Ein Duden aus 1934
ORF.at/Dominique Hammer
Säkerhetständstickor

Wenn der Duden Wörter killt

Jedes Jahr berichten Medien darüber, welche neuen Modewörter der Duden aufgenommen und solchermaßen in den Ritterstand des Standarddeutschen erhoben hat. Mindestens genauso spannend ist es jedoch, sich anzuschauen, welche Wörter jedes Jahr verschwinden; der Duden, ein Spiegelbild der Zeitläufte. Und was ist ein Säkerhetständstickor?

Die Kulturgeschichte des Menschen ist eine Geschichte des Vergessens und Vergessenwerdens. Doch oft sagt das Vergessene – also das Verdrängte – mehr aus über eine Gesellschaft als das Erinnerte. Eine stille Geschichte des Vergessens schreibt in diesem Sinn der Duden mit jeder neuen Auflage. 27-mal wurde die Bibel der Germanisten seit 1880 neu aufgelegt, zuletzt 2017.

Wörter, die in der jüngsten Ausgabe dazugekommen sind: facebooken, Snapchat, Twitter, WhatsApp, Emoji – das Alltagsvokabular für eine vernetzte Dienstleistungsgesellschaft, die ihre Aufmerksamkeit gerne dem Virtuellen widmet, während vieles aus der analogen Welt verschwindet, etwa gesamte Berufsgruppen samt ihren eigentümlich anmutenden Fachbegriffen. Aber auch der postmoderne Wandel, weg von individuellen Heldenerzählungen und klar unterscheidbaren, monolithischen Ideologien, spiegelt sich in den verschwundenen Worten wider.

Das Cover des Buchs „Was nicht mehr im Duden steht“
Duden; ORF.at/Dominique Hammer

Peter Graf: Was nicht mehr im Duden steht. Eine Sprach- und Kulturgeschichte. Duden, 223 Seiten, 15,50 Euro.

„Taxigirl“ oder „Tanzgirls“?

Ein gutes Beispiel dafür sind die alten Unterteilungen zwischen Mann und Frau im Sinne von Heldin und Muse, zwischen Begehrendem und Sexualobjekt. Peter Graf hat sich dieses und andere Phänomene für den Duden Verlag angeschaut und darüber Essays geschrieben, die im Band „Was nicht mehr im Duden steht“ zusammengefasst wurden. Verschwunden sind zum Beispiel die „Girls“ aus dem deutschen Sprachgebrauch.

Wer würde heute noch von einem „Tanzgirl“ (gestrichen 1934) oder einem „Taxigirl“ (gestrichen 1967) sprechen? Tanzgirls waren Revuetänzerinnen. Das war nicht abwertend – immerhin verfügten die Tanzgirls über atemberaubende akrobatische Fähigkeiten. Sie durften nur nicht ihren Ruf schädigen, indem sie sich als „Taxigirls“ betätigten. Denn die tanzten frivol für einzelne Kunden von Etablissements – und ließen sich gegen Bares auch im Taxi mit nach Hause nehmen.

Das Unwesen der „Kodaker“

Unanständiges war damals wie heute allgegenwärtig, damals jedoch gab es noch gestandene Sittenwächter, die sich im Kampf für die Moral aufrieben – die Nudidätenschnüffler (gestrichen 1934). Pornobildchen verbreiteten sich schließlich rasch, seit die „Kodaker“ (gestrichen 1928) ihr Unwesen trieben. So wurden Amateur-, aber auch Profifotografen bezeichnet, die ab den 1880er Jahren eine der ersten kompakten Kodak-Kameras mit Rollfilm verwendeten, die jederzeit und überall rasch einsetzbar waren.

Ähnlich wie heute das Verschwinden der Privatsphäre durch Instagram und Facebook beklagt wird, weil jede und jeder allerorten Selfies macht und ins Netz stellt, kritisierte man damals die „Kodaker“. Graf hat ein schönes Zitat von Otto von Bismarck aus den 1890er Jahren über die ersten Paparazzi ausgegraben: „Man ist jetzt gar nicht mehr sicher, die Kerle lauern einem überall auf mit ihren Knipsapparaten. Man weiß nie, ob man fotografiert oder erschossen wird.“

Nichts für „Zärtlinge“

Das ist nichts für „Zärtlinge“ (gestrichen 1967), die synonym stehen für Jämmerlinge, Feiglinge, Hampelmänner, Schlappschwänze und Jammerlappen, die sich alle weiterhin im Duden finden, obwohl sich Männer heute in der Regel nicht mehr ganz so machoid-männlich geben müssen wie früher, um akzeptiert zu werden. Aber schließlich ist der Duden keine moralische Fingerzeige-Instanz, sondern ein Wörterbuch.

Trüffelschwein des Schönen und Skurrilen

Graf erweist sich in seinem Buch gemeinsam mit dem Duden-Team ganz einfach als Trüffelschwein skurriler Wörter. So ist ein Säkerhetständstickor etwa ein Sicherheitszündholz (gestrichen 1929) und ein Runabout (gestrichen ebenfalls 1929) eine einspännige Kutsche für zwei Personen.

Nicht nur das Skurille, auch das Schöne treibt Graf um. Er muss sich da nicht näher erklären, wenn er die schönsten verschwundenen Wörter aufzählt, die er im Zuge seiner umfangreichen Recherchen gefunden hat – Schönheit ist eben relativ: „einpaschen“, „beleibzüchtigen“, „Nirgendland“, „e-Moll-Arie“ und „verschimpfieren“ gehören zu Grafs Favoriten. Pardauz, da verlustiert sich jemand trefflich am Deutschen!