Britische Premierministerin May
AP/Matt Dunham
Nach Rücktritten

May will „Brexit“-Deal „durchziehen“

Die britische Premierministerin Theresa May hat sich im Ringen um ihren „Brexit“-Kurs kämpferisch gegeben. Sie glaube „mit jeder Faser meines Seins“ daran, dass ihr Kurs der richtige sei, sagte May am Donnerstagabend. „Werde ich das durchziehen? Ja“, schloss sie ein zweites Referendum ebenso aus wie einen Rücktritt. Zuvor hatten mehrere Minister aus Protest gegen den Deal ihren Rücktritt erklärt.

May warnte vor „großer Unsicherheit“, wenn ihr Plan scheitern sollte. „Dieser Deal bringt das, wofür die Menschen gestimmt haben, und er ist im nationalen Interesse“, sagte sie. Sie bedauere, dass mehrere Minister ihren Rücktritt erklärt hätten. Sie verstehe auch jene, die unzufrieden mit den Kompromissen seien. Sie teile auch die Bedenken in Bezug auf den „Backstop“ für Nordirland. Ohne diesen könne es aber keinen Deal geben, sagte sie.

„Führungsstärke besteht darin, die richtigen Entscheidungen zu treffen, nicht die einfachen“, richtete sie ihren Kritikern aus. „Dieser Deal bringt das, wofür die Menschen gestimmt haben, und er ist im nationalen Interesse“, sagte sie. Mehrmals verwies sie darauf, dass die am Dienstagabend geschlossene Vereinbarung Jobs im Vereinigten Königreich sichere und zugleich die Personenfreizügigkeit mit der EU beende.

May erteilt zweitem Referendum Abfuhr

Angesichts der ausweglos scheinenden Ausgangslage im Unterhaus, wo sich eine deutliche Mehrheit gegen den Deal abzeichnet, richtete May einen Appell an die Abgeordneten, sich darauf zu besinnen, wofür die Menschen beim Referendum im Juni 2016 gestimmt hätten. Das Abkommen setze das Austrittsvotum um und sei der „beste Deal“, der zu erzielen gewesen wäre.

Entsprechend schloss May ein zweites „Brexit“-Referendum neuerlich aus. „Wir werden die Europäische Union verlassen, und zwar am 29. März 2019“, sagte sie. Ausweichend äußerte sie sich auf die Frage, ob Michael Gove der neue „Brexit“-Minister werden solle. „Ich habe noch keinen ‚Brexit‘-Minister ernannt“, sagte sie. Gove mache als Umweltminister einen „ausgezeichneten Job“. Zur Frage nach einem möglichen Misstrauensvotum von „Brexit“-Rebellen gegen sie sagte sie, dass sie sich auf ihren Job als Premierministerin konzentriere.

Gegner sammeln für Misstrauensvotum

Der EU-kritische Tory Jacob Rees-Mogg preschte bereits mit einem entsprechenden Antrag vor, weitere sollen folgen. Rees-Mogg, einer der größten Widersacher Mays und Vorsitzender der EU-kritischen European Research Group (ERG), hatte umgehend nach der Einigung am Mittwoch erklärt, dass er dem „ziemlich miesen Abkommen“ nicht zustimmen könne.

In einer Erklärung nach einer Sitzung der ERG sagte er vor Journalisten, der nächste Regierungschef müsse jemand sein, der an einen „Brexit“ glaube. Er selbst sehe sich nicht als Nachfolger, stattdessen nannte er unter anderem den früheren Außenminister Boris Johnson und den früheren „Brexit“-Minister David Davis.

Nach den britischen Parlamentsregeln wird eine Abstimmung dann ausgelöst, wenn mehr als 15 Prozent der Abgeordneten oder 48 Parlamentarier ein Misstrauensvotum beim zuständigen Komitee fordern. Britische Medien spekulieren, dass die nötige Zahl schon bald erreicht werden könnte. Rees-Mogg selbst sagte, dass er auch damit leben könnte, wenn es ein paar Wochen dauern würde. Der Deal mit der EU entspreche auf jeden Fall nicht den vereinbarten Vorgaben, so Rees-Mogg weiter. Die britische Regierung solle der EU besser erklären, dass Großbritannien die EU ohne Deal verlassen werde.

Erfolg für Misstrauensantrag fraglich

Ob ein Misstrauensantrag gegen May Erfolg haben könnte, ist derzeit fraglich. Laut „Guardian“ müssten 158 Tory-Abgeordnete gegen May stimmen, zudem zeichnet sich aktuell kein Kandidat ab, der die zerstrittene Tory-Fraktion hinter sich vereinen könnte. Rees-Mogg steht einer Gruppe von rund 80 „Brexit“-Hardlinern in der Fraktion vor. Wie ihr Sprecher sagte, will sich May gegen ein Misstrauensvotum wehren. Sie gehe weiterhin davon aus, dass sie das Land zum Zeitpunkt des „Brexits“ im März 2019 führt. Eine Misstrauensabstimmung kann nur einmal pro Jahr stattfinden. Sollte May als Siegerin hervorgehen, wäre ihre Position zunächst gefestigt.

Primosch: „May zeigt sich kämpferisch“

ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch analysiert die Rede der britischen Premierministerin Theresa May in London.

Rücktritte erschüttern London

Zuvor hatte eine Reihe von Rücktritten die britische Regierung erschüttert. Einen Tag nach der Zustimmung des britischen Kabinetts zum „Brexit“-Entwurf traten neben „Brexit“-Minister Dominic Raab auch Arbeitsministerin Esther McVey, „Brexit“-Staatssekretärin Suella Braverman und Nordirland-Staatssekretär Shailesh Vara zurück. Am Nachmittag erklärte der Vizechef der Torys, Rehman Chishti, seinen Rücktritt vom Amt.

Raab sagte, der von May vorgelegte EU-Ausstiegsvertrag und insbesondere die Vorschläge zu Nordirland bedrohten die Integrität des Vereinigten Königreichs. Zudem könne er die Bedingungen des Abkommens nicht mit den Versprechen in Einklang bringen, die dem Land gemacht worden seien. Raab forderte May zum Kurswechsel auf. Das nun vorliegende Abkommen würde dazu führen, dass das Vereinigte Königreich auf unbestimmte Zeit an die EU-Regeln gebunden bliebe. May solle aber den Posten als Premierministerin behalten.

Der Deal entspreche nicht dem „Brexit“-Votum der britischen Bürgerinnen und Bürger, so auch McVey in ihrem Rücktrittsschreiben. Das Abkommen stelle nicht sicher, dass Großbritannien eine unabhängige Nation werde, welche die „Fesseln der EU“ abwerfen könne, sagte Vara. Der Tory-Politiker nannte Großbritannien eine „stolze Nation“, die nicht darauf reduziert werden sollte, den Regeln anderer Länder zu gehorchen. „Die Menschen in Großbritannien verdienen Besseres“, so Vara auf Twitter.

„Brexit“-Sondergipfel am 25. November

EU-Ratspräsident Donald Tusk kündigte unterdessen in Brüssel an, der „Brexit“-Sondergipfel sollte das Abkommen am Sonntag, 25. November, finalisieren, „wenn nichts Außerordentliches passiert“. Der Gipfel werde um 9.30 Uhr starten. Bis Dienstag wolle die EU-Kommission auch die politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien fertigstellen, sagte Tusk. Die EU-Staaten sollen den Text bis nächsten Donnerstag prüfen.

Der Ratsvorsitzende und EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) berief für den 19. November einen EU-Ministerrat zum „Brexit“ ein: „Die zuständigen Minister beraten über das Austrittsabkommen und über die politische Erklärung zum zukünftigen Verhältnis und bereiten den ‚Brexit‘-Sondergipfel, der am 25. November stattfindet, vor“, so das Büro des Kanzleramtsministers.

„Fisch ist ein echtes Problem“

Unterdessen zeigten sich mehrere EU-Länder mit dem Entwurf unzufrieden, berichtet AFP. Länder wie Frankreich, die Niederlande, Belgien, Irland und Spanien könnten noch Änderungen bei der Frage der künftigen Fischereirechte in britischen Gewässern fordern, hieß es aus EU-Kreisen am Donnerstag. Die Staaten sind der Ansicht, dass die Frage bereits im Austrittsabkommen geklärt werden muss und nicht erst in einem späteren Abkommen über die künftigen Beziehungen zu Großbritannien.

Mit dem EU-Austritt und dem Ende der bis 2020 laufenden Übergangsphase bekomme Großbritannien wieder volle Verfügungsgewalt über seine Fischfanggründe, hieß es aus EU-Kreisen. Damit Fangboote aus anderen EU-Ländern dann dort noch fischen dürften, sei ein eigenes Abkommen nötig. Für die EU-Kommission gehört die Frage in den Bereich der künftigen Beziehungen. Mehrere Diplomaten verwiesen aber auf massiven Druck der Fischerei-Lobby, die Frage schnell zu lösen. „Man weiß, wie lautstark die sein können“, sagte ein Diplomat. „Fisch ist für viele ein echtes Problem.“ Der Deal werde aber nicht am Fisch scheitern, hieß es weiter.