regierungsnaher Soldat betätigt eine Schussfeuerwaffe von einem Pick-up-Truck aus
APTN
Jemen-Krieg

Massensterben fernab der Weltöffentlichkeit

Im Frühjahr 2015 glaubte Saudi-Arabien, eine kurze Angriffswelle würde ihre Feinde im Nachbarland Jemen schnell vernichten. Dreieinhalb Jahre später haben die Huthi-Rebellen, die als Verbündete des Erzfeindes Iran gelten, noch nicht aufgegeben. Zehntausende Zivilisten und Zivilistinnen verloren seither ihr Leben, Millionen droht der Hungertod.

Nach vier Jahren der Verheerungen steuert der Krieg im Jemen auf einen neuen Höhepunkt zu: die entscheidende Schlacht um die Hafenstadt Hudaida am Roten Meer, wo die meisten Importe und internationalen Hilfslieferungen umgeschlagen werden. Die Auseinandersetzungen begannen im Sommer, gerieten dann ins Stocken, ehe sie Anfang des Monats neu entflammten.

Unter Führung der Vereinigten Arabischen Emirate bombardieren die Koalitionskräfte seitdem die Stadt, während die Huthi-Rebellen sich in ihr verschanzen. Eine „absolut katastrophale Lage“ werde die Zerstörung des Hafens hervorrufen, warnte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres am Montag. Schon jetzt stehe der Jemen „am Rande des Abgrunds“ und erlebe die schlimmste humanitäre Krise der Welt.

Huthi-Rebell inspiziert ein durch einen Raketenangriff ausgebranntes Autowrack
APA/AFP
Der Westen ist militärisch tief in den Jemen-Krieg verwickelt

Riad findet Verbündete

Im März 2015 startete Saudi-Arabien eine gnadenlose militärische Kampagne gegen Rebellen aus den Nordprovinzen, die sich Huthis nennen und als Verbündete des Iran, des Erzfeindes Saudi-Arabiens, gelten. Die Huthis hatten einige Monate zuvor den größten Teil des Jemen samt der Hauptstadt Sanaa eingenommen, was für die saudische Führung nicht hinnehmbar war. In Riad schmiedete man eine Allianz mit neun Staaten und sicherte sich die logistische Unterstützung der USA, Frankreichs und Großbritanniens.

Saudi-Arabien glaubte, eine kurze militärische Intervention würde reichen, um die Rebellen zurückzudrängen. Eine erhebliche Fehleinschätzung – die Huthi-Streitkräfte erwiesen sich als unerwartet zäh. Kurz nach Beginn der Kampfhandlungen beschwerten sich Beamte des Pentagon über die Unbeholfenheit der saudischen Streitkräfte und das Fehlen einer klaren Kriegsstrategie. John Kerry, Außenminister unter US-Präsident Barack Obama, versuchte noch vergeblich, einen Waffenstillstand zu verhandeln, wie die „New York Times“ unlängst in Erinnerung rief.

Tod und Verwüstung

Inzwischen hat der Krieg einen Großteil des Jemen in Brachland verwandelt, nach groben Schätzungen wurden bisher zwischen 10.000 und 60.000 Menschen im Kampf getötet, deutlich mehr dürften an Hunger und Krankheiten gestorben sein. Die Huthis haben einen Großteil des einst eroberten Territoriums wieder verloren, doch ihr Kampfeswille hat sich nur noch gestärkt. Sie kontrollieren ihren Einflussbereich mit kriminellen Methoden, erpressen Geld mit Entführungen, unterdrücken jeden Widerspruch.

Mann teilt für seine Familie gesammelte, verschimmelte Brotreste auf
AP/Hani Mohammed
Unterernährung und Krankheiten wie Cholera und Diphtherie sind im Jemen trauriger Alltag

Der Aufstieg der Huthis kann als fatale Reaktion auf die Langzeittaktik Saudi-Arabiens verstanden werden, den armen Nachbarstaat möglichst instabil zu halten und ihm seine ultrakonservative Auslegung des Islam zu oktroyieren. Diese Politik könnte nun die schlimmsten Befürchtungen der Saudis wahr machen, schrieb die „New York Times“: Huthi-Offizielle hätten erklärt, Taktiken des Vietcong studiert zu haben und den Krieg bis zum Untergang des Hauses Saud führen zu wollen.

Mehr als sieben Millionen Kinder drohen nach Angaben des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF im Jemen zu verhungern, 22 Millionen Menschen – drei Viertel der Bevölkerung – benötigen dringend humanitäre Hilfe. Krankheiten grassieren, aktuell wird der schlimmste Cholera-Ausbruch der Welt aus dem Land gemeldet.

Westen schaut weg

Warum im Westen so wenig von der größten humanitären Katastrophe der Gegenwart die Rede ist, beantwortete Susanne Krüger, Geschäftsführerin der Hilfsorganisation Save the Children, im Interview mit N-tv.de so: „In Europa sprechen wir nicht so sehr darüber, weil wir keine Flüchtlingsströme aus dem Jemen sehen. Die Menschen dort sind eingekreist. Sie können nicht weg. Im Süden ist das Meer; da kann man nicht so einfach übersetzen. Und im Norden liegen Saudi-Arabien und der Oman, die ihre Grenzen geschlossen halten. Wenn es also keine Flüchtlinge gibt und wenn wir keinen Druck erleben, etwas zu tun, dann wird so ein Konflikt schnell vergessen.“

Weinendes Mädchen in einem Spital in Sanaa
AP/Hani Mohammed
Mehr als sieben Millionen Kinder drohen im Jemen zu verhungern

Die deutsche „Zeit“ führte unlängst noch andere Argumente ins Treffen: Saudi-Arabien und seine Verbündeten hätten viel dafür getan, den Krieg von den Blicken der Welt fernzuhalten – und der Westen habe gerne auf die Bilder verzichtet. Die Verdrängung falle leichter, wenn die Krise ohne Gesicht bleibe.

Leere Versprechungen

Nach dem brutalen Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul herrschte kurz Hoffnung, der Westen könnte den Druck auf den Verbündeten Saudi-Arabien erhöhen. „Es ist Zeit für ein Ende der Kampfhandlungen“, forderte dann auch US-Außenminister Mike Pompeo Anfang November. Am Wochenende wurde bekannt, dass Saudi-Arabien künftig auf US-Hilfe bei der Betankung ihrer Flugzeuge im Jemen-Krieg verzichten will – angeblich folgte der Schritt auf Betreiben Washingtons.

Militärexperten halten den Tankstopp freilich für „nicht ausreichend“, um Saudi-Arabien unter Druck zu setzen. Auch die Verschiebung des zunächst für Mitte November geplanten Waffenstillstandes auf Ende des Jahres zeige, dass Washington seinen Verbündeten im Jemen noch immer freie Hand lässt. In diesem Krieg wird es keine Gewinner geben – und der Westen wird erklären müssen, warum er jahrelang die Augen vor einer historischen Katastrophe verschlossen hielt.