Proteste gegen den Bau der Pipeline
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Von Spanien nach Frankreich

Politisches Hickhack um „Geisterpipeline“

Unweit von Barcelona erstreckt sich unterirdisch über rund 80 Kilometer eine Gaspipeline, die ins nirgendwo führt. Die Bauarbeiten dazu wurden 2012 auf Wunsch Frankreichs abgebrochen. Und das könnte so bleiben: Denn gegen Pläne einer Wiederaufnahme des Projekts gibt es großen Widerstand – auch in der Bevölkerung. Bei der „MidCat“-Pipeline handelt es sich um ein Herzensprojekt von EU-Kommissar Miguel Arias Canete.

Wenige Monate bleiben den Unterstützern des 3,1 Milliarden Euro teuren Pipeline-Projekts noch, um dessen Wiederaufnahme durchzusetzen. Die Entscheidung treffen spanische und französische Energieregulatoren – und diese soll bis Jänner 2019 fallen. Interessiert an der Fertigstellung der Hunderte Kilometer langen Pipeline sind die Gasversorger Enagas aus Spanien und Terega aus Frankreich, der sich im Besitz des italienischen Snam-Konzerns befindet. Unterstützung bekommen diese noch vom derzeit amtierenden Energiekommissar Arias Canete aus Spanien.

Das Projekt könnte an den gegensätzlichen nationalen Interessen von Spanien und Frankreich nun allerdings endgültig zerbrechen. Geplant war, dass „MidCat“ Gas aus Afrika über Spanien und Frankreich nach Europa pumpen solle und die Menge an über die Pyrenäen transportiertem Gas mehr als verdopple. Die Garantie regionaler Energiesicherheit nannten Enagas und Terega als weiteres Argument.

EU Kommissar für Klima und Energie, Miguel Arias Canete
APA/Erwin Scheriau
Energiekommissar Arias Canete gilt als Unterstützer der Pläne für das spanisch-französische Pipeline-Projekt

„MidCat“ teilt sich in zwei Phasen

Zwischen Frankreich und Spanien sollen durch das Projekt 7,5 Milliarden Kubikmeter an zusätzlicher Kapazität entstehen, und auch 800 km des französischen Gasnetzes sollen so verstärkt werden. Der EU wurde das Projekt dadurch schmackhaft gemacht, dass die Abhängigkeit von russischem Gas dadurch abnehme.

„MidCat“ teilt sich in zwei Phasen: Der erste, kürzere Teil nennt sich „South Transit East Pyrenees“ („STEP“), soll 120 km lang sein und rund 440 Mio. Euro kosten. Ziel ist es, dass die neuerlichen Konstruktionsarbeiten 2019 starten und bis 2022 abgeschlossen werden. Die zweite, weitaus teurere Bauphase von „MidCat“ würde darauf folgen.

Kritik aus Frankreich: Nur Spanien profitiert

Doch wie schon 2012, als die Bauarbeiten in Katalonien aufgrund französischer Einwände auf Eis gelegt wurden, ist der Widerstand aus Frankreich nach wie vor groß. Grund dafür ist, dass Frankreich den Großteil der Kosten für die Pipeline stemmen müsste, während Spanien ein Großteil des Nutzens zugute käme. Terega würde etwa 290 Mio. Euro der ersten Phase finanzieren, während Enagas rund 150 Mio. Euro zahlen würde.

Vergleich zu „Nord Stream 2“:

„MidCat“ ist im internationalen Vergleich ein relativ kleines Projekt. Die kommende Gasleitung „Nord Stream 2“ soll 1.200 Kilometer lang sein und jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas nach Deutschland transportieren. An der Finanzierung ist auch die österreichische OMV beteiligt – auch die heimische Regierung hat ihre Unterstützung zugesagt.

Kritikerkreisen zufolge soll Gas durch die 120 km lange „STEP“-Pipeline in wesentlich größeren Mengen von Frankreich nach Spanien fließen als umgekehrt. Laut dem französischen Energieregulator (CRE) würde die Iberische Halbinsel allein vom Projekt profitieren. Ferner würden dadurch die Preise für Konsumentinnen und Konsumenten auf französischer Seite sogar in die Höhe getrieben werden, ohne die Energiesicherheit zu verbessern – dem schloss sich auch der französische Gasnetzbetreiber GRT Gaz an.

In der französischen Stadt Perpignan gingen Dutzende Gegnerinnen und Gegner des Projekts im Jänner aus Unmut über die Pläne auf die Straße. Auch eine Studie vom November 2017, die von der Beratungsfirma Pöyry für die EU-Kommission vorbereitet wurde, zweifelt die finanzielle Machbarkeit der ersten Phase von „MidCat“ an. Laut Pöyry würden die Gaspreise auf der Iberischen Halbinsel – anders als in Frankreich – durch die Pipeline sinken.

Kosten höher als Nutzen?

Der Studie zufolge seien die Kosten der ersten Phase „STEP“ der Pipeline in einem Großteil der Szenarios höher als deren Nutzen. Laut Pöyry wäre „MidCat“ wirtschaftlich nur sinnvoll, wenn die Preise für Flüssigerdgas über längere Zeit deutlich über jenen der Pipeline-Gaspreise lägen. Experten halten so ein Szenario jedoch für unwahrscheinlich.

Teregas-Infrastrukturdirektor Michel Boche verteidigte die Pläne daraufhin, gab aber zu, dass der Großteil des Gases von Frankreich nach Spanien transportiert würde. Bei Bedarf könne das aber umgekehrt werden. Im Winter 2017 wurde bloß an zwei äußerst kalten Tagen Gas von Spanien über Frankreich nach Großbritannien gepumpt.

„MidCat“ weiterhin auf EU-Prioritätenliste

„Wenn es einen wirklich Bedarf für ‚MidCat‘ gäbe, dann hätte der Markt diese Verbindung bereits gebaut“, sagte eine Quelle des Pyöry-Berichts. Bei einem Energiegipfel Frankreichs, Spaniens und Portugals im Juli sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dass es nur dann weitere Pipelines wie jene in Katalonien geben soll, wenn diese wirtschaftlich Sinn ergeben – das heißt, wenn der Bedarf an Gas steigt.

Grund zur Zuversicht besteht für die Gasversorger Terega und Enagas nichtsdestoweniger. Das Projekt befindet sich nach wie vor auf der PCI-Prioritätenliste (Projects of Common Interest) der Europäischen Kommission und könnte bis zu fünfzig Prozent durch EU-Gelder finanziert werden. Auf Basis des „Europäischen Projekts“ verteidigt auch Marcelino Oreja, CEO von Enagas, die Pläne. Nach Entstehen des Europäischen Binnenmarktes haben die Staaten stark in das überstaatliche Bahnnetz investiert, nun müsse dasselbe mit Blick auf Elektrizität und Gas geschehen, wurde Oreja im Magazin „Politico“ zitiert.

„Greenwashing“-Vorwürfe der NGOs

Kritik an deren Plänen gibt es letztlich von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth Europe bezeichnete die „MidCat“-Pipeline als ein weiteres Projekt, das die Gasindustrie „greenwashen“ möchte. „Sollte sie gebaut werden, würde sie dem Klima schaden, die Gelder der Steuerzahler massiv verschwenden, zu höheren Preisen für Konsumenten führen, die Energiesicherheit nicht erhöhen, und sie würde kaum genutzt werden“, fasste Antoine Simon von der NGO die Kritikpunkte gegenüber „Politico“ zusammen. NGOs haben sich grundsätzlich gegen Gasprojekte in Europa ausgesprochen, da diese fälschlicherweise als umweltverträgliche Technologien verkauft würden.