Astronaut in der ISS
APA/AFP/NASA/Thomas Pesquet
20 Jahre ISS

Das enge Leben in der Weltraum-WG

Die Internationale Raumstation rund 400 Kilometer über der Erde ist der einzige Außenposten der Menschheit in Richtung All. Am Dienstag feiert die Weltraum-WG ihren 20. Geburtstag. Gut ein Dutzend Staaten beteiligten sich an dem Projekt, neben EU-Ländern auch Kanada, Japan, Russland und die USA.

Seit dem Jahr 2000 sind ständig Menschen auf der Internationale Raumstation (ISS), Kommandant war meist ein Russe oder ein US-Amerikaner. Der Posten ist ist nun mit dem deutschen Alexander Gerst besetzt. Bei einem Tempo von 28.000 km/h erlebt die Mannschaft alle 90 Minuten einen Sonnenaufgang.

Die ISS ist zeitweise auch mit freiem Auge je nach Standort erkennbar. Sie ist das zweite bemannte Großlabor im All nach der 2001 im Pazifik versenkten russischen Station Mir.

ISS-Crew, 2000
Reuters/NASA
Auf der ISS ist es ziemlich eng, hier ein Bild von 2000

Ganz eigene Gerüche, wenig Waschmöglichkeiten

Die optimale Besetzung sind sechs Raumfahrer bzw. Raumfahrerinnen. Sie verbringen jeweils rund sechs Monate auf ihrem Arbeitsplatz und gleichzeitigen Heim im Orbit. Bei voller Besetzung gibt es kaum Privatsphäre, die speziell vorbereiteten Mahlzeiten kommen aus dem Sackerl. Waschmöglichkeiten zwischen Kabeln und Computern sind zwar spektakulär, das Prozedere ist aber mühselig, wie die Raumfahrer und Raumfahrerinnen immer wieder dokumentieren. So schneiden sie sich auch gegenseitig die Haare. „Einer der wenigen Momente, in denen ich nervös war und Sergey Angst hatte“, twitterte Gerst.

Viel Arbeitszeit muss für die Wartung von Geräten und zum Putzen aufgewendet werden. Vor allem wegen der Lüftungsventilatoren ist es zudem fortwährend sehr laut, wie der US-Astronaut Scott Kelly in seinem kürzlich erschienenen Buch „Endurance“ schreibt. Auch der Geruchsmix sei ganz eigen. Die ISS rieche vor allem nach den Ausgasungen der Geräte und sonstigen Einrichtungen, „die wir auf der Erde als ‚Neuwagengeruch‘ bezeichnen“. Hinzu komme der Körpergeruch und der des Abfalls, der zwar möglichst hermetisch isoliert, aber eben nur alle paar Monate entsorgt werde.

Mit David Bowie auf der ISS

Doch die WG-Atmosphäre wurde auch musikalisch umgesetzt. So griff sich 2013 der kanadische Astronaut Chris Hadfield eine Klampfe – auch dieses WG-Instrument gibt es auf der ISS – und sorgte mit seiner „überirdischen“ Interpretation des David-Bowie-Hits „Space Oddity“ für Begeisterung.

Die ISS begrüßte 2001 auch den ersten rein privaten Weltraumtouristen. Der US-Unternehmer Dennis Tito flog mit einer russischen Sojus-Rakete zur ISS. Er zahlte Russland dafür rund 20 Millionen Dollar (damals rund 22 Mio. Euro). In einem Schnellkurs hatten die Russen den durchtrainierten Frühpensionisten fit für den Weltraum gemacht. Er fühle sich fantastisch und schlafe wie ein Baby, hatte der Hobbyastronaut damals seine unmittelbaren Erfahrungen zur Erde gefunkt. Vor allem die alle 90 Minuten stattfindenden Sonnenaufgänge hätten fasziniert.

Geisteskind des Kalten Krieges

Angefangen hatte indes alles mit US-Präsident Ronald Reagan. Er beauftragte am 25. Jänner 1984 die US-Raumfahrtagentur (NASA) mit der Entwicklung einer bemannten Raumstation. Grund dafür war die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion im Kalten Krieg. Die Sowjetunion besaß damals bereits mit den Saljuts mehrere kleinere Raumstationen, die bis zu vier Jahre im All verwendet wurden. Die größte sowjetische Raumstation Mir wurde schließlich 1986 in Betrieb genommen und umkreiste bis 2001, bis zu ihrem kontrollierten Absturz, die Erde.

ISS
Reuters
Die ISS scheint über der Erde zu schweben, bewegt sich allerdings mit rasender Geschwindigkeit – das Bild wurde 2018 von einer Sojus nach dem Abdocken aufgenommen.

Bei dem NASA-Projekt ISS warben die USA bei den Europäern um Teilnahme – auch um zu verhindern, dass dort an einer eigenen Station getüftelt wird oder dass sie sich dem sowjetischen Projekt anschließen. Mit dem Ende der Sowjetunion 1990 entstand die ebenfalls nicht ganz selbstlose Idee, die Russen mit ins Boot zu holen. Eine Kooperation mit unzähligen Vorteilen etwa für die Völkerverständigung nach dem Kalten Krieg – aber auch Nachteilen. So musste dadurch die Station größer werden als eigentlich geplant und für die wissenschaftlichen Experimente eigentlich gebraucht.

Am 20. November 1998 war es dann so weit

Die meisten Bauteile stammen aus den USA und Russland. Am 20. November 1998 schließlich wurde das erste russische Modul „Sarja“ (Morgenröte) ins All geschossen. Seither ist die ISS immer weiter gewachsen, inzwischen ist sie etwa so groß wie ein Fußballfeld und technisch vielfältig ausgerüstet. Mit dem in Bremen und Turin gebauten Forschungslabor „Columbus“ erhielt das „Haus im Orbit“ 2008 auch ein europäisches „Zimmer“.

ISS
APA/AFP/NASA
Die ISS im Juni 1999 vom US-Spaceshuttle „Discovery“ aus gesehen, als das Shuttle nach dem Abdocken um die ISS herumfliegt

„Die komplexeste, wertvollste und unwahrscheinlichste Maschine, die die Menschheit jemals gebaut hat“, nennt Gerst seinen derzeitigen Wohn- und Arbeitsort via Twitter-Botschaft. Gerst ist bereits zum zweiten Mal auf der ISS. Zu den Aufgaben der Besatzung gehören Experimente in der Schwerelosigkeit. Forscher erhoffen sich davon auch Erkenntnisse über einen möglichen dauerhaften Aufenthalt im All und für eine bemannte Marsmission.

Besatzung auch selbst Forschungsobjekt

Die Austronauten und Astronautinnen sind dabei auch selbst Forschungsobjekte. So verändern längere Aufenthalte im All das Gehirn von Astronauten nicht nur kurzfristig. Das haben Mediziner der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München herausgefunden. Auch ein halbes Jahr nach der Rückkehr von Langzeitmissionen im All gibt es demnach noch „großflächige Volumenänderungen“, wie die Universität Ende Oktober mitteilte.

Die Forscher beobachteten bei den Raumfahrern auch noch rund sieben Monate nach deren Rückkehr zur Erde ein geringeres Volumen der grauen Substanz. Das ist der Teil des Großhirns, der hauptsächlich Nervenzellen enthält. Scans zeigten, dass sich der mit Nervenwasser (fachsprachlich Liquor) gefüllte Raum im Großhirn dagegen ausgeweitet hatte. Ob die Veränderungen für das Denkvermögen der Raumfahrer relevant sind, ist nach Forscherangaben noch unklar.

Der Münchner Mediziner Peter zu Eulenburg hatte gemeinsam mit Forschern aus Belgien und Russland zwischen 2014 und 2018 zehn Raumfahrer untersucht, die im Schnitt 189 Tage auf der ISS verbracht hatten. Vor ihrem Abflug und nach ihrer Rückkehr zur Erde wurden Scans durchgeführt – und bei sieben von ihnen rund sieben Monate später noch einmal. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler im „New England Journal of Medicine“ – mehr dazu in science.ORF.at.

Trump für Privatisierung

Unklar ist allerdings die Zukunft der ISS. Bisher ist der Betrieb des Raumlabors bis 2024 gesichert. Die Europäische Weltraumagentur (ESA) hält es für möglich, dass die Mitgliedsstaaten das Projekt bis 2028 verlängern. Die Regierung von US-Präsident Donald Trump allerdings strebt bei der ISS einen Schnitt an und will eine Privatisierung vorantreiben.

Kritiker bezeichnen die ISS gerne als das teuerste Gebäude der Welt – die Gesamtkosten seit 1998 liegen nach Schätzungen bei weit über 100 Milliarden US-Dollar (über 87 Mrd. Euro). Zu den exakten Ausgaben halten sich die ISS-Mitglieder bedeckt. Mehr als drei Milliarden Dollar zahlen allein die USA Berichten zufolge jedes Jahr für den Betrieb.

Die ESA gibt an, bisher zehn Milliarden Euro in die ISS investiert zu haben – davon vier Milliarden in die Entwicklung und sechs in ISS-Operationen zwischen 2008 und 2018. Die größten ESA-Geberländer für die Station sind Deutschland, Italien und Frankreich, wie die Agentur mitteilt.

Auf dem Weg zum Weltraumschrott?

Über den Zustand der ISS gibt es zurzeit viele Spekulationen, auch weil die NASA und die russischen Kollegen von Roskosmos nur spärliche Informationen dazu geben. Die ISS dürfte trotz vieler Nachrüstungen über die Jahre ziemlich gelitten haben. Auch äußerlich: Einschläge verursachen immer wieder kleine Krater. Einige Male musste die ISS Weltraumschrott ausweichen und deswegen kurzfristig ihren Kurs ändern. Einmal durchschlug ein winziger Splitter ein Sonnensegel.

Bei einem seiner Außeneinsätze sei ihm plötzlich aufgefallen, wie ramponiert die ISS schon sei, so Astronaut Kelly. Kosmische Teile und Weltraumschrott hätten kleine Vertiefungen und Kratzer verursacht, in die Handläufe seien Löcher mit scharfkantigen Rändern geschlagen worden.

Druckabfall und Raketenfehlstart

Vorfälle wie dieser brachten die Crew bisher noch nie in ernsthafte Gefahr. Konsequenzen für die Zukunft der ISS könnten aber zwei Notfälle haben, die noch immer nicht im Detail geklärt sind: Seit im Sommer ein kleines Leck in der russischen Sojus-Kapsel einen Druckabfall in der ISS auslöste, kursieren wilde Spekulationen über die Ursache. War es Pfusch, Sabotage oder einfach ein Unglück? Wenige Wochen später kam es erneut zu einem ernsthaften Zwischenfall: Ein Raketenfehlstart mit zwei Raumfahrern an Bord endete zwar glimpflich, brachte aber den ganzen Zeitplan von Gersts Mission durcheinander. Wieder zweifelte man weltweit an der Sicherheit des Projekts.