Gerichtszeichnung des Prozesses um „El Chapo“
AP/Elizabeth Williams
„El Chapo“ vor Gericht

Prozess beginnt mit Aufregung

Fast zwei Jahre hat Joaquin „El Chapo“ Guzman im Hochsicherheitsgefängnis in New York darauf gewartet, jetzt ist der Prozess gegen den mexikanischen Drogenboss und mehrfachen Gefängnisausbrecher gestartet. Die Staatsanwaltschaft warf ihm in ihrer Eröffnungsrede einen „blutigen Krieg“ vor. Die Verteidigung zeichnete ein gänzlich anderes Bild – und sorgte auch in Mexiko für Aufregung.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hielt Guzman über Jahrzehnte und unter dem Einsatz heftiger Gewalt ein „riesiges Drogenschmuggelimperium“ am Laufen. Hunderte Menschen seien in dieses Kartell verwickelt gewesen, aber „El Chapo“ sei ein Chef gewesen, der die Dinge auch selbst in die Hand genommen habe, sagte Staatsanwalt Adam Fels am Dienstag (Ortszeit) vor Gericht in New York. Er hielt das Eröffnungsplädoyer zum Auftakt des Mammutprozesses gegen den einst mächtigsten Drogenboss der Welt.

Wenn „El Chapo“ jemanden loswerden wollte, habe er Auftragskiller gebeten oder selbst geschossen, sagte Staatsanwalt Fels weiter. Die US-Regierung habe so viel Kokain von Guzmans Imperium beschlagnahmt, dass sie theoretisch jedem US-Bürger – mehr als 300 Millionen Menschen – eine Prise abgeben könnte.

Verteidigung setzt auf Gegenangriff

Die Verteidigung wies die Vorwürfe zurück. Guzman werde als der größte Drogenhändler der Weltgeschichte dargestellt, aber das sei „nicht wahr“, sagte Anwalt Jeffrey Lichtman. Sein Klient habe das Scheinwerferlicht genossen, in Wirklichkeit aber „gar nichts kontrolliert“. Der eigentliche Boss des Kartells sei Guzmans früherer Partner Ismael „El Mayo“ Zambada gewesen.

Gerichtszeichnung des Prozesses um „El Chapo“
AP/Elizabeth Williams
Staatsanwalt Fels warf Guzman vor, einen „blutigen Krieg“ geführt zu haben

Zambada habe auch den früheren und dem derzeitigen Präsidenten Mexikos Schmiergeld in Millionenhöhe bezahlt, damit sich diese nicht in die Geschäfte des Kartells einmischten. „Mayo kann dafür sorgen, dass Menschen verhaftet werden und dass die mexikanische Armee und Polizei töten, wen er will.“ Sein Mandant Guzman dagegen sei lediglich der „Sündenbock“, sagte Lichtman weiter. „Warum braucht die mexikanische Regierung einen Sündenbock? Weil sie zu viel Geld bekommt, indem sie von den Chefs der Drogenkartelle bestochen wird.“

Mexikos Präsident Enrique Pena Nieto wies die Vorwürfe umgehend zurück. Die Regierung von Pena Nieto „hat den Kriminellen Joaquin Guzman verfolgt, gefasst und ausgeliefert. Die Behauptungen seines Anwalts sind komplett falsch und diffamierend“, schrieb der mexikanische Regierungssprecher Eduardo Sanchez auf Twitter. Auch Mexikos Ex-Präsident Felipe Calderon wies die Anschuldigungen zurück. „Weder er noch das Sinaloa-Kartell noch irgendjemand anderes hat Zahlungen an mich geleistet“, schrieb er auf Twitter.

Großer Andrang und verängstigte Geschworene

Der Prozess hatte am Dienstag unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen im New Yorker Stadtteil Brooklyn begonnen. Bei strömendem Regen hatten sich schon sehr früh Dutzende Reporter und Schaulustige vor dem Gericht angestellt, um einen Platz im Saal zu bekommen. Die Eröffnungsplädoyers hatten sich zunächst verzögert, weil zwei der in der vergangenen Woche ausgewählten zwölf Jurymitglieder ausgetauscht werden mussten.

Eine Frau hatte in einem Brief an den Richter geschrieben, sie sei zu nervös, um an dem Prozess teilzunehmen. Die „New York Post“ schrieb von einer „ängstlichen und aufgewühlten“ Geschworenen, die sich per Attest bestätigen habe lassen, dass sie nicht an dem Prozess teilnehmen könne. Ein anderes Jurymitglied hatte angegeben, es arbeite selbstständig, und der Verdienstausfall während der Prozesszeit sei zu hoch. Die Jurymitglieder sollen auf Anordnung des Richters zu ihrer eigenen Sicherheit anonym bleiben.

Lange Liste der Anklage

Guzman verfolgte den Prozessauftakt mit spanischer Simultanübersetzung im Ohr und stoischem Gesichtsausdruck von der Anklagebank aus, gekleidet in einen dunkelblauen Anzug. Seine Ehefrau, die frühere Schönheitskönigin Emma Coronel, war ebenfalls in den Gerichtssaal gekommen. Richter Brian Cogan hatte Guzman zuvor untersagt, sie zu umarmen.

Die Frau des Angeklagten
Reuters/Mike Segar
Guzmans Frau war beim Prozessstart ebenfalls im Gerichtssaal

Die US-Justiz wirft dem wegen seiner Körpergröße von etwas mehr als 1,60 Metern „El Chapo“ (der Kurze) genannten Guzman unter anderem Drogenhandel, Geldwäsche und das Führen einer kriminellen Organisation – des mexikanischen Drogenkartells Sinaloa – vor. Er soll tonnenweise Kokain und Heroin in die USA geschmuggelt und damit Milliarden verdient haben. Zudem soll er für bis zu 3.000 Morde verantwortlich sein.

Todesstrafe ausgeschlossen

Bis zu einem Urteil kann es nach Einschätzung von Richter Cogan noch mehrere Monate dauern. Bei einer Verurteilung droht Guzman eine lebenslange Haftstrafe. Die Todesstrafe ist gemäß einer Einigung zwischen Mexiko und den USA ausgeschlossen.

Seit seiner Auslieferung an die USA im Jänner 2017 sitzt Guzman in einem Hochsicherheitsgefängnis in Manhattan. In Mexiko waren dem Drogenboss zuvor mehrfach spektakuläre Gefängnisausbrüche gelungen. Das Gericht in Brooklyn gilt als Institution im Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Der Drogenkrieg in Mexiko tobt allerdings auch ohne „El Chapo“ weiter.