Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/BKA/Dragan Tatic
Abschiebung

Zwist zwischen Kurz und Vorarlberg

Seinen Besuch in Vorarlberg hat sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wohl etwas anders vorgestellt. Nachdem sich mehrere Bürgerinnen und Bürgern wegen einer umstrittenen Asylentscheidung dem ÖVP-Politiker am Donnerstag in den Weg gestellt und Antworten verlangt hatten, kritisierte er in einem Interview die Vorarlberger scharf.

Gegenüber den „Vorarlberger Nachrichten“ („VN“) sagte der Kanzler, dass die Vorarlberger dafür verantwortlich seien, dass eine schwangere Mutter von Vater und Kind getrennt worden sei. Der Vorfall, der Ende Oktober vom „Standard“ veröffentlicht worden war, hatte überregional Schlagzeilen gemacht. Als das bestens integrierte Paar mit Kind im Morgengrauen zur Abschiebung abgeholt werden sollte, kollabierte die schwangere Ehefrau aufgrund der Stresssituation und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Ungeachtet dessen wurden ihr Mann und der dreijährige Sohn von den Behörden nach Wien gebracht. Letztlich entschloss sich das Innenministerium jedoch, keine getrennte Abschiebung durchzuführen. Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) forderte angesichts der Causa, dass die Länder beim humanitären Bleiberecht wieder Mitsprache erhalten, was die Regierung umgehend ablehnte.

Kritiker stellen sich Kurz entgegen

Dieser Vorfall in Sulzberg überschattete am Donnerstag auch einen Auftritt von Kurz bei einer Diskussionsveranstaltung in Bregenz. Dort sprachen ihn zunächst ein ehemaliger ÖVP-Kandidat, später eine freiheitliche und eine grüne Politikerin kritisch auf die Causa an. Als Kurz wenig später nach seinem Statement zu seinem nächsten Termin aufbrechen wollte, empörten sich mehrere Besucher lautstark – und forderten vom Bundeskanzler einen Dialog. „Wir gehen lieber auf die Straße demonstrieren, wenn Sie hier nicht reden wollen“, rief einer der Zuhörer Kurz zornig entgegen.

Der Bundeskanzler schnappte sich ein Mikrofon und antwortete auf einige der in den Raum gestellten Fragen. Dabei verteidigte er vehement den Rechtsstaat und verwies auf die Unabhängigkeit der Justiz. „Die Entscheidung über Asyl ist oft nicht einfach. Ist jemand Christ? Ist jemand homosexuell? Ich weiß nicht, wie man so etwas überprüft. Asylrichter zu sein ist ein sehr schwerer Job“, sagte Kurz. Auch beim humanitären Bleiberecht seien es die Asylrichter, denen die Entscheidung obliege. Abschiebungen seien immer nur das letzte Mittel.

Den Wunsch des Landes Vorarlberg nach einem Mitspracherecht beim humanitären Bleiberecht kenne und respektiere er, allerdings sei die Mehrheit der anderen Bundesländer anderer Meinung. Kurz wies darauf hin, dass das Mitspracherecht der Länder bereits 2014 – unter einer SPÖ-ÖVP-Bundesregierung und Kurz als Integrationsminister – abgeschafft worden sei, um die Asylverfahren zu beschleunigen. Auch die geltenden Asylgesetze seien aus der Zeit vor seiner Kanzlerschaft.

Kurz: Bisher nur in Vorarlberg passiert

In den „VN“ zeigte sich der ÖVP-Politiker allerdings angriffiger. Den Vorfall in Sulzberg bezeichnete er als „unfassbar“ und wies darauf hin, dass es so etwas bisher nur in Vorarlberg gegeben habe. „Ein solcher Fall wäre jedenfalls verhinderbar, wenn die Vorarlberger Verantwortlichen darauf achten würden, dass Kinder nicht von ihren Müttern getrennt werden.“ Vielleicht wäre die Aufsicht in Wien früher einzubinden gewesen, so Kurz.

Entschieden hat eine Bundesbehörde, nämlich die Außenstelle des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in Feldkirch. Dennoch sagte Kurz: „Das BFA in Feldkirch und die leitenden Personen, die leben hier und kennen die Situation. Von denen erwarte ich mir, dass sie die Gesetze kennen und mit Fingerspitzengefühl vorgehen“, so Kurz und drohte: „Wenn so etwas noch einmal vorkommen sollte, dann wird es eine strengere Kontrolle vonseiten des Bundes geben.“ Es sei einfach, auf Wien zu schimpfen: „Aber es sind Vorarlberger, die diese Entscheidungen treffen, in Feldkirch.“

Wallner gibt Kurz in der Sache recht

Vorarlbergs Landeshauptmann Wallner, der beim „VN“-Interview neben dem Bundeskanzler Platz genommen hatte, äußerte sich am Freitag zurückhaltend zur Causa. Er wolle „kein Aufrüsten der Worte“ betreiben. Nur so viel: In der Sache gebe er Kurz grundsätzlich recht. Bei der Durchführung einer Abschiebung müssten Mindeststandards gewährleistet sein, das sei in Sulzberg nicht der Fall gewesen, sagte er bei einer Pressekonferenz – bei der Kurz übrigens nicht dabei war. Die Verantwortung für das Einhalten der Standards trage das BFA.

Bereits am Mittwoch hatte Wallner im Landtag ein Mitspracherecht der Länder beim humanitären Bleiberecht gefordert. Dass sich seine Meinung zum Thema Flüchtlinge und Asyl nicht immer mit jener der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung decke, „das mag so sein“, sagte Wallner. Ihm gehe es darum, dass nach außen ein strenger Grenzschutz gewährleistet sei. Im Land selbst „bemühen wir uns, einen einigermaßen menschlichen Pfad einzuhalten. Von dieser Grundhaltung werde ich keinen Millimeter abrücken“, so Wallner.

Innenminister kontert Länderforderung

Am Freitag konterte Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) die Forderung Wallners. „Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner meint, dass gute Integration, die von lokalen Behörden festgestellt wird, einen negativen Asylbescheid aushebeln und eine Abschiebung verhindern soll“, hieß es in einem Facebook-Posting. Kickl stellte dann die Frage, ob der Landeshauptmman auch der Meinung sei, „dass schlechte Integration, die von lokalen Stellen festgestellt wird, einen positiven Asylbescheid wieder aufheben und zur Abschiebung führen soll?“ Kickl ortete ein „Willkür-System“.

Aber nur wenige Stunden später sprach sich eine Mehrheit der teilnehmenden Ländervertreter bei der Flüchtlingsreferentenkonferenz in Linz für ein Mitspracherecht aus. Die Voraussetzung dafür, dass der Bund mit den Ländern deren Anliegen diskutiert, ist, dass diese untereinander einen Konsens finden. Diesen gab es aber nicht, denn der niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) stimmte dagegen. Zudem waren die politischen Referenten aus Salzburg, Tirol, der Steiermark und dem Burgenland nicht dabei – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Kritik von SPÖ und NEOS

Nach den Aussagen von Kurz hagelte es Kritik von oppositionellen Vorarlbergern im Parlament. Als „inakzeptabel“ bezeichnete etwa der in der Steiermark geborene, aber in Vorarlberg beheimatete SPÖ-Nationalrat Reinhold Einwallner die Schuldzuweisungen an die Vorarlberger Behörden. Diese hätten lediglich die Bundesvorgaben vollzogen. „Sie sind dabei an die Weisungen des Innenministeriums gebunden. Das sollte man als Kanzler eigentlich wissen“, so Einwallner. Es sei „unwürdig“, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

„Patzig und beleidigt auf Kritik von Bürgern zu reagieren und dann ein Bundesland anzupatzen zeugt von wenig Reife“, kritisierte NEOS-Nationalrat Gerald Loacker. Bundeskanzler Kurz sei offenbar nur „Duckmäusertum“ genehm. Auch die Aussagen Kurz’ im „VN“-Interview kritisierte Loacker scharf: „Die Frage des humanitären Bleiberechts kann man nüchtern und vernünftig klären, was Kurz macht, ist die Trotzreaktion eines beleidigten Kindes.“