Britische Premierministerin, Theresa May
Reuters/Henry Nicholls
May in Gefahr

„Brexit“-Balanceakt der EU-27

Wegen des „Brexit“-Verhandlungsergebnisses ist das Schicksal von Premierministerin Theresa May in Schwebe. Sechs Stimmen fehlen noch für eine Misstrauensabstimmung im Parlament von der eigenen Tory-Fraktion. Die EU-27 bangen mit May mit – und versuchen alles, um „kein Öl ins britische Feuer zu gießen“.

So drückte es einer der Botschafter der verbleibendenden EU-Mitgliedsländer nach einem Treffen am Sonntag in Brüssel aus. Sie einigten sich daher darauf, nicht noch selbst auf Änderungen an dem Entwurf des „Brexit“-Vertrags pochen zu wollen. Man wolle den britischen Kritikern zudem keine Möglichkeit geben, durch eigene Änderungswünsche „das ganze Paket wieder aufzuschnüren“, so ein anderer Diplomat.

Die nächsten Schritte Richtung „Brexit“ sind aufseiten der EU offenbar auf Schiene. Am Sonntag hatten die Botschafter der EU-27 erstmals über den Entwurf des Austrittsvertrags beraten. Am Montag beraten die Europaminister der EU-27 über das Verhandlungsergebnis.

Europaminister zeigen sich einig

Noch offene strittige Fragen wurden am Sonntag nicht geklärt. Kritik hatte es von mehreren Ländern an der Regelung der Fischereirechte in britischen Gewässern gegeben. Spanien hatte Vorbehalte an der Regelung für das britischen Gebiet Gibraltar auf der Iberischen Halbinsel angemeldet. Diese würden eine Einigung aber aller Voraussicht nach nicht verhindern.

Am Montag forderte allerdings der spanische Außenminister Josep Borrell, dass Spanien den Vertragsentwurf nicht unterstützen werde, wenn es nicht die Möglichkeit gebe, direkt mit Großbritannien über die Zukunft von Gibraltar zu verhandeln. Das seien separate Gespräche. Europaminister Gernot Blümel betonte aber wie seine anderen Kolleginnen und Kollegen vor Beginn ihres Treffens Montagvormittag: „Ich gehe davon aus, dass der Scheidungsvertrag, so wie er auf dem Tisch liegt, auch beschlossen wird.“

„Keine Überraschungen“ von EU zu erwarten

Am Dienstag soll die politische Erklärung der EU-27 zu den künftigen Beziehungen mit Großbritannien veröffentlicht werden: „Die endgültige Version wird keine Überraschungen beinhalten“, sagte ein Diplomat. Die EU hat bisher gut sechs Seiten mit Stichpunkten zu der Erklärung veröffentlicht. Ziel sei unter anderem die „Schaffung eines Freihandelsgebiets“ im Warenverkehr ohne jegliche Zölle. Hinzu kommen angestrebte Vereinbarungen etwa zu Luftverkehr, Energie, Fischerei, Verteidigung und Strafverfolgung.

Bei einem Sondergipfel am 25. November soll der Austrittsvertrag verabschiedet werden. Ob es zu dazu kommt, liegt vor allem an Großbritannien. Die Veröffentlichung des Entwurfs hatte in der vergangenen Woche zu mehreren Rücktritten in Mays Kabinett geführt.

May warnt vor Putsch in eigenen Reihen

May will in dieser Woche mit der EU über die künftigen Beziehungen ihres Landes zu Brüssel verhandeln. Erst wenn es eine zufriedenstellende Einigung für die gegenseitigen Beziehungen nach dem „Brexit“ gebe, werde das Austrittsabkommen unterzeichnet, sagte May. Damit kommt sie „Brexit“-Hardlinern, die noch in der Regierung verblieben sind und nun auf Nachverhandlungen zum Austrittsabkommen bestehen, entgegen.

Am Sonntag warnte May im Interview mit dem Sender Sky News vor einem Putsch in ihrer Konservativen Partei. Ein Führungswechsel würde die Verhandlungen mit Brüssel nicht einfacher machen und auch die Mehrheitsverhältnisse im britischen Parlament nicht verändern. „Was sich ergeben würde, wäre Unsicherheit für die Briten und deren Jobs.“ Zudem würden die „Brexit“-Gespräche weiter in die Länge gezogen werden. Die nächsten sieben Tage seien entscheidend.

May rechnet derzeit aber nicht damit, dass ausreichend Stimmen für ein innerparteiliches Misstrauensvotum zusammenkämen. Für ein solches Verfahren sind 48 Abgeordnete notwendig. Medienberichten zufolge könnte bereits am Dienstag eine Abstimmung über die Zukunft der Regierungschefin stattfinden.

Abstimmung im britischen Parlament unsicher

Der 585 Seiten lange Textentwurf des Austrittsvertrags sieht insbesondere eine Übergangsphase bis Ende 2020 vor, regelt die künftigen Rechte der Bürger auf beiden Seiten, die Finanzforderungen an London und den Status der britischen Provinz Nordirland.

Sollte es zu einer Verabschiedung des Austrittsvertrags beim Sondergipfel kommen, muss die EU aber weiterhin mit einem ungeregelten Austritt Großbritanniens rechnen. Denn das britische Parlament kann den Vertrag auch nach dem Sondergipfel noch ablehnen. Derzeit kann sich May nicht auf eine sichere Mehrheit im Unterhaus stützen. Einige Abgeordnete von Mays Konservativer Partei hatten bereits angekündigt, gegen das Abkommen zu stimmen. Dass die EU sich auf weitere Nachverhandlungen einlässt, ist ebenfalls sehr unwahrscheinlich.