Großbritanniens Premierministerin Theresa May
APA/AFP/Daniel Leal-Olivas
„Brexit“-Deal

May warnt vor Führungswechsel

Während die Vertreter der EU-27 in Brüssel erstmals über den „Brexit“-Deal beraten haben, kämpft die britische Premierministerin Theresa May um ihr politisches Überleben. Insbesondere die aus Protest gegen den vorgelegten „Brexit“-Entwurf zurückgetretenen Minister üben großen Druck aus. Am Sonntag warnte May in einem Interview mit Sky News vor einem Führungswechsel.

„Die Führung auszutauschen würde die Verhandlungen nicht einfacher machen“, sagte May. Auch die Verteilung im Parlament würde sich nicht ändern, so die Premierministerin. „Was sich ergeben würde, wäre Unsicherheit für die Briten und deren Jobs.“ Zudem würden die „Brexit“-Gespräche weiter in die Länge gezogen werden.

Die kommenden sieben Tage bezeichnete sie als entscheidend. „Es geht nicht um mich. Es geht um die Zukunft dieses Landes“, sagte May. Die „Brexit“-Verhandlungen gingen weiter. Sie werde deshalb nach Brüssel reisen und sich mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker treffen.

Keine Furcht vor Misstrauensvotum

Auch ist sie der Ansicht, derzeit noch kein innerparteiliches Misstrauensvotum fürchten zu müssen. Ihrer Kenntnis nach seien nicht genügend Stimmen aus den eigenen Reihen der Konservativen zusammengekommen, sagte May im Interview. Das bestätigte später auch der Vorsitzende des für eine derartige Abstimmung verantwortlichen Komitees, Graham Brady, dem BBC Radio.

48 Abgeordnete müssen dem Komitee schriftlich mitteilen, dass sie für ein Misstrauensvotum sind, um ein solches Verfahren einleiten zu können. Bisher haben sich mehr als 20 Politiker öffentlich dazu bekannt. Wie viele Briefe genau eingegangen sind, ist unklar. Medienberichten zufolge könnte bereits am Dienstag eine Abstimmung über die Zukunft der Regierungschefin stattfinden.

Die britische Regierung und die EU hatten sich jüngst auf einen Entwurf für ein „Brexit“-Abkommen geeinigt. Allerdings kann sich May nicht auf eine sichere Mehrheit im Unterhaus stützen. Abgeordnete ihrer Konservativen Partei haben bereits angekündigt, gegen das Abkommen zu stimmen.

Raab: Schwache Verhandlungsführung

Der zurückgetretene „Brexit“-Minister Dominic Raab warf May am Sonntag unterdessen schwache Verhandlungsführung vor. May habe der EU nicht glaubwürdig damit gedroht, notfalls ohne Abkommen auszuscheiden.

„Wenn wir diesen Deal nicht zu vernünftigen Konditionen abschließen können, müssen wir sehr ehrlich sein mit dem Land, dass wir uns nicht bestechen und erpressen oder drangsalieren lassen und wir unserer Wege gehen werden“, sagte Raab in einem Interview mit der „Sunday Times“. In der EU-Kommission sind aus seiner Sicht „dunkle Mächte“ am Werk.

Raab war im Streit über den „Brexit“-Entwurf zurückgetreten. Der ehemalige „Brexit“-Minister plädierte jetzt dafür, noch einmal an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Er brachte sich damit indirekt als Nachfolger für May ins Spiel.

Ex-Minister bringen sich in Stellung

Der „Sunday Times“ zufolge bringen sich auch Raabs Vorgänger im Amt des „Brexit“-Ministers, David Davis, Ex-Außenminister Boris Johnson, Innenminister Sajid Javid, Arbeitsministerin Amber Rudd, Außenminister Jeremy Hunt und Entwicklungshilfeministerin Penny Mordaunt als mögliche Nachfolger in Stellung.

Gleichzeitig drohen weitere Kabinettsmitglieder mit Rücktritt, sollte May nicht nachverhandeln. Derzeit ist unklar, wie May das vorgelegte Abkommen durchs Parlament bekommen will. Es gilt jedoch als sehr unwahrscheinlich, dass sich die EU auf substanzielle Nachverhandlungen einlässt. Bundeskanzler und EU-Ratsvorsitzender Sebastian Kurz (ÖVP) hat sich bereits gegen Nachverhandlungen des „Brexit“-Deals ausgesprochen.

EU-27 will offenbar keine Änderungen

Die 27 EU-Mitgliedsstaaten ohne Großbritannien berieten am Sonntag über den „Brexit“-Entwurf. Dazu kamen in Brüssel die EU-Botschafter ohne den britischen Vertreter zusammen. Ihre Regierungen haben den in Großbritannien stark umstrittenen „Brexit“-Vertrag geprüft, nun gab es eine erste Bewertung. Diplomaten zufolge werde die EU angesichts des großen politischen Widerstands in Großbritannien nicht selbst noch auf Änderungen des „Brexit“-Vertrags dringen.

Die anderen 27 EU-Staaten seien sich „einig, dass sie kein Öl ins britische Feuer gießen wollen“, so ein Diplomat. Ein anderer Kollege meinte, dass die EU britischen Kritikern und Kritikerinnen nicht durch eigene Änderungswünsche die Möglichkeit geben wolle, „das ganze Paket wieder aufzuschnüren“.

Das Treffen diente der Vorbereitung des Sondergipfels der EU-Staats- und Regierungschefs am Sonntag in einer Woche, auf dem das Abkommen gebilligt werden soll. Der Textentwurf einer politischen Erklärung der EU-27 soll wie geplant am Dienstag veröffentlicht werden. „Die endgültige Version wird keine Überraschungen beinhalten“, sagte ein Diplomat.