Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ)
APA/Herbert Neubauer
Nein zu UNO-Migrationspakt

FPÖ jubelt, Opposition und EU bestürzt

Nach den USA und Ungarn kehrt auch Österreich dem UNO-Migrationspakt den Rücken. Die Regierung habe sich entschieden, den Pakt nicht zu unterschreiben, teilte die ÖVP-FPÖ-Koalition am Mittwoch mit. Das sei notwendig, um die nationale Souveränität zu verteidigen – rechtlich bindend wäre die Vereinbarung freilich nicht. Jubelstimmung herrscht bei der FPÖ, Entsetzen bei der Opposition.

Der UNO-Migrationspakt (Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration) war in der ersten Jahreshälfte 2018 auf Regierungsebene unter den UNO-Mitgliedern ausgehandelt worden und soll bei einer Konferenz am 10. und 11. Dezember in Marokko angenommen werden. Das 34 Seiten lange Dokument soll helfen, Flüchtlingsbewegungen besser zu organisieren und Rechte der Betroffenen zu stärken. Betont wird in dem Papier auch, dass die Souveränität der Nationalstaaten und ihr Recht auf eine selbstständige Gestaltung ihrer Migrationspolitik durch den Pakt nicht angetastet werden soll und keine völkerrechtliche Bindung bestehe.

Bei der Einigung auf einen Entwurf im Juli war Österreich noch mit an Bord. In den vergangenen Wochen hatte aber vor allem die FPÖ gegen das Abkommen mobilgemacht – entsprechend ergingen Mittwochvormittag hymnische Wortmeldungen aus der Partei. Parteichef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache bedankte sich auf Facebook bei Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), „dass er meine massiven Bedenken und inhaltlichen Ablehnungsgründe ernst genommen hat und wir gemeinsam den UN-Migrationspakt für Österreich und seine Bevölkerung verhindert haben“.

„Österreich ist kein Einwanderungsland“

Der Beitritt Österreichs wäre ein „Bruch der Regierungsvereinbarung“ gewesen, weil das Vertragswerk im diametralen Widerspruch zum Koalitionsabkommen stehe, sagte Strache nach der Ministerratssitzung. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) sprach von einem „guten Tag für Österreich“. Es handle sich um eine Bestätigung des von seinem Ressort eingeschlagenen Kurses in der Asyl- und Migrationspolitik. „Österreich ist kein Einwanderungsland“, so Kickl. Mit der Unterzeichnung des UNO-Migrationspakts hätte man die „Katze im Sack“ gekauft und sich ein „Kuckucksei“ ins Haus geholt – es sei nämlich nicht klar, ob das Abkommen nicht doch irgendwann durch die Hintertür ins Rechtssystem einfließen könnte.

„Ein guter Einstieg in den Tag beginnt mit dem Ausstieg aus dem UN-Migrationspakt“, twitterte FPÖ-Generalsekretär und Europaparlamentarier Harald Vilimsky. In einer Aussendung zählte er auf, gegen welche Punkte des Paktes sich Österreich wende, „sofern sie über die bestehende österreichische Rechtslage hinausgehen“: etwa gegen den Zugang von Migranten zu Grundversorgung, Gesundheitssystem und höherer Bildung, die Erleichterung von Familienzusammenführungen und die Verfolgung von Hassverbrechen.

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) und Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP)
APA/Herbert Neubauer
Innenminister Herbert Kickl, Vizekanzler Heinz-Christian Strache, Bildungsminister Heinz Faßmann und Staatssekretärin Karoline Edtstadler (v. l. n. r.) nach der Ministerratssitzung am Mittwoch

„Zwist und Zank gehören der Vergangenheit an“

Der zweite FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker konzentrierte sich darauf, die Harmonie der Regierung zu loben: „Die Einstimmigkeit zwischen den Regierungspartnern FPÖ und ÖVP zeigt wieder einmal klar auf, dass der Wählerwille von 2017 die einzig richtige Entscheidung für unser Land war.“ „Dass Rot-Grün die Tore Wiens jahrelang für unkontrollierte Zuwanderung geöffnet hat, wird mit diesem österreichweiten Bekenntnis nun endgültig beendet“, jubelte der geschäftsführende Landesparteiobmann in Wien, Johann Gudenus.

Applaus kam auch aus Deutschland: Jörg Meuthen, Parteichef der rechtspopulistischen AfD, forderte umgehend, dass auch Berlin den Migrationspakt nicht unterzeichnen dürfe. „Während sich die deutsche Bundesregierung in entscheidender Zeit lieber mit sich und ihrer eigenen Unfähigkeit beschäftigt, werden in Österreich zum Wohle des Volkes Fakten geschaffen.“ Der Migrationspakt sei ein „Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge“, sagte Meuthen.

UNO-Migrationspakt ohne Österreich

Die Bundesregierung sieht die Gefahr, dass aus den freiwilligen Regeln irgendwann verbindliches Recht werden könnte. Die Opposition übt heftige Kritik an der Entscheidung.

Opposition bangt um Österreichs Ruf

Harsche Kritik kam von der heimischen Opposition. „Österreich verabschiedet sich heute von der weltpolitischen Bühne – und das einzig und alleine aus parteipolitisch motivierten Gründen“, sagte NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger. Sie wies auch darauf hin, dass Kurz selbst als Außenminister den Pakt für Österreich verhandelt hatte.

Die Liste Pilz (LP) kündigte eine „Protestaktion“ gegen die Entscheidung an. Alma Zadic, außenpolitische Sprecherin der Partei, beklagte: „Die Entscheidung der österreichischen Bundesregierung zeigt, dass es ihr wichtiger ist, vordergründig innenpolitisch zu punkten, als die globalen Herausforderungen anzugehen und diese gemeinsam mit anderen Staaten zu bewältigen.“

„Damit löst man keine Probleme, sondern verschließt nur die Augen davor“, sagte der außenpolitische Sprecher der SPÖ, Andreas Schieder. Und: „Wir sind UNO-Standort, wir haben den EU-Ratsvorsitz inne. Österreich hat für die EU maßgeblich an der Entwicklung des UNO-Migrationspakts mitgearbeitet.“ Kurz setze „tatsächlich etwas aufs Spiel, nämlich den guten Ruf Österreichs. Der ist leider nicht so schnell wiederherzustellen, wie er verloren geht“, sagte Schieder.

Kurz: Schritt nicht außergewöhnlich

Ebendies dementierte Kurz in der Früh: Es komme auf UNO-Ebene immer wieder vor, dass Länder gewisse Initiativen unterstützen und andere nicht. „Wir behindern auch niemanden, der ihn unterschreiben möchte. Wir enthalten uns schlicht und ergreifend unserer Stimme“, sagte der Kanzler. Anders sieht das der Grazer Völkerrechtler Wolfgang Benedek: Gegenüber der „Kleinen Zeitung“ sagte er bereits Anfang Oktober, dass sich Österreich durch einen Ausstieg isolieren würde. Zudem behandle das Abkommen auch Anliegen Österreichs wie die Bekämpfung von Menschenhandel, Grenzschutz und sichere Rückkehr.

Dittlbacher (ORF) vom Ministerrat: „Heikles Signal“

Was bedeutet dieser Beschluss, der Ausstieg aus dem Pakt, für Österreich? ORF-Reporter Fritz Dittlbacher hat den Ministerrat beobachtet und berichtete über diese Entscheidung.

„Ich bedauere das sehr“, kommentierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Entscheidung im Ö1-Mittagsjournal – Audio dazu in oe1.ORF.at . In Zusammenhang damit erneuerte er seine Forderung, dass die EU in außenpolitischen Fragen mit qualifizierter Mehrheit entscheiden müsse. Es sei „ein Unding“, dass die Europäische Union in dieser substanziellen Zukunftsfrage nicht mit einer Stimme reden könne. „Aber wir werden uns mit den österreichischen Freunden in den nächsten Wochen noch unterhalten.“

Auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres „bedauert“ den Rückzug Österreichs. Er betonte aber, dass ein großer Teil der Zivilgesellschaft und die überwältigende Mehrheit der UNO-Mitglieder den im Lauf der letzten 18 Monate zustande gekommenen Pakt unterstütze. Für Guy Verhofstadt, Liberalen-Chef im EU-Parlament, untergräbt Österreich mit seiner Entscheidung „unsere gemeinsame Arbeit an einer Lösung für das Problem der illegalen Migration“. Statt der Zusammenarbeit bei EU-Schlüsselthemen setze Österreich auf Trennlinien.