Demonstration zum Frauenwahlrecht aus 1913
Kreisky-Archiv
100 Jahre Republik

Das Rechenspiel mit dem Frauenwahlrecht

Als die Provisorische Nationalversammlung am 12. November 1918 die Republik Deutschösterreich ausrief, sollten sofort auch Frauen an demokratischen Wahlen teilnehmen dürfen. Der Zerfall der Monarchie war dafür Katalysator, doch keineswegs alleiniger Grund. Vielmehr war es der jahrzehntelange Druck engagierter Frauen, der dem Rechenspiel „Lohnt sich ein Frauenwahlrecht?“ ein Ende setzte.

Während der politische Umbruch die Möglichkeit für ein Frauenwahlrecht schuf, leisteten die bürgerlich-liberale Frauenbewegung und die Sozialdemokratinnen harte Vorarbeit. Sie kämpften für eine gleichberechtigte Teilhabe in der Politik und sorgten für gesellschaftlichen Druck, indem sie den Protest für Gleichberechtigung auch auf die Straße trugen. Die Suffragetten in England waren dafür Vorbild.

„Die Rolle der Sozialdemokratie ist ein bisschen ambivalent“, sagt Historikerin Veronika Helfert im Gespräch mit ORF.at. Zwar hatte etwa die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs seit ihrer Gründung 1889 das Frauenstimmrecht in ihrer Prinzipienerklärung verankert, allerdings gab es bis dato eine mächtige Lücke zwischen Theorie und Praxis.

„Wir geigen wieder“

So durften beim Gründungsparteitag keine Frauen teilnehmen – und das obwohl die Genossin Anna Altmann als Delegierte gewählt wurde. „Die Wiener Genossen schrieben damals, dass sie einen männlichen Delegierten wünschen, die Frauen wären noch nicht so weit. Ich ließ es sein und dachte ‚wir geigen wieder‘“, schrieb Altmann in einem autobiographischen Text. Lange haben Frauen zurückgesteckt und dem Wohle der Partei den Vortritt gelassen, als auf ihre Gleichberechtigung zu pochen. Immerhin ging es in erster Linie darum, das allgemeine Männerwahlrecht zu erreichen.

Junge Frau bei der Ausstellung zum Frauenwahlrecht auf der Uni Wien
ORF.at
Unter dem Titel „Sie meinen es politisch!“ kuratierte Helfert zusammen mit anderen Historikerinnen und Wissenschaftlerinnen eine Miniausstellung in einer „Wahlzelle“. Die Schau zieht zur Zeit durch Österreich.

Denn obwohl die Alleinherrschaft abgeschafft war, wurde das Herrenhaus im Parlament bisher vom Kaiser bestimmt und das Abgeordnetenhaus von einflussreichen Männern je nach Steueraufkommen gewählt. Es war also eine taktische Überlegung, erst nicht zu viel zu fordern – sowohl von den sozialdemokratischen Frauen als auch vom sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Viktor Adler. „Es fragt sich, ob die politische Lage reif ist, um einen Feldzug für das Frauenwahlrecht zu unternehmen“, sagte Adler 1891.

Die Angst davor, was Frauen wählen

„Die allgemeine Frage war natürlich, was machen die Frauen, wenn wir ihnen das Wahlrecht geben?“, erklärt Helfert das historische Rechenspiel der Sozialdemokratie. „Wählen die uns oder die Christlichsozialen?“ Die meisten Frauen seien sehr religiös und häuslich orientiert gewesen, weshalb diese Frage aus Sicht des Erfolgs einer Partei durchaus berechtigt gewesen sei. Tatsächlich hatte es in den 1920er Jahren Berechnungsversuche gegeben, die zeigen sollten, wie stark die Sozialdemokraten sein hätten können, wenn es das Frauenwahlrecht nicht gegeben hätte. Kuverts in verschiedenen Farben machten es möglich, statistisches Material über das geschlechterspezifische Wahlverhalten zu sammeln. Und tatsächlich favorisierten Frauen die Christlichsoziale Partei (CSP).

Die ersten weiblichen SDAP-Abgeordneten der verfassungsgebenden Versammlung am 04.3. 1919
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Die weiblichen Abgeordneten 1919 der Sozialdemokratischen Partei: Adelheid Popp, Therese Schlesinger, Anna Boschek, Emmy Freundlich, Maria Tusch und Amalie Seidel (von links vorne)

Von einem allgemeinen aktiven und passiven Wahlrecht konnten Frauen erstmals am 16. Februar 1919 Gebrauch machen. Bei der Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung gaben 82,10 Prozent aller wahlberechtigten Frauen und 86,98 Prozent der Männer ihre Stimme ab. Acht Frauen, die alle zuvor für die Rechte der Österreicherinnen gekämpft hatten, schafften es 1919 auch als Abgeordnete ins Parlament: Anna Boschek, Emmy Freundlich, Adelheid Popp, Gabriele Proft, Therese Schlesinger, Amalie Seidel und Maria Tusch für die Sozialdemokratische Partei sowie Hildegard Burjan für die CSP.

Popp war es auch, die 13 Jahre später in einer visionären Rede in München darauf aufmerksam machte, dass die Demokratie ein Aushandlungsprozess sei: „Frauen und Mütter: Heute noch seid ihr gleichberechtigte Frauen. Morgen schon könnt ihr rechtlose Mägde sein, gut genug, Kanonenfutter für die Rüstungsindustrie aufzuziehen", mahnte Popp im Juli 1932, damals sozialdemokratische Abgeordnete während der Regierung Dollfuß I, konkret vor dem Nationalismus. Man dürfe nicht vergessen, dass Österreich heuer nicht 100 Jahre Demokratie feiere, ergänzt Helfert im Gespräch mit ORF.at. „Gleichstellung kann auch wieder verschwinden.“

Eine Frage des politischen Willens?

Mit dem Frauenwahlrecht alleine war es jedenfalls noch lange nicht getan – schließlich wurde auch das Familienrechtspaket sogar erst in den späten 1970er Jahren eingeführt. Erst seither ist es verheirateten Frauen erlaubt, den Wohnort selbst zu bestimmen und Verträge – auch Arbeitsverträge – ohne Zustimmung des Mannes abzuschließen. Erst 1989 wurde Vergewaltigung und geschlechtliche Nötigung in der Ehe strafbar.

Elisabeth Holzleithner
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Elisabeth Holzleithner ist Professorin für Rechtsphilosophie und Legal Gender Studies sowie Sprecherin des Forschungsverbundes Gender and Agency der Universität Wien

Um mehr Frauen als Politikerinnen durchzuboxen, wurde zehn Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts die Frauenpartei gegründet. Ihr ging es in erster Linie darum, Druck aufzubauen, „dass Frauen aufgestellt werden müssen und dass sie nicht nur auf den Listen stehen, sondern auch in wählbare Positionen kommen“, so Helfert zu ORF.at. Bis heute sei genau das ein wichtiges Thema vieler Parteien.

Dass der Nationalrat immer noch einen Frauenanteil von nur etwa einem Drittel hat, „könnte man so einfach ändern“, kritisiert Juristin Elisabeth Holzleithner, Rechtsphilosophin an der Universität Wien, im Gespräch mit ORF.at die fehlende Quotenregelung im Parlament – und nicht nur dort. „Es ist eine Frage des politischen Willens“, so Holzleithner. Sie fordert deshalb Taten der Abgeordneten und ein Ende der „Lippenbekenntnisse“.

Größtenteils gebe es die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Realisieren der Geschlechtergleichheit ja auch schon, „man muss sie nur umsetzen“, sagt Holzleithner und spricht etwa die Situation am Arbeitsplatz an, insbesondere die fehlende Entgeltgleichheit. Unmittelbar damit in Zusammenhang wäre ein Gesetz zur Gehältertransparenz erforderlich, so die Juristin weiter. Damit könnte mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern erzielt werden.

„Ich bin eine Quotenfrau“

Politikerinnen und Politiker der meisten Parteien in Österreich äußerten sich bereits dazu, dass eine Quotenregelung in Unternehmen wie auch im Parlament sinnvoll wäre – bisher ohne Erfolg. Vielmehr hatte es vor nicht allzu langer Zeit gar unglaubliche Maßnahmen gegeben, um weibliche Politikerinnen im Parlament zum Schweigen zu bringen.

Van der Bellen zum Republiksjubiläum

Bundespräsident Alexander Van der Bellen erinnerte am Montag in seiner Festrede zum Staatsakt daran, dass Frauen „um ihren Platz in der Politik bis heute kämpfen“ müssen.

2011 hatten einige männliche ÖVP-Abgeordnete mit Dauerreden einen letzten Auftritt der damaligen Frauenministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP) im Plenum verhindert, nachdem die ÖVP-Frauen den Antrag auf Änderung der Bundeshymne („Heimat großer Töchter und Söhne“) in einer Geheimaktion an der Klubführung vorbei mit den Kolleginnen von SPÖ und Grünen verfertigt hatten. Dass Rauch-Kallat eine letzte Rede zur Änderung der Bundeshymne nicht vergönnt war, hatte letztlich jedoch keine Auswirkung auf einen Beschluss der Gesetzesänderung.

In reger Erinnerung bleibt vielen zudem wohl auch die Brandrede der ehemaligen Innen- und Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) im Parlament im Jahr 2017 zum Bedarf einer Frauenquote. „Es funktioniert halt nicht ohne Quote“, zeigte sich Fekter damals überzeugt. Und weiter: „Ich bin eine Quotenfrau.“

„Nur Männer zu verpflichten, ist diskriminierend“

Wolle man echte Gleichberechtigung, dürfe man auch vor unpopulären Themen keine Scheu haben. Rechtsphilosophin Holzleithner denkt dabei etwa an Bundesheer und Zivildienst: „Entweder, man macht es komplett freiwillig – wenn es aber eine Verpflichtung gibt, dann sollten auch junge Frauen davon erfasst sein. Nur Männer zu etwas zu verpflichten, ist eine geschlechterdiskriminierende Vorgabe.“

Zusammen mit einem Komitee an Frauenrechtsexpertinnen und Historikerinnen wurde im Rahmen von 100 Jahre Republik die Geschichte des Frauenwahlrechts in Österreich aufgearbeitet. Die Inhalte werden zur Zeit in einer wandernden „Wahlzelle“ in Kärnten, Niederösterreich, Salzburg, Vorarlberg und Wien ausgestellt, von 8. März bis 25. August 2019 soll es zudem eine größere Ausstellung im Volkskundemuseum Wien geben. Anschließend zieht die Schau weiter ins Frauenmuseum Hittisau in Vorarlberg.