Manfred Weber (Europäische Volkspartei)
APA/AFP/Markku Ulander
Juncker-Nachfolge

Der Favorit und die drei Fragezeichen

Nach seiner Kür zum Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) hat Manfred Weber allerbeste Chancen, Jean-Claude Juncker nach der Europawahl 2019 als Kommissionspräsident zu beerben. Doch selbst wenn die EVP wie vorhergesagt die meisten Stimmen holt, warten noch einige Hürden auf den Deutschen.

Das erste Fragezeichen steht hinter dem Entscheidungsfindungsprozess. 2014 war die EVP als stärkste Kraft aus der Europawahl hervorgegangen. Ihr Spitzenkandidat Juncker wurde daraufhin, getragen von Christdemokraten und Sozialdemokraten (SPE), im EU-Parlament zum Kommissionspräsidenten gewählt. Das Spitzenkandidatensystem basiert auf Bestimmungen des 2009 in Kraft getretenen EU-Vertrags von Lissabon.

Darin ist festgelegt, dass der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit – 55 Prozent der Mitgliedsländer, die zusammen auf 65 Prozent der EU-Bevölkerung kommen – den Kommissionspräsidenten vorschlagen darf. Dabei muss er das Ergebnis der EU-Wahl berücksichtigen. Das letzte Wort hat das EU-Parlament.

„Demokratische Anomalie“

Das System ist umstritten. Einer, der es ablehnt, ist Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Im September nannte einer seiner wichtigsten Berater den Prozess eine „demokratische Anomalie“. Am Freitag rückte auch die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) vom Spitzenkandidatensystem ab und kündigte an, nicht eine Person, sondern ein Team aufzustellen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel
APA/AFP/Ozan Kose
Macron und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU): An Paris und Berlin gibt es bei der Wahl des Kommissionspräsidenten kein Vorbeikommen

Gleichzeitig wurde bekanntgegeben, dass die Liberalen gemeinsam mit Macrons Bewegung La Republique en Marche in den Wahlkampf ziehen werden. Neben einem Partner, der potenziell viele Stimmen bringt, gewinnt die liberale Parteienfamilie mit der Allianz auch Einfluss im Europäischen Rat: Acht Staats- und Regierungschefinnen und -chefs aus der Europäischen Volkspartei (EVP) stehen hier sieben der ALDE gegenüber. Mit Macron würde Gleichstand herrschen.

Ein wichtiger Partner

Die Liberalen könnten sich für die EVP als wichtiger Partner bei der Kür Webers zum Kommissionschef erweisen. Umfragen sagen der EVP Verluste bei der Europawahl voraus. Noch schlimmer dürfte es die Sozialdemokraten erwischen, die nach dem EU-Austritt Großbritanniens zusätzlich die Abgeordneten der Labour-Party verlieren. Spitzenkandidat der SPE ist der Niederländer Frans Timmermans. Im Rennen um das Amt des Kommissionspräsidenten wird er wohl keine Rolle spielen.

Interessant für die SPE werde es aber „bei der Verteilung der anderen Posten, insbesondere jenem des hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik“, sagt Julian Rappold von der Brüssler Denkfabrik European Policy Centre gegenüber ORF.at. Die große Frage sei aber, wie sich die Liberalen im Spitzenkandidatenprozess verhalten.

Rechtsparteien unter einem Dach

Das zweite Fragezeichen betrifft die euroskeptischen Kräfte. Italiens Innenminister Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistischen Lega, hat die Gründung einer rechten Allianz für die Europawahl angekündigt. Interesse an einer Teilnahme bekundeten die FPÖ, die „Partei für die Freiheit“ des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders und Marine Le Pens rechtspopulistische „Nationale Versammlung“ (RN) aus Frankreich.

Der italienische Innenminister, Matteo Salvini
AP/ANSA/Massimo Percossi
Italiens Innenminister Matteo Salvini will die rechten Parteien in Europa unter einem Dach vereinen

Auch Steve Bannon, der frühere Chefstratege von US-Präsident Donald Trump, will mit Hilfe einer Stiftung namens „The Movement“ bei der Wahl mitmischen. „Eine große euroskeptische Fraktion hätte sehr viel Durchschlagskraft. Das ist das Horrorszenario für das Europäische Parlament und die Institutionen im nächsten Zyklus“, sagt Rappold.

Man könne davon ausgehen, dass der Anteil der euroskeptischen Parteien im Parlament nach der EU-Wahl wieder bei etwa 20 Prozent liegen werde. Rappold: „Die Mainstream-Parteien werden eine größere Allianz schmieden müssen, um einen Kommissionspräsidenten ins Amt zu bringen. Das wird zwar schwieriger sein, die Entscheidung an sich werden die Rechtspopulisten aber nicht beeinflussen können.“

Orban und der Brückenbau

EVP-Spitzenkandidat Weber genießt freilich das uneingeschränkte Vertrauen seiner Fraktion. Beim EVP-Kongress in Helsinki votierten fast 80 Prozent der Delegierten für den aus Bayern stammenden CSU-Politiker, der seit vier Jahren die EVP-Fraktion im Europaparlament anführt. Unter den EVP-Staats- und -Regierungsspitzen reicht die Unterstützung für Weber von Deutschlands Kanzlerin Merkel über Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bis hin zu Ungarns rechtskonservativem Regierungschef Viktor Orban.

EU-Spitzenkandidaten Manfred Weber und Alexander Stubb
APA/AFP/Lehtikuva/Heikki Saukkomaa
Weber (l.) setzte sich in Helsinki deutlich gegen seinen Herausforderer, den früheren finnischen Regierungschef Alexander Stubb (r.) durch

Weber kenne die politischen Entscheidungsprozesse in Brüssel „aus dem Effeff“, sagt EPC-Experte Rappold. „Er ist schon sehr lange im Parlament aktiv dabei und bringt als Chef der größten Fraktion gute Voraussetzungen mit, als Kommissionspräsident zu agieren.“

Das dritte Fragezeichen hat mit Webers Positionierung zu tun. Der Bayer betonte wiederholt, ein Brückenbauer sein zu wollen zwischen West- und Ost-, Nord- und Südeuropa. „Das kann in der aktuellen Polarisierung der EU vorteilhaft sein, wenn es ihm tatsächlich gelingt“, sagt Rappold. Es führe aber auch zu Diskussionen – etwa um die Haltung Webers Orban gegenüber.