seinem Kunstsammlerrefugium mit dem Geist des Landes solidarisierte.

Bernhards Werk erscheint heute, bei allen ästhetischen Eigenheiten, im Grunde wie der performative Vollzug des Österreichischseins – samt der Pointe, dass ihn nun viele seiner einstigen Feinde als liebgewordenen Klassiker eingemeindet haben. All das möglicherweise aufgrund der Tatsache, dass einander Autor und Antipoden habituell näher standen, als man das im November 1988 vermutet hätte.