Großbritanniens Premierministerin Theresa May
APA/AFP/Philippe Huguen
Neue Minister

„Brexit“-Verschnaufpause für May

Die britische Premierministerin Theresa May hat sich mit der Ernennung zweier neuer Minister eine kleine Verschnaufpause im „Brexit“-Streit verschafft. Während der wenig bekannte Stephen Barclay „Brexit“-Minister wird, kehrt mit Ex-Innenministerin Amber Rudd eine enge Vertraute Mays zurück. Ein Misstrauensvotum droht May dennoch.

Mit dem bisherigen Gesundheitssekretär Barclay hat sich die Premierministerin einen EU-Skeptiker ins Boot geholt – er hatte sich bei Referendum vor zwei Jahren für den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union eingesetzt. Er folgt auf Dominic Raab, der aus Unzufriedenheit über den Entwurf für das Austrittsabkommen zurückgetreten war. Die letzten Tage der Verhandlungen will May aber selbst leiten.

Ein Versuch, wieder Ruhe in ihr Kabinett zu bringen, ist vor allem die Neubesetzung des Postens der Arbeitsministerin. Rudd, die von der zurückgetretenen Esther McVey übernimmt, ist zwar EU-Befürworterin, gilt aber als eine der engsten Verbündeten Mays. Rudd war erst im Mai zurückgetreten, als ihr Verhalten im Skandal um die Windrush-Generation für Unmut in der Bevölkerung sorgte. „Es ist nicht die richtige Zeit, um unsere Regierungsspitze zu tauschen“, sagte Rudd am Freitag. Manche ihrer Kollegen würden in ihrer Westminster-Blase manchmal vergessen, was ihr Job sei – und zwar „dem Volk zu dienen“.

„Telegraph“: Gove will May Ultimatum stellen

Bereits zuvor konnte May etwas aufatmen. Grund war, dass der Umweltminister Michael Gove nach Spekulationen um seine Person wohl nicht zurücktreten werde. Auch er sprach May am Freitag sein Vertrauen aus. Zugleich kündigte er an, sich für ein „gutes Abkommen“ einzusetzen. Für May wäre ein Rücktritt Goves nach den Rücktritten von Raab und McVey nur schwer zu verkraften gewesen.

May könne nach einer harten Woche nun eine Pause genießen, „nachdem sich eine drohende zweite Welle an Rücktritten von EU-Skeptikern nicht materialisierte“, heißt es in der „Financial Times“. Die konservative Tageszeitung „Daily Telegraph“ vermutet allerdings, dass Gove eine Gruppe von fünf Ministern in Mays Kabinett mit dem Plan anführen werde, die Premierministerin in der letzten Minute noch zu Veränderungen im Entwurf drängen zu können.

Diplomat Schusterschitz: „Vertrag ist guter Kompromiss“

Der österreichische „Brexit“-Delegierte Gregor Schusterschitz zeigt sich trotz der jüngsten Regierungskrise in London wegen des Vertragsentwurfs zuversichtlich.

Gove wird sich dem „Telegraph“ zufolge am Wochenende mit den Ministern Andrea Leadsom, Chris Grayling, Penny Mordaunt und Liam Fox treffen. Gemeinsam wollen sie May ein Ultimatum stellen, sollen ihre Forderungen nicht erfüllt werden – besonders mit der Einigung in der Nordirland-Frage sind sie unzufrieden.

Hoffnung auf Unterstützung der Opposition

Gebannt ist die Gefahr für die Premierministerin somit dennoch nicht – denn entscheidend ist, ob sie mit dem „Brexit“-Entwurf auch eine Mehrheit im Parlament überzeugen kann. „Jeder einzelne Abgeordnete wird entscheiden müssen, wie er abstimmt, ob er von der DUP ist, den Konservativen, Labour, allen Parteien im Unterhaus“, sagte May am Freitag im Interview des Rundfunksenders LBC.

Um eine Mehrheit im Parlament zu erzielen, hofft sich auf Unterstützung aus der Opposition. Erneut verteidigte sie den Vertragsentwurf als „besten Deal“ für das Vereinigte Königreich. Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen wies May ebenso zurück wie Berichte, wonach die nordirische DUP ihr Regierungsbündnis verlassen wolle.

May bekräftigte gegenüber dem LBC-Radio, ihre Regierung sei stabil. Sie habe keine Auseinandersetzung mit DUP-Chefin Arlene Foster zu einem möglichen Rückzug. Die nordirische Partei unterstütze ihre Regierung nach wie vor. Der Status Nordirlands nach dem für März 2019 geplanten EU-Austritt Großbritanniens war ein Knackpunkt bei den Verhandlungen mit Brüssel.

Parteiinterne Revolte

Berichten zufolge droht May zudem eine Misstrauensabstimmung in ihrer Fraktion, nachdem der Tory-Abgeordnete und einflussreiche „Brexit“-Hardliner Jacob Rees-Mogg am Donnerstag der Premierministerin sein Vertrauen entzogen hatte. Notwendig für den Misstrauensantrag sind 48 Stimmen.

Innerparteiliche Revolte gegen May

Die konservative Premierministerin des Vereinigten Königreichs, Theresa May, sieht sich mit immer mehr Widerstand gegen das EU-Austrittsabkommen konfrontiert.

Es ist nicht bekannt, ob diese Zahl bereits erreicht wurde, laut Medienberichten sollen aber schon genügend Anträge vorliegen. 20 konservative Abgeordnete bekannten sich dazu, schriftliche Anträge eingebracht zu haben. May könnte gestürzt werden, wenn 158 der 315 Abgeordneten ihrer Konservativen Partei gegen sie stimmen. Noch wurde nicht bekanntgegeben, wie viele Anträge eingegangen sind. Die Abgeordneten sind nicht verpflichtet zu sagen, ob sie einen Antrag eingereicht haben oder nicht.

Deal „im nationalen Interesse“

May gab sich bereits am Vortag kämpferisch: „Ich glaube mit jeder Faser meines Körpers daran, dass der von mir verfolgte Kurs der richtige ist.“ Der geplante „Brexit“-Deal sei das bestmögliche Abkommen und „im nationalen Interesse“, sagte May nach einer hitzigen Debatte im Unterhaus bei einer Pressekonferenz am Abend. Sollte das Abkommen scheitern, seien die Folgen nicht absehbar.

Ein „Weg tiefer und schwerwiegender Unsicherheit“ könnte Großbritannien dann bevorstehen. Ein von EU-Befürwortern gefordertes zweites „Brexit“-Referendum schloss May aus. Ans Aufgeben denke sie trotz der Rücktrittsforderungen nicht, betonte die Regierungschefin. „Werde ich das durchziehen? Ja“, so May.

Kurz sieht Deal an kritischem Punkt

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sieht den vorläufigen „Brexit“-Deal offenbar auf der Kippe. „Jetzt stehen wir an einem kritischen Punkt. Es ist vollkommen offen, ob es eine Zustimmung dafür in Großbritannien geben wird oder nicht“, sagte Kurz nach Gesprächen mit EU-Chefverhandler Michel Barnier und Ratspräsident Donald Tusk vor Journalisten in Brüssel.

Kurz warnte vor einem „harten Brexit“ ohne Vereinbarung zwischen der EU und Großbritannien. Dieser würde „ganz massiv Großbritannien schaden“. In Hinblick auf eine notwendige Abstimmung im britischen Parlament über den „Brexit“-Vertrag sagte Kurz: „Derzeit ist jeglicher Ausgang möglich.“ Der EU-„Brexit“-Sondergipfel am 25. November werde aber stattfinden.

Europaminister Europaminister Gernot Blümel (ÖVP) geht davon aus, dass alle 27 EU-Staaten die Vereinbarung akzeptieren werden. Der nun vorliegende Vertrag sei jedenfalls das Beste, das beide Seiten bekommen könnten, sagte Blümel im Ö1-Mittagjournal. Das Austrittsdatum, der 29. März 2019, bleibt aus seiner Sicht aufrecht – Audio dazu in oe1.ORF.at.