Der Völkerrechtler Manfred Nowak
APA/Herbert Neubauer
Experte Nowak

Ausstieg aus Migrationspakt „fatales Signal“

Den Schritt Österreichs, aus dem UNO-Migrationspakt auszusteigen, schlägt hohe Wogen. Die Opposition ist entrüstet, die EU-Kommission spricht von einer „bedauerlichen“ Entscheidung und Experten können die Entscheidung nicht nachvollziehen. Der bekannte Völkerrechtler Manfred Nowak sieht in dem Ausstieg Wiens ein „fatales Signal“.

Bisher sei Österreich als „sehr positiver UNO-Mitgliedstaat“ wahrgenommen worden. „Wir schneiden uns hier ins eigene Fleisch“, sagte Nowak am Mittwoch. Nach den USA und Ungarn folgt nun Österreich mit dem Ausstieg aus dem UNO-Migrationspakt (Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration).

Die ÖVP-FPÖ-Regierung spekuliere offenbar darauf, dass ihr Schritt „negative Vorbildwirkung“ hat und weitere Staaten wie etwa Polen und Tschechien folgen könnten, so der frühere UNO-Sonderbeauftragte. Er habe sich aufgrund von Gesprächen mit Diplomaten eigentlich gedacht, dass die ÖVP standfest genug bleiben und nicht dem Druck der FPÖ nachgeben werde.

Völkerrechtsexperte Nowak: „Fatales Signal“

Völkerrechtsexperte Manfred Nowak bezeichnet die Entscheidung der Regierung, den Migrationspakt nicht zu unterzeichnen, als „fatales Signal“. Die Argumentation kann er nicht nachvollziehen.

„Österreich ist ja keine Insel“

Es könne sein, „dass wir hier eine mutige Vorreiterrolle einnehmen“, sagte Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache am Mittwoch im ZIB2-Interview mit Blick auf einen möglichen Rückzug aus dem Pakt auch von Japan, Australien oder Polen.

Die Argumentation der Regierung ist für Völkerrechtsexperten nicht nachvollziehbar. „Der Migrationspakt ist ein unverbindlicher Rahmen für internationale Kooperationen unter Berücksichtigung der Souveränität aller Staaten. Österreich ist ja keine Insel. Wir sind auf internationale Kooperation in diesem Bereich angewiesen, so wie wir auch auf Migration angewiesen sind“, argumentierte der Völkerrechtler Wolfgang Benedek im Ö1-Interview – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Eine Entscheidung wie diese könne ein Standortnachteil für Österreich sein. Benedek bezeichnete es als „peinlich“, wenn ein europäisches Industrieland, das demnächst einen Afrikagipfel ausrichten möchte und den EU-Vorsitz führt, nicht an internationaler Kooperation mitwirken wolle.

Regierung lehnt UNO-Migrationspakt ab

Die Bundesregierung sagt Nein zum UNO-Migrationspakt und wird ihn im Dezember in Marrakesch nicht unterzeichnen. Die Entscheidung sorgt für Kritik.

Pakt „nicht rechtsverbindlich“

Der unter den UNO-Mitgliedern ausgehandelte Pakt soll bei einer Konferenz am 10. und 11. Dezember in Marokko angenommen werden. Das Dokument soll helfen, Flüchtlingsbewegungen besser zu organisieren und Rechte der Betroffenen zu stärken.

„Der Pakt ist nicht rechtsverbindlich und erlegt den Mitgliedsstaaten keine neuen Verpflichtungen auf. Der Pakt basiert auf internationaler Kooperation und nationaler Souveränität“, betonte auch der UNO-Spitzendiplomat Jonathan Prentice erst kürzlich bei einem Wien-Besuch. Der Pakt habe nicht das Ziel, Migration zu fördern.

Kein Recht auf Migration geschaffen

Strache argumentierte, dass Migration kein Menschenrecht werden dürfe. Das mit dem Pakt ein Recht auf Migration geschaffen werde, bestritt Völkerrechtler Nowak vehement. Das sei ein vorgeschobenes Argument: „Aufgrund des Migrationspakts wird sich nicht, auch nicht in 20 Jahren, ein Recht auf Migration ergeben.“

Strache: „Haben politische Verantwortung gelebt“

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) erklärt, warum sich die Regierung dazu entschlossen hat, den UNO-Migrationspakt nicht zu unterschreiben. Die Gründe dafür sind vielseitig.

Rechtlich gesehen habe der Ausstieg „nicht viele Konsequenzen, weil er (Anm. der Pakt) rechtlich nicht verbindlich ist“. Zudem sei Österreich schon durch zahlreiche andere internationale Verträge gebunden. Das Verbot von Sammelabschiebungen etwa sei in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthalten, soziale Rechte ergäben sich aus der Europäischen Sozialcharta und dem UNO-Pakt über soziale Rechte.

„Nicht gegen Willen Österreichs“

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte darauf gepocht, dass Österreich keine Völkerrechtsgewohnheitsbindung eingehe. Diese Sorge sei unbegründet, so Nowak. Völkergewohnheitsrecht könne nämlich nur dann entstehen, wenn nicht nur Rechtstexte, sondern auch die konkrete politische Praxis der Staaten entsprechend aussehe. Derzeit gehe die Entwicklung im Bereich Migration aber genau in die gegenteilige Richtung, etwa durch die strenger werdende Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik vieler Länder.

Analyse zum Ausstieg aus dem Migrationspakt

ORF-Innenpolitik-Redakteur Thomas Langpaul spricht über die Details des rechtlich nicht bindenden UNO-Migrationspakts und die Entscheidung Österreichs, sich nicht daran zu beteiligen.

Auch der Migrationsexperte Andreas Schloenhardt bezeichnete die Sorge der Politik, dass der Pakt über Völkergewohnheitsrecht bindend werden könnte, im „Standard“-Interview als „schlichtweg falsch“. Dieses Recht erstrecke sich auf Bereiche mit zwischenstaatlichen Konflikten, und es dauere Jahrzehnte bis Jahrhunderte, bis es sich entwickle.

Experte erwartet Druck auf Österreich

Benedek hingegen schloss nicht aus, dass sich aus dem Pakt etwas weiter entwickeln könnte: „Aber nicht gegen den Willen von Österreich.“ Druck auf Österreich werde ohnehin entstehen, wenn alle an einem Strang ziehen und Österreich als Außenseiter draußen stehe. Wenn man dabei ist, hätte man den Vorteil, dass man mitverhandeln und den Prozess beeinflussen könne. Für Schloenhardt ist der Pakt mit dem Ausstieg Österreichs nicht in Gefahr. Es sei schon bemerkenswert, dass anfangs alle 193 UNO-Staaten mitgewirkt haben. Auch wenn nun nur noch 150 oder 160 den Pakt annehmen sollten, wäre das ein „Meilenstein“.