Bundeskanzler Sebastian Kurz und Verteidigungsminister Mario Kunasek
APA/Helmut Fohringer
Ermittlungen eingeleitet

Offizier soll für Moskau spioniert haben

Ein mittlerweile pensionierter Bundesheeroffizier steht im Verdacht, über Jahre Russland mit Informationen aus Österreich versorgt zu haben. Entsprechende Medienberichte wurden Freitagvormittag von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) bei einer eilends einberufenen Pressekonferenz bestätigt.

Auch wenn es sich nach den Worten von Kurz bisher um einen Verdachtsfall handelt, hat die Causa bereits diplomatische Konsequenzen. Der von FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl für Anfang Dezember geplante Moskau-Besuch sei zunächst abgesagt – zudem wurde der russische Geschäftsträger Igor Nikitin für Freitagvormittag ins Außenministerium zitiert. Der russische Botschafter befindet sich derzeit nicht in Österreich.

Kurz und Kunasek bestätigten zudem Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Die im Raum stehende Spionagetätigkeit hatte laut Kurz in den 90er Jahren begonnen und bis 2018 gedauert. Wiederholt sprach der Bundeskanzler von einem „Verdachtsfall“, angesichts anderer Fälle von russischer Spionage in Europa gehe er aber davon aus, „dass sich der Verdacht bestätigt“. Außer Frage stehe auch, dass dies das Verhältnis zu Russland „nicht verbessern“ werde.

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Verteidigungsminister Mario Kunasek
APA/Helmut Fohringer
Kurz und Kunasek geben Auskunft über den „seit Wochen bekannten“ Spionageverdachtsfall

Im Moment verlange man von russischer Seite „transparente Information“, sagte Kurz auf Nachfragen von Journalisten zur Beziehung zu Russland. Alles Weitere werde man mit den europäischen Partnern gemeinsam beraten. Von einer Ausweisung russischer Diplomaten aus Österreich wollte der Kanzler noch nicht sprechen. Anders als viele andere EU-Staaten hatte Österreich auch in Zusammenhang mit der Skripal-Affäre in Großbritannien im März diplomatische Maßnahmen gegen Russland abgelehnt, weil es nach eigenen Angaben Gesprächskanäle nach Moskau offen halten wollte.

Lawrow „unangenehm überrascht“

Der russische Außenminister Sergej Lawrow zeigte sich in einer ersten Reaktion von den Nachrichten aus Österreich „unangenehm überrascht“. Genauere Aufklärung über die Vorwürfe erhoffe man sich in Moskau von dem ins Außenministerium bestellten österreichischen Botschafter Johannes Eigner, wie Reuters mit Verweis auf russische Agenturen weiter berichtete. Lawrow wolle Eigner auch erklären, wie sich Wien verhalten sollte, wenn es Fragen an Russland hat. Statt sich in diesen Fragen direkt an Moskau zu wenden, habe Österreich eine „Megafon-Diplomatie“ verwendet, wurde Lawrow dazu zitiert.

Staatsanwaltschaft Salzburg am Zug

Bei der Staatsanwaltschaft Salzburg ging am Freitag die von Kurz und Kunasek angekündigte Anzeige des Verteidigungsministeriums ein und wird nun geprüft. „Gegenstand der Darstellung ist der Vorwurf gegen einen 70-jährigen Salzburger Offizier in Ruhe des österreichischen Bundesheeres, wonach dieser Informationen an einen ausländischen Nachrichtendienst weitergegeben habe“, hieß es in der Aussendung.

Die Staatsanwaltschaft prüfe auch in Richtung des Verbrechens des Verrats von Staatsgeheimnissen (Paragraf 252 Abs 1 StGB). Keine explizite Erwähnung finden in der Aussendung Vorwürfe nach Paragraf 319 des Strafgesetzbuchs (militärischer Nachrichtendienst für einen fremden Staat), von denen zuvor die „Kronen Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) geschrieben hatte.

Hinweis von „befreundetem Dienst“

Nach Angaben von Kunasek sei der Verdächtige seit fünf Jahren in Pension. Der Fall sei seit einigen Wochen bekannt. Der entsprechende Hinweis, „dass es einen Informationsabfluss gibt“, sei von einem befreundeten ausländischen Dienst gekommen. Das Abwehramt habe dann die Identität des Betroffenen herausgefunden und auch Gespräche mit ihm geführt.

Verdacht auf Spionage beim Bundesheer

Bundeskanzler Kurz und Verteidigungsminister Kunasek bestätigten bei einer Presssekonferenz den Verdacht eines „Spionagefalls beim Bundesheer“.

Der pensionierte Offizier habe auch Geräte wie seinen Laptop übergeben, deren Auswertung sei derzeit am Laufen. Das Verteidigungsministerium hat die Justiz eingeschaltet und eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft geschickt, es drohen strafrechtliche Konsequenzen. Neben Informationen über Waffen und zur „Migrationsfrage“ soll der Mann auch Personenprofile nach Russland geliefert haben. Ob es sich um einen Einzelfall handle, sei „noch nicht klar“.

Der Fall mache laut Kunasek deutlich, dass es auch nach dem Kalten Krieg weiterhin Spionage gebe und eine entsprechende Sensibilisierung stattfinden müsse. Laut Verteidigungsminister betrifft das unter anderem die Personalfrage und den Cyberbereich. Er habe bereits eine entsprechende Weisung mit Sicherheitsüberprüfungen im IT-Bereich erteilt, sagte Kunasek. Man müsse nun das Sicherheitsnetz innerhalb Österreichs, aber auch innerhalb des Verteidigungsministeriums „noch enger schnüren“.

„Schwerwiegende Belastung“ befürchtet

Außenministerin Kneissl zeigte sich angesichts der Vorwürfe ernsthaft um das künftige Verhältnis mit Russland besorgt. „Sollten sich die jetzt vorliegenden Verdachtsmomente bestätigen, dann würde dies eine schwerwiegende Belastung für die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Russland darstellen“, so Kneissl am Freitag.

Die geplante Reise der Außenministerin am 2. und 3. Dezember nach Moskau ist nach derzeitigem Stand abgesagt. Die Umsetzung des „Sotschi-Dialogs“ wäre das Hauptthema des Treffens gewesen. Die Rede war von einem Forum für zivilgesellschaftlichen Dialog zwischen Österreich und Russland, das beim Wien-Besuch von Präsident Wladimir Putin im Juni angekündigt worden war.

Bereits geständig?

Der unter Spionageverdacht stehende Offizier soll nach Angaben der „Kronen Zeitung“ für seine Spionagetätigkeit rund 300.000 Euro bekommen haben. Russland habe sich im Besonderen „für Bundesheer-Jets und die Flüchtlingssituation“ interessiert, hieß es dazu in „Österreich“. Nach „Kurier“-Angaben soll der Verdächtige bereits geständig sein. Nach Angaben der „Presse“ soll es sich um einen Salzburger Offizier handeln.

Die Zeitung berichtete auch über den mutmaßlichen Weg, über den der Informationsaustausch erfolgt sei. Russland habe „die technische Ausrüstung zur Verfügung gestellt“, und „ein Kommunikationsweg dürfte ein simpler Weltempfänger gewesen sein“. Im „Kurier“ wurde indes auf anfängliche Zweifel von Beobachterseite verwiesen. Das mit Blick auf die Affäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) vermutete „Ablenkungsmanöver“ sei aus Regierungskreisen aber bereits vor der Kurz-Kunasek-Pressekonferenz dementiert worden – die Spionagevorwürfe seien „durchaus ernst zu nehmen“.

Pilz ortet Thema für BVT-Ausschuss

Von Oppositionsseite wurde sowohl von den Grünen als auch der Liste Pilz (LP) in einer ersten Reaktion auf die Beziehungen der FPÖ und der russischen Regierungspartei Geeintes Russland verwiesen. Für den grünen EU-Abgeordneten Michel Reimon ist die FPÖ, „die den Verteidigungsminister stellt und deren Innenminister das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung unter ihre Kontrolle bringen will“, ein „Sicherheitsrisiko für Österreich“.

Laut NEOS-Verteidigungssprecher Douglas Hoyos zeigt der nun bekanntgewordene Fall „einmal mehr deutlich die Problematik der unkontrollierten Bespitzelung in Österreich“. Als Konsequenz forderte Hoyos „nun auch eine deutlichere Sprache gegenüber Russland“ und von Kurz „ein Machtwort“ Richtung FPÖ.

Peter Pilz (LP) ortete ein Thema für den laufenden BVT-Untersuchungsausschuss. Es bestehe „der begründete Verdacht, dass der Eintritt der FPÖ in die Bundesregierung befreundete westliche Nachrichtendienste dazu veranlasst hat, dem BVT die Rote Karte zu zeigen“, so Pilz. Nach Angaben von SPÖ-Verdigigungssprecher Rudolf Plessl wurde Kunasek indes bereits vor den geheimen Unterausschuss für Landesverteidigung ins Parlament geladen: „Wir brauchen dringend Infos über die Konsequenzen.“

„Kein großartiger Spion“

Der Geheimdienstexperte Siegfried Beer zeigte sich im Ö1-Mittagsjournal überrascht, „dass die österreichische Regierung aus dem Spionagefall so eine große Sache macht“. Angesichts der 300.000 Euro, die für die Spionagedienste bezahlt worden seien, stellte Beer in diesem Zusammenhang deren Qualität infrage – Audio dazu in oe1.ORF.at.