Hauptquartier der UNO in New York
AP/The Yomiuri Shimbun/Naoko Yamagishi
Für UNO „extrem bedauerlich“

Kritik an Ausstieg aus Migrationspakt hält an

Die Ankündigung Österreichs, sich aus dem UNO-Migrationspakt zurückzuziehen, sorgt international weiter für Aufregung. In der Nacht auf Donnerstag sprach die UNO-Sonderbeauftragte für Migration, Louise Arbour, von einer „extrem bedauerlichen“ Entscheidung. Die Regierung verteidigt unterdessen ihr Vorgehen und sieht sich in einer möglichen „Vorreiterrolle“.

Arbour hob in einem Interview mit der APA hervor, dass Österreich in dem Verhandlungsprozess „sehr aktiv“ und „geschickt“ gewesen sei. Als aktiver Teilnehmer sollte man den Text gut kennen und hätte jegliche Bedenken äußern können. Österreich habe im Verhandlungsprozess nicht nur für sich, sondern als EU-Ratsvorsitzland auch für die anderen 27 EU-Staaten gesprochen.

Dem Argument, dass der Pakt eine Gefahr für die nationale Souveränität darstellen könnte, konnte Arbour nicht viel abgewinnen. Dieses Argument sei „unbegründet“. Es stehe im Dokument, dass der Pakt die Souveränität von Nationalstaaten und ihr Recht auf eine selbstständige Gestaltung ihrer Migrationspolitik voll respektiere und keine rechtliche Bindung bestehe.

Sorgen um die nationale Souveränität seien „entweder verfehlt oder wurden nicht in gutem Glauben gemacht“, sagte die Sonderbeauftragte. Es sei ein „Rahmen der Kooperation“, betonte sie. Eines der Hauptziele sei, unsichere, chaotische und illegale Migration zu reduzieren, wenn nicht zu eliminieren.

Guterres rechnet weiter mit breiter Unterstützung

Auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sagte, den Ausstieg Österreichs würde er „sehr bedauern“. Guterres fügte jedoch nach Angaben seines Sprechers hinzu, dass ein großer Teil der Zivilgesellschaft sowie die überwältigende Mehrheit der UNO-Mitgliedsstaaten den im Laufe der letzten 18 Monate zustande gekommenen Pakt unterstütze. „Wir wollen uns mit ihnen in Marokko austauschen, wo der Pakt am 11. und 12. Dezember formell angenommen werden soll, und wir hoffen und rechnen mit einer weiterhin breiten Unterstützung“, sagte der Sprecher.

Auch Arbour hofft auf weiteres Engagement der Länder. Auf die Frage, ob sie fürchte, dass sich noch weitere Länder aus dem Pakt zurückziehen, antwortete Arbour, dass sie darüber nicht spekulieren wolle. Eventuelle Bedenken und Vorbehalte könnten entweder bei der UNO-Konferenz in Marrakesch im Dezember oder bei der UNO-Generalversammlung 2019 in New York geäußert werden. Es sei jedenfalls besser, innerhalb des Prozesses zu sein als außerhalb, so Arbour.

Strache verteidigt Entscheidung

Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache verteidigte unterdessen am Mittwoch im ZIB2-Interview das Vorgehen Österreichs. Es könne sein, „dass wir hier eine mutige Vorreiterrolle einnehmen“, so Strache.

Strache: „Haben politische Verantwortung gelebt“

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) erklärt, warum sich die Regierung dazu entschlossen hat, den UNO-Migrationspakt nicht zu unterschreiben. Die Gründe dafür sind vielseitig.

Die Argumentation der Regierung ist für Völkerrechtsexperten nicht nachvollziehbar. „Der Migrationspakt ist ein unverbindlicher Rahmen für internationale Kooperationen unter Berücksichtigung der Souveränität aller Staaten. Österreich ist ja keine Insel. Wir sind auf internationale Kooperation in diesem Bereich angewiesen, so wie wir auch auf Migration angewiesen sind“, argumentierte der Völkerrechtler Wolfgang Benedek im Ö1-Interview – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Eine Entscheidung wie diese könne ein Standortnachteil für Österreich sein. Benedek bezeichnete es als „peinlich“, wenn ein europäisches Industrieland, das demnächst einen Afrikagipfel ausrichten möchte und den EU-Vorsitz führt, nicht an internationaler Kooperation mitwirken wolle.

„Schneiden uns in eigenes Fleisch“

Der bekannte Völkerrechtler Manfred Nowak sieht in dem Ausstieg Wiens ein „fatales Signal“. Bisher sei Österreich als „sehr positiver UNO-Mitgliedstaat“ wahrgenommen worden. „Wir schneiden uns hier ins eigene Fleisch“, sagte Nowak am Mittwoch.

Völkerrechtsexperte Nowak: „Fatales Signal“

Völkerrechtsexperte Manfred Nowak bezeichnet die Entscheidung der Regierung, den Migrationspakt nicht zu unterzeichnen, als „fatales Signal“. Die Argumentation kann er nicht nachvollziehen.

Die ÖVP-FPÖ-Regierung spekuliere offenbar darauf, dass ihr Schritt „negative Vorbildwirkung“ hat und weitere Staaten wie etwa Polen und Tschechien folgen könnten, so der frühere UNO-Sonderbeauftragte. Er habe sich aufgrund von Gesprächen mit Diplomaten eigentlich gedacht, dass die ÖVP standfest genug bleiben und nicht dem Druck der FPÖ nachgeben werde.

Kein Recht auf Migration geschaffen

Strache argumentierte, dass Migration kein Menschenrecht werden dürfe. Das mit dem Pakt ein Recht auf Migration geschaffen werde, bestritt Völkerrechtler Nowak vehement. Das sei ein vorgeschobenes Argument: „Aufgrund des Migrationspakts wird sich nicht, auch nicht in 20 Jahren, ein Recht auf Migration ergeben.“

Rechtlich gesehen habe der Ausstieg „nicht viele Konsequenzen, weil er (Anm. der Pakt) rechtlich nicht verbindlich ist“. Zudem sei Österreich schon durch zahlreiche andere internationale Verträge gebunden. Das Verbot von Sammelabschiebungen etwa sei in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthalten, soziale Rechte ergäben sich aus der Europäischen Sozialcharta und dem UNO-Pakt über soziale Rechte.

„Nicht gegen Willen Österreichs“

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte darauf gepocht, dass Österreich keine Völkerrechtsgewohnheitsbindung eingehe. Diese Sorge sei unbegründet, so Nowak. Völkergewohnheitsrecht könne nämlich nur dann entstehen, wenn nicht nur Rechtstexte, sondern auch die konkrete politische Praxis der Staaten entsprechend aussehe. Derzeit gehe die Entwicklung im Bereich Migration aber genau in die gegenteilige Richtung, etwa durch die strenger werdende Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik vieler Länder.