Frau hält Finger auf Lesegerät
European Union/EC – Audiovisual Service/Patricia De Melo Moreira
Umstrittenes Projekt

Lügendetektor für EU-Grenze geplant

In der laufenden Migrationsdebatte zählt der umfangreiche Ausbau des EU-Außengrenzschutzes zu den wenigen Punkten, über dessen Notwendigkeit sich die EU-Mitgliedsstaaten weitgehend einig sind. Wie der nun anstehende Feldversuch für einen „smarten“ Lügendetektor zeigt, umfasst das Thema weit mehr als die Aufstockung der EU-Grenzschutzbehörde Frontex.

Der Lügendetektor wurde im Rahmen des von der EU finanzierten Forschungsprojektes iBorderCtrl entwickelt, von dem sich die EU-Kommission verspricht, „den Verkehr an den Außengrenzen der EU zu beschleunigen und die Sicherheit zu erhöhen“. Die Rede ist von einem weitgehend automatisiertes Grenzkontrollsystem, „das Reisende mit Hilfe von Avataren zur Erkennung von Lügen auf die Probe stellt“.

Die EU-Kommission verweist in diesem Zusammenhang auf die wachsenden Herausforderungen für Europas Grenzschutzbeamte. Derzeit reisten rund 700 Millionen Menschen in die Europäische Union ein, und jedes Jahr würden es „rasant“ mehr. Aus diesem Grund sei es nach den Worten der EU-Kommission auch immer schwieriger, „die strengen Sicherheitsprotokolle einzuhalten“.

Automatisiertes Frage-Antwort-Verfahren

Um „die Genauigkeit und Effizienz der Grenzkontrollen zu erhöhen“, wolle man zur Unterstützung der Grenzbeamten nun auch „bestehende und bewährte Technologien – sowie neue Technologien“ nutzen, wie iBorderCtrl-Koordinator George Boultadakis vom Luxemburger Technologieunternehmen European Dynamics laut „Guardian“ dazu sagte.

Ob und wann das „intelligente Lügendetektionssystem“ zum Einsatz kommt, ist derzeit zwar noch offen – nach Angaben der EU-Kommission stehen demnächst in Ungarn, Griechenland und Lettland neben „Labortests“ allerdings schon „Szenarien und Tests unter realen Bedingungen entlang der Grenzen“ auf dem Programm.

Das auf einem automatisierten Frage-Antwort-Verfahren beruhende System soll „Guardian“-Angaben zufolge an kleinsten Regungen im Gesicht erkennen, ob Einreisende wahrheitsgetreue Angaben zu ihrer Identität gemacht haben. Es gehe um „sehr feinkörnige Mikrogesten“ und nicht um Lächeln, Stirnrunzeln oder „ein Auge, das sich nach links oder rechts bewegt“, so die Expertin für Computational Intelligence an der Metropolitan University, Keeley Crockett, nach Angaben des Nachrichtenportals Euronews.

Reihe biometrischer Daten

Schlägt das System an, werde nach Angaben der EU-Kommission das „potenzielle Risiko des Reisenden neu berechnet“. Neben einer „Neubewertung der Dokumente“ werden dazu in einem automatisierten Verfahren auch biometrische Daten aus Fingerabdrücken, Handflächenvenen-Scans und Gesichtsvermessung herangezogen. Erst dann sei der Einsatz von Grenzschutzbeamten vorgesehen. Medienberichten zufolge könne das System schließlich auch um zusätzliche Funktionen wie Iris-Scans, aber auch Infrarotdetektoren, mit denen die Körperwärme gemessen werden kann, erweitert werden.

„Pseudowissenschaft“

Ein automatisiertes System könnte Beobachtern zufolge nicht zuletzt bei jenen Ländern auf großes Interesse stoßen, die sich ungeachtet der bereits beschlossenen Frontex-Aufstockung auf 10.000 Beamte gegen eine Einmischung der EU in die eigene Grenzsicherung wehren. Das betrifft auch Ungarn, wo das EU-geförderte Grenzschutzsystem nicht nur mitentwickelt wurde, sondern nun auch getestet werden soll.

Das angedachte Lügendetektionssystem sorgt auf Expertenseite unterdessen für Stirnrunzeln. Geht es nach Bruno Verschuere vom Institut für forensische Psychologie der Universität Amsterdam gebe es keine wissenschaftliche Grundlage für die hier zur Anwendung kommenden Methoden. Vielmehr würden „Mikroausdrücke“ nicht wirklich etwas darüber aussagen, ob jemand lüge, wie Verschuere gegenüber dem „Guardian“ sagte.

Während auch der Datenwissenschaftler Bennet Kleinberg vom University College gegenüber der Zeitung von einer „pseudowissenschaftlichen“ Vorgangsweise spricht, zeigte sich Verschuere aber auch davon überzeugt, dass das System, sobald einmal in Betrieb genommen, auch in Betrieb bleiben werde: „Die Öffentlichkeit wird nur die Erfolgsgeschichten hören und nicht die Geschichten über diejenigen, die zu Unrecht gestoppt wurden.“

Was passiert mit Daten?

Abseits der angezweifelten Technik gibt es schließlich auch Datenschutzbedenken. „Das System soll nicht nur Lügen entlarven, sondern auch biometrische Daten von Reisenden sammeln und prüfen“, heißt es dazu bei der Plattform Netzpolitik, die sich für „digitale Freiheitsrechte“ einsetzt.

Was mit den von iBorterCtrl gesammelten Daten konkret passieren soll, sei mit Blick auf die Projektseite derzeit zwar noch offen – naheliegend erscheine es Netzpolitik aber, dass damit ein zentraler europäischer „Datentopf“ gefüttert werde. Angesprochen wird damit das Vorhaben der EU-Kommission mit einer umfangreichen Verknüpfung der behördlichen Datenbanken „die Interoperabilität der EU-Informationssysteme für Sicherheit und Grenzmanagement sicherzustellen“.