Uraufführung „Heldenplatz“
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Rückblick auf einen Theaterskandal

30 Jahre „Heldenplatz“

Zum 30. Mal jährt sich der größte Theaterskandal der Zweiten Republik: In den Wochen vor der Uraufführung von Thomas Bernhards Stück „Heldenplatz“ am 4. November 1988 gingen die Wogen in den heimischen Medien hoch, quer durch alle Parteien ging ein Ruck der Vorabentrüstung. Der eigentliche Skandal nach der Premiere? Fehlanzeige.

Der damalige Burgtheater-Direktor Claus Peymann hatte die Uraufführung von Bernhards „Heldenplatz“ für den 14. Oktober 1988, den 100. Geburtstag des Wiener Burgtheaters, geplant. Der Text zum „Bedenkjahr 1988“ war unter Verschluss, die Kritikerin Sigrid Löffler hatte ihn sich dennoch besorgen können und gab Mitte September im „profil“ voreilig Entwarnung: „Wg. erwiesener Harmlosigkeit von Bernhards Theater-Suada“ werde „aus dem von Claus Peymann so liebevoll geplanten Skandal (…) wohl nichts werden“.

Sie sollte eines Besseren belehrt werden. Obwohl vonseiten des Theaters und des Autors kaum Inhaltliches nach außen drang, wuchs die Gegnerschaft des Stückes rasant. Allein der Titel „Heldenplatz“ genügte, um halb Österreich auf die Barrikaden zu bringen. Wenn Bernhard diesen symbolträchtigen Ort thematisiere, dann könne schließlich nicht viel übrig bleiben vom kollektiven Einverständnis, sich als erstes Opfer der Nationalsozialisten zu betrachten, so die Annahme.

Die „Kronen Zeitung“ und „6,5 Mio. Debile“

An Aggressionen „vom Bundespräsidenten bis zum Taxler“ erinnerte sich Peymann später. Die Speerspitze der Voraberregung bildete dabei die „Kronen Zeitung“. „Österreich, 6,5 Millionen Debile!“ titelte das Blatt am 7. Oktober erste Textauszüge aus „Bernhards Skandalstück“ und legte zwei Tage später die Schlagzeile „Steuerzahler soll für Österreich-Besudelung auch noch bezahlen!“ nach, ehe Herausgeber Hans Dichand als „Cato“ selbst zur Feder griff und darüber sinnierte, dass in Österreich die Sonne unterzugehen drohe, „wenn wir Österreicher uns diese unflätigen Beleidigungen von Peymann und Bernhard gefallen lassen“.

Vehemente Ablehnung von allen Seiten

Die Politik spielte mit, anstatt zu beruhigen: Der damalige Vizekanzler Alois Mock (ÖVP) wünschte sich, „dass die Verantwortlichen nicht versagen“, und war zwar nicht für ein Aufführungsverbot, sah allerdings nicht ein, weshalb „eine globale Beschimpfung Österreichs auch noch mit Steuergeldern finanziert wird“.

Strache und der Anti-„Heldenplatz“-Protest

Im Vorjahr erinnerte sich FPÖ-Chef und mittlerweile Vizekanzler Heinz-Christian Strache an seine Beteiligung an den Protesten gegen „Heldenplatz“ auf den Rängen des Burgtheaters.

Ex-Kanzler Bruno Kreisky („Das darf man sich nicht gefallen lassen!“) meldete sich ebenso zu Wort wie Bundespräsident Kurt Waldheim („Eine grobe Beleidigung des österreichischen Volkes“). Der damalige FPÖ-Bundesparteiobmann Jörg Haider zitierte Karl Kraus: „Hinaus mit diesem Schuft aus Wien.“

Niederösterreichs Landeshauptmann Siegfried Ludwig (ÖVP) sprach sich für ein Verbot der Aufführung aus, die Vereinten Grünen Österreichs forderten die Absetzung von Peymann als Direktor. Unterrichtsministerin Hilde Hawlicek (SPÖ) hielt dagegen und erklärte, was am Burgtheater aufgeführt werde, sei „Sache des Direktors“, und es werde „keine Zensur“ geben. Erst kürzlich erinnerte Peymann daran, dass Hawlicek ihn damals mehrmals angerufen habe, um ihn zu ermuntern: „Peymann, Sie müssen durchhalten!“

Befürworter und Unterstützer

Das Burgtheater reagierte seinerseits mit einer Stellungnahme, in der es etwa hieß: „Wenn Thomas Bernhard, dieser große Dichter, aber als Österreicher eines seiner Stücke hier in Wien zur Uraufführung bringt, steht hier die ahnungslose Provinzpolitik kopf und macht in beschämender Weise Front dagegen. Und gibt sich ungeniert der Lächerlichkeit preis.“

Auch die IG Autoren solidarisierte sich mit Bernhard. Die Interessengemeinschaft ortete einen Versuch zur „Entmündigung“ der österreichischen Staatsbürger und kritisierte die „Vorzensur“, mit der „die Verfassungsgarantie der ‚Freiheit der Kunst‘ hinter die Zustände von 1918 zurückgeführt wird“. Wiens Kulturstadträtin Ursula Pasterk (SPÖ) warnte vor einer „internationalen Blamage“, falls das Stück verboten werden sollte.

Zur Entspannung rief auch die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) auf und richtete in einer Aussendung „an alle Politiker und Personen des öffentlichen Lebens in Österreich die dringende Aufforderung, sich weiterer Stellungnahmen zu dem bis heute unbekannten Stück ‚Heldenplatz‘ von Thomas Bernhard so lange zu enthalten, bis sie dieses Stück kennenlernen werden“.

Medien heizten die Stimmung weiter an

Von Beruhigung war jedoch keine Rede. Im Feuilleton des „Standard“ rief der damalige Ressortleiter (und spätere FPÖ-Politiker) Peter Sichrovsky unter Verweis auf das Fassbinder-Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ indirekt zum Sturm der Bühne auf, die „Kronen Zeitung“ veröffentlichte am Tag der Premiere ein Inserat mit einer Fotomontage, die das Burgtheater in Flammen zeigte: „Uns ist nichts zu heiß!“

Vor dem Theater versammelten sich am Abend rund 500 Demonstranten. Das alles konnte die Uraufführung des Stückes am 4. November 1988 nicht verhindern. „Am Tage Demonstrationen, dann Gegen-Demonstrationen, schließlich Gegen-Gegen-Demonstrationen“, so Suhrkamp-Verlagschef Siegfried Unseld in seiner „Chronik“. „Als Ulla und ich an der Burg ankommen, eine riesige Menschenmenge und Leute der Rechten, die Mist abladen wollen. Im Kartenraum stauen sich Leute, die noch Karten haben wollen. Die Aufführung findet unter Polizeischutz statt.“

Die Burgtheater-Inszenierung

Claus Peymanns Inszenierung von „Heldenplatz“ wurde von 1988 bis 2000 in seiner Direktionszeit vor über 127.000 Zuschauern mehr als 120-mal gespielt.

Eine Aufführung als Happening

Das Burgtheater war ausverkauft, das Publikum reagierte mehrheitlich mit Begeisterung, teils überklatschte und überjubelte es immer wieder Aktionen und „Pfeif-Orgien“ (Unseld) einiger Störtrupps, zu denen auch der heutige FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache gehörte, der 2017 im Wahlkampf seine Haltung gegen das Stück bewusst verteidigte.

„Zwischenrufe, Buhs und demonstrativer Szenenapplaus hatten die Aufführungsdauer von dreieinviertel auf viereinviertel Stunden gestreckt“, erinnerte sich Hans Langsteiner in der „Bühne“ an den Premierenabend, „und noch der beinahe tumultartige Schlussbeifall, den mit Regisseur Claus Peymann auch der von Krankheit gezeichnete Thomas Bernhard selbst entgegennahm, währte gezählte 32 Minuten.“

So mancher Kritiker schien danach regelrecht enttäuscht, dass der Skandalballon mit der Premiere in sich zusammensackte. Weitgehender Konsens herrschte im Feuilleton darüber, dass „Heldenplatz“ nicht zu den besten Stücken Bernhards zu rechnen sei und wohl rein inhaltlich keineswegs für derartige Aufregung hätte sorgen können, wie es im Vorfeld der Fall war.