Leyla Hussein mit anderen Frauen
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„#Female Pleasure“

Die weibliche Gefahr

Triebhafte Verführerin oder keuscher Ursprung des Lebens: Zwischen diesen beiden Extremen changiert das tradierte Frauenbild der Weltreligionen. Freiheit und Selbstbestimmung haben damit wenig zu tun. Dem stellt sich nun ein Dokumentarfilm aus der Schweiz entgegen: „#Female Pleasure“.

Nach Dokumentarfilmen über die Schönheit der Klitoris, über Redefreiheit für Bloggerinnen und über die Pornoindustrie samt ihren jungen Konsumenten hat sich die Schweizer Regisseurin Barbara Miller nun der Wurzel zugewandt: „#Female Pleasure“ porträtiert fünf moderne Frauen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und Weltreligionen, die sich allesamt in die Freiheit aufgemacht haben – und dabei andere mitnehmen.

Eine von ihnen ist Deborah Feldman, aufgewachsen in einer chassidischen Gemeinde in Brooklyn, die mit 17 in eine arrangierte Ehe gedrängt wurde, mit 18 ihren Sohn geboren hat und der es gelungen ist, sich aus jener Gemeinde zu lösen, die sie ihr Leben lang als Gefängnis empfunden hat. Feldman hat ihren Weg in die Selbstbestimmtheit in dem Buch „Unorthodox“ aufgeschrieben. In „#Female Pleasure“ berichtet sie unter anderem über die Erfahrung, als unaufgeklärtes junges Mädchen zum Sex mit einem fremden Ehemann gezwungen zu werden.

Sexuelle Gewalt, durch Religion gerechtfertigt

Die muslimische Aktivistin Leyla Hussein lebt in London und arbeitet in verschiedenen afrikanischen Ländern, unter anderem in Kenia. Sie ist eine laute, aktive Kämpferin gegen Genitalverstümmelung, die sie keinesfalls „kulturelle Praxis“ nennen will: „Das ist schlicht sexuelle Gewalt an Kindern“ – und das Schlimmste sei, dass diese Gewalt durch allernächste Familienmitglieder ausgeübt werde.

„Argumentiert wird dieser Akt damit, dass Frauen dadurch von der Geisel ihrer Lust befreit würden“, erläutert Miller. Hussein betonte bei einem Gespräch nach der Premiere in Wien allerdings, dass Verstümmelung weltweit vor allem an muslimischen Kindern vollzogen wird, auch in Europa. Im Koran stehe davon allerdings nichts: „Ich bin nach wie vor eine gläubige Frau. Aber ich lasse mir meinen Glauben und wie ich ihn zu leben habe, nicht mehr von frauenhassenden Männern vorschreiben.“

Doris Wagner
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Doris Wagner war katholische Ordensfrau, als sie von einem Glaubensbruder vergewaltigt wurde

In der Lustfeindlichkeit sind sich alle einig

„Was die Unterdrückung weiblicher Lust betrifft, sind sich alle Weltreligionen einig“, sagt Miller: „Das hat mich bei meinen Recherchen offen gestanden ziemlich deprimiert.“ Ihre Gesprächspartnerinnen bestätigen das, ebenso wie die drastischen Zitate, die Miller in heiligen Texten der verschiedenen Religionen gefunden hat.

Ob sie mit der japanischen Künstlerin Rokudenashiko spricht, die aus Abdrücken ihrer Vulva Plastiken herstellt und dafür wegen „Obszönität“ angeklagt ist (und das in einem Land, das ein Fruchtbarkeitsfest mit gigantischen Penisskulpturen feiert), oder mit der indischen Aktivistin Vithika Yadav, die Erste in ihrer Familie, die aus Liebe geheiratet hat, was in den Augen hinduistischer Gurus westliche Mode sei: Die im Film berichteten Erfahrungen sind radikal unterschiedlich, doch alle eint, dass die männliche Angst vor selbstbestimmter weiblicher Sexualität und Lust offenbar überall auf der Welt groß ist.

Plakat von Female Plesure
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„Für den Papst beten“

Das gilt auch für den Katholizismus. Doris Wagner war katholische Ordensfrau, als sie von einem Glaubensbruder vergewaltigt wurde. „Als ich meiner Vorgesetzten davon erzählt habe, hat sie zuerst erschrocken geschwiegen. Und dann gesagt: ‚Ich vergebe dir’“, berichtet Wagner im Film vom doppelten Missbrauch: ihres Körpers, und ihres Vertrauens. Mehrere Briefe in der Sache an Papst Franziskus blieben übrigens unbeantwortet, erst vor Kurzem kam eine knappe Botschaft, sie möge „für den Papst beten“, so Miller.

„#Female Pleasure“ ist ein aufwühlender Film, dem diese spezifischen Erlebnisse ins Nachvollziehbare, Selbsterlebte zu übertragen gelingt: Jede Zuschauerin, jeder Zuschauer kennt Situationen, die sich genau aus diesen Ideologien und religiösen Überzeugungen ergeben haben, ob das die Zurschaustellung weiblicher Körper in der Werbung ist oder das Verstecken von Frauen hinter Schleiern und Perücken.

Was gewinnen Männer dadurch, dass sie weibliche Lustfähigkeit unterdrücken? Das kann Millers Dokumentarfilm nicht beantworten, doch er liefert positive, teils auch sehr unterhaltsame Strategien, um dagegen anzukämpfen – für solidarische Männer, für Frauen, für alle. Die fünf Frauen aus „#Female Pleasure“ haben sich inzwischen längst in einer WhatsApp-Gruppe vernetzt, unterstützen einander und sind zu Freundinnen geworden.