Brexit-Gegner mit Fahnen vor Houses of Parliament in London
APA/AFP/Tolga Akmen
Trotz „Brexit“-Einigung

Deal weiterhin vor großen Hürden

Der Regierung in London zufolge haben sich die „Brexit“-Unterhändler auf ein EU-Austrittsabkommen für Großbritannien geeinigt – doch noch ist der Deal nicht fixiert. Hürden gibt es vom britischen Kabinett bis hin zum Parlament in London sowie zum EU-Parlament in Straßburg noch einige.

Bereits vor einem Monat war ein erster Entwurf des Vertrags vorgelegen, der Abschluss schien in Reichweite. Doch die Regierung der britischen Premierministerin Theresa May lehnte diesen ab. Seitdem wurde wieder intensiv verhandelt. In einem ersten Schritt muss May bis Mittwochnachmittag ihr Kabinett überzeugen. Deswegen lud sie ihre Minister bereits am Dienstagabend zu Einzelgesprächen in den Regierungssitz ein, um ihnen Einblick in das mehrere hundert Seiten umfassende Entwurfsdokument zu geben.

Wesentlich schwieriger wird es für sie allerdings, die Unterstützung im Parlament zu bekommen. Dort drohen Abgeordnete der nordirischen DUP und Mitglieder der Torys damit, den Deal durchfallen zu lassen, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Scharfe Kritik an dem Entwurf gab es am Dienstag etwa von Ex-Außenminister Boris Johnson und dem einflussreichen Tory-Parlamentarier Jacob Rees-Mogg. Sie warfen May in Interviews vor, sich Brüssel unterworfen zu haben. Die beiden „Brexit“-Hardliner gelten als schärfste Widersacher Mays und werden im Parlament aller Voraussicht nach gegen den Entwurf stimmen.

DUP-Abgeordnete lehnen Übereinkunft ab

Ihre Ablehnung machten am Mittwoch auch Abgeordnete der DUP deutlich. „Wir werden nicht für diese Demütigung stimmen“, schrieb DUP-Mandatar Sammy Wilson auf Twitter. Auch DUP-Vizechef Nigel Dodds zweifelte an, dass May ihre Kritiker mit dem Entwurf ruhigstellen kann. Sie werde aber zunächst den Text der Übereinkunft studieren, bevor sie eine Entscheidung treffe, sagte Dodds am Dienstagabend weiter. DUP-Chefin Arlene Foster warnte May indes, dass ihre Partei gegen den Vertrag stimmen könnte, sollte dieser die Union Großbritanniens und Nordirlands untergraben.

Insidern zufolge soll Großbritannien zusammen mit Nordirland vorübergehend in einer Zollunion mit der EU bleiben – und Nordirland auf dem EU-Binnenmarkt. Das bedeutet, dass etwa eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland vermieden würde – ein Punkt, den eigentlich auch die DUP fordert. Die Partei lehnt eine Zollgrenze zwischen Irland und Nordirland ab.

Opposition will Vertrag vor Votum ändern dürfen

Die wichtigsten britischen Oppositionsparteien forderten am Dienstag zudem ein Recht auf Vertragsänderung. Labour-Chef Jeremy Corbyn verlangte in einem gemeinsamen Brief mit den Chefs der schottischen Nationalpartei und der Liberaldemokraten, dass vor der Abstimmung Modifizierungen der Einigung zugelassen werden sollten. Nur so sei es ein aussagekräftiges Votum. Die Regierung in London hat dagegen erklärt, dass es vor einem Votum keine Änderungsmöglichkeiten geben soll. Die Oppositionsführer bezeichneten das als Versuch, das Parlament „mundtot zu machen“.

Verhaltene Reaktionen aus Brüssel

Aus Brüssel gab es bisher nur verhaltene Reaktionen. Am Mittwoch um 15.00 Uhr würden die EU-Botschafterinnen und –Botschafter der verbleibenden 27 EU-Länder über den derzeitigen Stand der „Brexit“-Verhandlungen informiert, hieß es aus Ratskreisen gegenüber ORF.at. „Die Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich über ein Austrittsabkommen laufen noch und sind nicht abgeschlossen“, teilte ein Sprecher des irischen Außenministers Simon Coveney mit. Auch die irische Regierung hat aufgrund der aktuellen Ereignisse für Mittwochvormittag ein Treffen in Dublin anberaumt.

Blümel über die „Brexit“-Entwicklungen

Aus Brüssel gibt es bisher keine Bestätigung über die „Brexit“-Einigung. EU-Minister Gernot Blümel geht auf die Frage ein, welche Konsequenzen es hat, wenn Theresa May für den Deal keine Mehrheit bekommt.

In der ZIB2 hielt Europaminister Gernot Blümel (ÖVP) fest, es sei wichtig, dass es einen geordneten Austritte gebe und „keinen harten ‚Brexit‘“. An einem solchen könne niemand Interesse haben. Für Großbritannien wäre er aber „noch schlimmer“ als für die EU. „Großbritannien tut gut daran, auf einen klaren Vertrag zu drängen.“ Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, bestätigte den Durchbruch bei den „Brexit“-Verhandlungen. „Ja, der weiße Rauch steigt auf. Wir haben positive Signale, dass es nach Wochen und Monaten der quälenden Debatten jetzt endlich zu einer Einigung kommt“, sagte er am Dienstagabend in den ARD-„Tagesthemen“.

Sondergipfel im November?

Eine Einigung muss spätestens im Dezember stehen, um die Ratifizierung durch die Parlamente auf beiden Seiten rechtzeitig vor dem „Brexit“-Datum zu ermöglichen. Ein für November geplanter EU-Sondergipfel zum Abschluss der Verhandlungen wurde deshalb bis auf Weiteres verschoben. Sollte die angekündigte Einigung im Parlament in Westminster keine Mehrheit finden oder auch vom EU-Parlament abgelehnt werden, droht ein Austritt ohne Abkommen – mit chaotischen Folgen für alle Lebensbereiche. Auch eine Neuwahl oder ein zweites „Brexit“-Referendum werden in diesem Szenario nicht ausgeschlossen.

Einigung auf Entwurf für „Brexit“-Abkommen

London verkündete eine Einigung zwischen Großbritannien und der EU. Nun muss die britische Premierministerin Theresa May ihre eigene Regierungsmannschaft und die Abgeordneten im Unterhaus überzeugen.

Der britische Vizeregierungschef David Lidington sagte dem Sender BBC am Dienstag, dass eine Einigung bis Mittwochabend „noch möglich, aber nicht sicher“ sei. Bis dahin müsste nach Angaben britischer Vertreter das Abkommen stehen, damit Brüssel noch einen Sondergipfel für diesen Monat einberufen könnte. Ansonsten werde der Abschluss bis Mitte Dezember verzögert. May bliebe dann nur wenig Zeit, um die Vereinbarung bis zum 29. März durchs Unterhaus zu bekommen.

EU erhöhte mit Notfallplan Druck

Zuvor hatte Brüssel London mit einem veröffentlichten „Brexit“-Notfallplan weiter unter Druck gesetzt. Dieser enthielt eine Reihe an Maßnahmen – mitunter zu Visafragen, dem Luftverkehr und Zöllen –, sollten die Verhandlungen mit Großbritannien scheitern. Finanzdienstleistungen, Hygiene- und Pflanzenvorschriften, die Übermittlung personenbezogener Daten und die Klimapolitik nannte die EU-Kommission als weitere Gebiete im Notfallplan.

„Wir arbeiten sehr hart daran, eine Vereinbarung mit dem Vereinigten Königreich zu erzielen“, sagte Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans in Straßburg. „Wir machen Fortschritte, aber wir sind noch nicht am Ziel.“ Es sei die Pflicht der EU, sich „auf alle Ergebnisse“ der „Brexit“-Verhandlungen vorzubereiten.